Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter
dass Singvögel Flügel und hühnerfußähnliche Beine haben und die kleinen Zauberwesen Arme und Beine, wie ein Menschenkörper sie besitzt. Die Arme sind jedoch doppelt so lang wie der Oberkörper, und ihre Beine können sie weit dehnen, wenn sie an Wänden hochklettern und die Breite dafür brauchen. Das Gesicht ist unterschiedlicher Art, denn es gleicht keinem Vogel. Es wirkt ein wenig gruselig, wenn man die Wesen nicht kennt. Die Nase ist spitz und lang, und der Mund gleicht einem Fischmaul mit schmalen Lippen. Die Augen sind groß und man könnte meinen, dass sie jeden Moment aus der Augenhöhle herauskullern. Die Kopfhaare sind in der Regel nur spärlich vorhanden, wobei einige wenige in das Gesicht hängen. Im Grunde sind es liebe Wesen. Trotzdem sollte man stets überlegt mit ihnen umgehen. Sie können hinterhältig handeln und Wahrheiten zu ihrem Nutzen auslegen.
»Gefällt mir dieses Spiel wirklich so gut, dass ich es mir an meinem Geburtstag wünschen möchte?«, bezweifelte Nimue. Sie schüttelte den Kopf und entschied sich, einen weiteren Wunsch vor ihrem inneren Auge zu visualisieren. Nimue dachte an ein schönes Fest. An eines, das anders sein sollte, wie ihr großes Geburtstagsfest. Sie stellte sich einen geschmückten Tafelsaal vor und eine Gästeliste, die nur sehr kurz war. Als sie sich gerade ihre Mutter in ihren Gedanken herholte, platschte etwas laut an ihr Fenster. Nimue zuckte heftig zusammen. Sie blinzelte und das Bild in ihren Gedanken verschwand.
Wieder im Hier und Jetzt blickte sie auf die Glasscheibe und entdeckte darauf einen eigenartigen Fleck. »Platsch«, machte es noch einmal so laut und heftig, dass Nimue zurückschnellte. Da sah sie ein kleines Wesen auf der äußeren Seite des Fensters kleben. Sie berührte die Stelle mit ihren Fingern und erkannte, dass das Glas noch ganz war. Dann beobachtete sie das Wesen, wie es die Arme und Beine seitlich bis zum Fensterrahmen ausdehnte. Danach kletterte es mühsam den Fensterrahmen hoch. Der kleine Körper, der sich nun in der Mitte des Fensters befand, wirkte auf sie verletzlich und berührte Nimues Herz. Sie überlegte, wer das sein könnte und rieb sich die Augen, um es noch klarer sehen zu können.
»Ist dieses kleine Wesen nicht eine Wachtel?«, vermutete sie unsicher. Gerade hatte sie an die Wachtelfamilie gedacht, die das tolle Spiel erfunden hat. War das Zufall?
Als das Wesen langsam höher kletterte, beschwerte es sich: »Du könntest mir helfen, dann ginge das alles hier ein wenig schneller.«
Sogleich öffnete Nimue das Fenster und holte das kleine Wesen herein.
»Hallo, Nimue.«
»Hallo! Wer bist du?«
»Ich bin die Wachtel Cotur. Ich möchte mit dir wegen des Festes sprechen.«
»Des Festes?«, erwiderte sie erstaunt.
»Ja. Wir haben gehört, dass in zehn Tagen dein Uaneala-Fest steigt. Auch wenn wir das Wasser nicht ausstehen können, wir möchten trotzdem dabei sein.« Cotur atmete tief durch, bevor er infrage stellte: »Wie haltet ihr das hier unten nur aus?« Er schüttelte skeptisch seinen Kopf, wobei sich seine dünnen Haare wild hin- und herbewegten. »Egal, wie sieht’s aus?«
»Ich weiß es nicht. Opa hat gesagt, dass ich nicht jeden einladen kann, der mich darum bittet.«
»Papperlapapp, Nimue, ich und meine Familie sind doch nicht ein jeder. Wir sind die hochfürstliche Wachtelfamilie von der Zauberinsel Nord.«
»Wie groß ist deine Familie?«
»Ganz klein nur. Wir sind zwölf Wachteln und so winzig, dass wir nicht viel Platz brauchen.«
Nimue hatte noch nie etwas über eine hochfürstliche Wachtelfamilie von der Zauberinsel gehört, und doch mochte sie dieses kleine, hässlich aussehende Wesen auf Anhieb. Sie überlegte kurz, ihren Großvater zu fragen. Bei dem Gedanken fiel ihr jedoch auf, dass sie sicherlich schon wieder zu spät zum Abendessen kommen würde.
»Gut, Cotur, komm mit deiner Familie. Wo und wann …«
»Weiß ich alles«, unterbrach er sie, während er sich verbeugte. »Danke, Eure Hoheit. Wir freuen uns auf dein Fest.« Dann sprang er auf den geöffneten Fensterrahmen, und schwuppdiwupp war die Wachtel verschwunden.
Nimue schloss schnell das Fenster und lief zum Saal. Erneut hörte sie die Elfenstimmen sich zuprosten, bevor sie noch den Saal erreicht hatte. Nachdem sie eingetreten war, schwebte sie schnell zu ihrem Tisch.
Dort angekommen, ermahnte sie Aar: »Nimue, das sollte aber nicht zur Gewohnheit werden.«
Sie wusste, dass er von ihren vielen Verspätungen sprach und nickte ihm zu.
»Opa, die hochfürstliche Wachtelfamilie kommt auch.«
Er kannte die Familie und nickte ebenso. Darauf teilte er Nimue mit: »Morgen, meine Kleine, kommt mein Onkel Katar.«
»Ich weiß, Opa«, sprudelte es freudig aus ihr heraus.
Gleichzeitig wurde es ganz still am Tisch. Alle Anwesenden lauschten Aars Worten.
»Er kommt wegen dir und deines Geburtstags.« Aar fügte für die neugierigen Ohren hinzu: »Und natürlich auch, weil er uns alle wiedersehen möchte.« Dies rief eine Freude hervor, die er nun in einigen Gesichtern lesen konnte. Aus diesem Grund war er froh, es noch erwähnt zu haben. Danach wandte er sich wieder Nimue zu: »Ich möchte, dass du zwei Tage vor deinem Geburtstag einen Waldrundgang mit ihm machst. Geht das in Ordnung?«
Nimue bewegte ihren Kopf schnell auf und ab, während sie übers ganze Gesicht strahlte. »Natürlich, Opa, ich freu mich schon darauf.«
Der König, der dem Gespräch gelauscht hatte, lächelte Nimue zustimmend an. »Gut, meine kleine Nimue, das freut mich sehr«, bemerkte Seoras daraufhin bedächtig, »mein Bruder liebt die Natur. Bestimmt wird er das offene Meer vermissen.«
»Meinst du, Uropa?«
»Er schreibt Außergewöhnliches über den Ozean und die Kraft, die das Wasser ihm zukommen lässt. Man könnte meinen, der Ozean wäre seine große Liebe.« Seoras lacht.
»Ich werde ihm die schönsten Orte in unserem Wald zeigen. Da bekommt er bestimmt kein Heimweh.«
Seoras lächelte zufrieden. »Da bin ich mir sicher, meine kleine Nimue.«
Daraufhin versanken alle Anwesenden in ihre Gedanken, die sich hauptsächlich um Katar drehten. Die, die ihn nicht kannten, stellten sich vor, wie er wohl aussehen könnte. Die, die ihn kannten, freuten sich und schwelgten in Erinnerungen an ihn.
Nach dem Essen ging Nimue langsam den Arkadengang