Die Chiemsee Elfen. Yvonne Elisabeth Reiter

Die Chiemsee Elfen - Yvonne Elisabeth Reiter


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war­tend.

      Oona lach­te. »Kei­ne Angst, mei­ne Klei­ne, nichts, was dir Sor­gen be­rei­ten soll­te.«

      Dies war für Ni­mue eine äu­ßerst un­be­frie­di­gen­de Ant­wort. Was soll­te das hei­ßen: sich kei­ne Sor­gen ma­chen? Al­lein das Wort Sor­gen in die­sem Zu­sam­men­hang zu be­nut­zen, be­rei­te­te ihr schon ein un­an­ge­neh­mes Ge­fühl. Sie wuss­te, dass es sich nicht ge­hör­te, wei­ter nach­zu­fra­gen, konn­te ihre gro­ße Neu­gier­de aber nicht im Zaum hal­ten und frag­te un­ge­ach­tet des­sen: »Was ge­nau soll mir kei­ne Sor­gen be­rei­ten?«

      »Dar­über wird dir dein Ur­groß­va­ter be­rich­ten, Ni­mue. Hab Ge­duld.«

      »Aha«, dach­te sich Ni­mue, »jetzt ist es aus­ge­spro­chen.« Für sie war das eine kla­re Ant­wort, denn wenn sich ihr Ur­groß­va­ter da­mit be­schäf­tig­te, war es et­was Gro­ßes. Was auch im­mer groß be­deu­te­te, war ihr in die­sem Zu­sam­men­hang al­ler­dings nicht be­wusst.

      »Lass dei­nen Ge­dan­ken frei­en Lauf, mei­ne Klei­ne. Ein Wunsch soll sich dir zei­gen. Erst, wenn du dir zu hun­dert Pro­zent si­cher bist, mein Kind, lass uns dar­über spre­chen. Ich bin im­mer für dich da.«

      »Das ma­che ich, Oma.«

      Der Wunsch, zu rei­sen und bei Cara auf der Zau­be­r­in­sel zu le­ben, war na­tür­lich prä­sent. Doch Ni­mue dach­te auf ein­mal, war­um nicht meh­re­re Wün­sche in Be­tracht zie­hen, um die­se dann mit ih­rer Groß­mut­ter zu be­spre­chen.

      Als ers­tes kam ihr ein Pferd in den Sinn und zwar ein ganz be­son­de­res We­sen der Zau­ber­welt, das nur we­ni­ge be­sa­ßen. Es war schnel­ler, flin­ker, in­tel­li­gen­ter und grö­ßer als alle an­de­ren Pfer­de. Die El­fen nann­ten die­se Pfer­deras­se Tara, da Tara über­setzt Stern hieß, und ein sol­cher wies die­sen Ge­schöp­fen den Weg, um stets si­cher an ihr Ziel zu kom­men.

      Die­se Tie­re wa­ren be­son­de­re Be­schüt­zer ih­rer Be­sit­zer. Durch ihre aus­ge­präg­te Sen­si­bi­li­tät konn­ten sie Emo­ti­o­nen al­ler Art früh­zei­tig auf­spü­ren und bei Ge­fahr han­deln. Sie wa­ren wun­der­schö­ne Pfer­de, die durch ihre leicht grün-bräun­li­che Fa­r­be mit der Na­tur bei­na­he ver­schmol­zen. Ihre Ras­se be­saß die Fä­hig­keit, sich je­der Um­welt an­zu­pas­sen, und wenn sie woll­ten, konn­ten sie sich den Men­schen sicht­bar ma­chen. Das mach­ten sie je­doch nur sehr sel­ten und so wur­de vie­ler­orts auf der Erde von den ge­heim­nis­vol­len Wind­böen ge­spro­chen, die un­sicht­bar an ih­nen vor­bei­rausch­ten.

      »Un­er­klär­li­che na­tür­li­che Phä­no­me­ne« nann­te man sie, die die Men­schen mit na­tur­wis­sen­schaft­li­chen For­meln zu deu­ten ver­such­ten. Doch konn­ten sie die­sen Wind­s­tö­ßen nie auf den Grund ge­hen, und so blie­ben sie ih­nen ein ewi­ges Rät­sel.

      Das Bild ei­nes Tara-Pferds ver­schwamm vor Ni­mu­es Au­gen, wor­auf ihre Ge­dan­ken ab­schweif­ten. Sie mur­mel­te: »Be­deu­tet das Wort Gro­ßes im­mer et­was Po­si­ti­ves? Oder hat es wo­mög­lich mit mei­ner feh­len­den Dis­zi­plin zu tun, vor al­lem in Be­zug auf die­se dif­fu­sen Re­geln, die man­che Leh­rer auf­stel­len. Mein neu­er Kunst­leh­rer, viel­leicht hat er …?« – Ni­mue stock­te und schüt­tel­te den Kopf – »nein, das kann es nicht sein.«

      Ihr wur­de be­wusst, dass sie im Grun­de im­mer flei­ßig war. Au­ßer­halb ih­rer Un­ru­he und ih­rer manch­mal ab­leh­nen­den Art auf die für sie un­sin­ni­gen Schul­re­geln zu re­a­gie­ren, hat­te sie kei­ne Ab­mah­nun­gen er­hal­ten. Die für sie schlüs­si­gen Re­geln be­folg­te sie in der Tat.

