Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter
nickte und wandte sich ihrer Großmutter zu.
»Pass gut auf, was du dir wünschst, Nimue, denn Seoras wird es dir gewähren. Die Tradition unseres Elfenstammes besagt, dass jeder Elfe an ihrem Uaneala-Tag ein Wunsch erfüllt werden muss. Da gibt es so gut wie keine Ausnahmen. Also, was ich damit sagen will, ist ganz einfach: Wünsch dir etwas, das du wirklich willst, und sei dir im Klaren darüber, dass es in Erfüllung gehen wird.«
Nimue erwiderte freudig: »Ja, Oma. Soll ich dir meinen größten von allen Wünschen sagen?«
»Nein, nicht so vorschnell. Denk darüber nach. Du hast noch zehn Tage Zeit. Geh in dich und finde dort die Wahrheit deiner Wünsche, denn je nachdem könnte er dein Leben stark verändern. Dies ist der erste Schritt zum Erwachsenwerden, Nimue. Handle weise und wohlüberlegt. Stell dir die Fragen: was und warum du es dir wünschst, und danach, welche Folgen es für dich, dein Leben und auch für deine Familie haben wird.«
Auf einmal fühlte Nimue eine Schwere, die sich langsam in ihrer Brust ausbreitete. War es nun so weit, sollte sie jetzt für ihre Entscheidungen allein verantwortlich sein? War sie schon bereit dafür? Konnte sie die volle Tragweite begreifen, die ihre Großmutter von ihr verlangte? Oder verstand sie ihre Worte falsch?
»Oma, kann ich nicht mit dir und Opa über meinen Wunsch sprechen?«
Oona schüttelte leicht den Kopf.
»Wir müssen ja nicht über den einen großen reden. Vielleicht über die vielen anderen kleineren?«, schlug Nimue daraufhin vor.
»Nein, dein Wunsch und du, ihr sollt eine Einheit darstellen. Ich meine, keine äußeren Einflüsse sollen dabei auf dich einwirken. Genauer gesagt, dein Wunsch soll frei von anderen gehegt, gepflegt und gestellt werden.«
Nimue verstummte, während sie über die Worte ihrer Großmutter nachdachte.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Wenn du deiner inneren Stimme folgst und dir Zeit gibst, sie zu verstehen, kann dir nichts passieren. Die nächsten Tage werden sehr wichtig für dich sein. Nimm dir Zeit und vor allem gib dir Ruhe, denn nur in Ruhe kannst du dich richtig entscheiden.«
»Innere Stimme?«, dachte Nimue, »Hat mir Opa nicht auch schon davon erzählt?«
Nimue konnte sich nicht mehr erinnern, wie genau ihre innere Stimme klingen sollte und noch dazu hatte sie den Wunsch zu reisen und die Welt zu entdecken. Sollte sie trotzdem mit ihrer inneren Stimme sprechen? Ihr vielleicht sogar den Wunsch sagen und ihre Meinung dazu hören? Vielleicht tendiert ihre innere Stimme ja mehr zu einem Tara-Pferd, ist sich Nimue nun unsicher.
Da wollte sie wissen: »Ist die innere Stimme die, die mich meinem Traum näherbringt oder die, die mir meinen Wunsch bestätigt?«
»Deine innere Stimme ist die Stimme deiner Seele und sie entspricht der höchsten Wahrheit.«
»Aha«, staunte Nimue.
»Du sollst in dich hineinfühlen und genau hinhören, denn durch ungesunde Emotionen kann es passieren, dass du keinen direkten, reinen Zugang zu deiner inneren Stimme hast.« Oona blickte in Nimues irritiertes Gesicht und erkannte, dass sie ihre Aussage nicht im Detail verstand. Deshalb holte sie ein Beispiel hervor: »Ich meine, und das ist wirklich nur ein Beispiel, du wünschst dir eine sprechende Puppe, allerdings nur, weil alle in deinem Alter eine solche besitzen. Dieser Wunsch ist von der Emotion getragen, die einem Muster und der daraus resultierenden Vorstellung folgt. Alle haben diese eine Puppe, also willst du auch eine. Das gilt auch dann, wenn die Eifersucht keine oder nur eine geringe Rolle dabei spielt. Erkennst du den Ursprung nicht, kann dir der wahre, tief in dir versteckte Wunsch verborgen bleiben. Du denkst an die Puppe und konzentrierst dich allein darauf. Leider ist es üblich, dass die äußere Schale, also das Oberflächliche und dessen Gegebenheiten, uns oft mehr im Griff haben, als unser schönes inneres Ich.«
»Aha«, äußerte sich Nimue noch einmal voller Ehrfurcht über das große Wissen ihrer Großmutter. »Wie kann ich meine innere Stimme klar hören? Und vor allem, wie weiß ich, ob der Wunsch von außen oder innen gesteuert wird?«
»Lass dir Zeit und komm zur Ruhe. Hektik und Stress halten dich davon ab, und versuche jegliche Emotionen von dir fern zu halten. Denk nur an dein inneres Ich und lerne es kennen.«
Nimue zweifelte plötzlich an ihrem Wunsch. Wollte sie wirklich bei ihrer Cousine auf der Zauberinsel leben? Oder war es nur, weil es Cara tat und ihr die Geschichten so imponierten? Steckte dahinter womöglich eine versteckte Eifersucht ihrer Cousine gegenüber? Sie wusste es nicht und fragte verzweifelt: »Oma, was soll ich tun?«
»Geh an Plätze der Einsamkeit, an denen du dich wohlfühlst und denke über deinen großen Wunsch nach. Geh in dich und versuche herauszufinden, ob dieser oder ein anderer Wunsch es sein soll, und werde dir über dessen Tragweite bewusst.« Die großen verunsicherten Augen von Nimue machten Oona Sorgen und sie fügte hinzu: »Keine Angst, meine Kleine, du wirst dein wahres Ich finden. Das Erwachsenwerden kann einer jeden Elfe Angst machen. Das muss es aber nicht, denn meistens sieht alles viel schlimmer aus, als es in der Wahrheit ist.«
»Aber was passiert, wenn ich mir etwas wünsche, das für andere Folgen hat, die ich nicht auf Anhieb erkennen kann? Folgen für mich und andere hat es doch in jedem Fall, nicht wahr?«
»Solange keine bösen Absichten dahinterstecken und du niemanden willentlich verletzt, sollen die Auswirkungen kein hinderlicher Grund sein.« Oona blickte Nimue tief in die Augen. Dabei strich sie ihr sanft über die Wange. Gleich darauf wechselte Oona das Thema: »In ein paar Tagen ist hier Erntezeit. Dann werden wir ein großes Mahl für dich und deine Gäste vorbereiten. Eines kann ich dir schon verraten: Deine Lieblingsnachspeise, süßer Gemüsebrei, ist auch dabei.« Sie lächelte ihre Enkelin liebevoll an.
»Kommt Katar wirklich nur wegen mir?«, fragte Nimue nun freudestrahlend.
»Ja, das tut er.«
»Wegen etwas Großem, das er oder wer anderes mit mir vorhat oder mir schenkt, nicht wahr?«
Oona nickte.
»Was ist etwas Großes, Oma?«
»Du bist des Königs Lieblingsenkelin und allein das ist schon etwas Großes. Zudem bist du etwas ganz Besonderes, meine kleine Rao’ra. Deine Aufgewecktheit und Lebensfreude, dein ausgeprägter Sinn für Wahrheit, deine Liebe zur Natur und den Tieren, deine Offenheit und fröhliche Energie, dein Sinn für Gleichberechtigung und Gleichheit unter allen, deine Treue zu deinen Lieben, deine Integrität und dein großer