      »Was kann es nur sein?«, frag­te sie sich dar­auf­hin wie­der und wie­der, ob­wohl sie sich doch ei­gent­lich mit ih­rem Wunsch be­schäf­ti­gen soll­te. Sie fand kei­ne Ant­wort und so fin­gen ihre Ge­dan­ken an, sich wild im Kreis zu dre­hen. Ein Wirr­warr von Mög­lich­kei­ten brei­te­te sich aus. Da­bei be­merk­te sie, dass sie lei­se vor sich hin­plap­per­te. Sie schreck­te auf und sah um sich. Im Raum herrsch­te eine ge­spens­ti­sche Stil­le. Sie dreh­te sich um und blick­te in die Au­gen ih­rer Ge­schwis­ter, die alle auf sie ge­rich­tet wa­ren. So­gar So­phia kon­zen­trier­te sich nicht mehr auf ihr Buch. In die­sem Mo­ment spür­te Ni­mue, wie sich ihr Nacken lang­sam zu­sam­men­zog.

      Oona be­merk­te ihre An­span­nung und ver­such­te, sie zu be­ru­hi­gen: »Kei­ne Angst, es wird dir ge­fal­len.«

      Die­se Aus­sa­ge be­ru­hig­te Ni­mue tat­säch­lich, denn es war ein­deu­tig kein Mahn­ruf. Trotz­dem war das Wort es im­mer noch un­de­fi­nier­bar. Hat­te sie viel­leicht über den Wunsch und nicht über das gro­ße, eh­ren­vol­le Et­was ge­spro­chen? Ni­mue fühl­te sich in­ner­lich zer­ris­sen, als ihre Groß­mut­ter auf­stand.

      Oona leg­te ihre Hand be­hut­sam auf Ni­mu­es lin­ke Schul­ter. »Komm, lass uns ins Ge­wächs­haus ge­hen.«

      Ni­mue folg­te ihr so­gleich, wäh­rend sie zu­stim­mend nick­te, denn das Ge­wächs­haus war der Lieb­lings­platz ih­rer Groß­mut­ter. Dort herrsch­ten zwi­schen all den Pflan­zen Stil­le und Ge­bor­gen­heit und so fan­den an die­sem Ort vie­le wich­ti­ge Ge­sprä­che statt.

      Im Gar­ten an­ge­kom­men, ent­deck­te Ni­mue mit Freu­de, dass die ver­schie­dens­ten Blu­men­ar­ten be­reits in vol­ler Pracht er­b­lüh­ten. Sie sah Pas­si­ons­blu­men, Ka­me­li­en, Li­li­en, Son­nen­blu­men, Ei­sen­hü­te, Ar­nika­kräu­ter, Glo­cken­blu­men, Stief­müt­te­r­chen und noch vie­le Pflan­zen mehr. Die Fa­r­ben ver­misch­ten sich vor ih­ren Au­gen, als ob ein bun­ter Blu­men­tep­pich vor ihr lie­gen wür­de.

      Nach die­ser Blu­men- und Kräu­ter­viel­falt durch­streif­ten sie einen Be­reich des Gar­tens, der ein­zig und al­lein den Ro­sen ge­wid­met war. Auch sie blüh­ten in ih­ren präch­tigs­ten Fa­r­ben. Ni­mue lä­chel­te bei die­sem schö­nen An­blick. Die Rose war ihre Lieb­lings­blu­me, vor al­lem die, die hell­ro­sa­fa­r­be­ne Blü­ten hat­te. Als sie eine sol­che ent­deck­te, blieb sie ste­hen, um an ihr zu rie­chen.

      »Dei­ne Blu­men sind so schön, Oma«, be­merk­te Ni­mue.

      »Dan­ke! Ich wür­de mich sehr freu­en, wenn du mir öf­ters bei der Pfle­ge hilfst.«

      Ni­mue nick­te zu­stim­mend, wäh­rend sie ihr in ein Ge­wächs­haus folg­te, in dem Ge­mü­se an­ge­baut wur­de. Als sie die­ses durch­quer­ten, sah sie durch ein Ab­trenn­glas eine tief­ro­te Fa­r­be schim­mern. Da­hin­ter wa­ren gro­ße To­ma­ten, die an Sträu­chern hin­gen und sie durch ihre Schwe­re nach un­ten drück­ten.

      »Oma, die sind aber groß ge­wor­den«, mein­te Ni­mue und deu­te­te auf einen Strauch mit vie­len un­ter­schied­lich gro­ßen To­ma­ten.

      »Das stimmt. Die­se be­son­ders saf­ti­ge Fleisch­to­ma­te ha­ben wir ex­tra für dei­nen Ge­burts­tag an­ge­baut«, er­wi­der­te Oona, »und auch den Rest, den du hier siehst. Das wird ein gro­ßes Fest, Ni­mue.« Sie zeig­te mit ih­rer Hand auf die vie­len un­ter­schied­li­chen Ge­mü­se- und Obst­sor­ten rund­her­um.

      Der Raum war groß und lang ge­zo­gen und an bei­den En­den mit Glas­schei­ben von an­de­ren Ge­wächs­häu­sern ab­ge­trennt. Auf ei­ner Sei­te er­blick­te Ni­mue in sorg­fäl­tig an­ge­bau­ten Rei­hen Ka­rot­ten, Lauch, Sel­le­rie, Kar­tof­feln und meh­re­re Sa­lat­sor­ten.


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