Wie ein Schmetterling im Käfig. Frauke Bielefeldt

Wie ein Schmetterling im Käfig - Frauke Bielefeldt


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der Ärzte und des Staates. Die Pharmaindustrie ist ein mächtiger Wirtschaftszweig, der wie alle anderen versucht, mit gutem Marketing möglichst viel und einträglich zu verkaufen. Dabei kommt es leider nicht immer auf die Nützlichkeit der Medikamente an.

      Manche Krankheiten werden sogar künstlich erfunden, wie Jörg Blech 2004 in seinem Buch Die Krankheitserfinder – Wie wir zu Patienten gemacht werden dargestellt hat. Er hat recherchiert, wie neue Krankheiten definiert werden, indem ein Befund, der früher als normal galt, als krankheitswertig erklärt wird. Alle Menschen, die in diesem Bereich liegen, werden plötzlich als behandlungsbedürftig angesehen. Ein bekanntes Beispiel ist der Cholesterinwert. Blech zeigt in seinem Buch, dass die Änderungen der Regelwertgrenzen oft mit der Entwicklung der entsprechenden Medikamente einhergehen. Krankheiten werden kreiert, damit Arzneien, die Abhilfe schaffen können, überhaupt erst auf den Markt gebracht werden können.17 2014 hat Blech übrigens nachgelegt mit dem Buch Die Psychofalle – Wie die Seelenindustrie uns zu Patienten macht, in dem er aufzeigt, wie auch im psychologischen Bereich willkürlich neue Diagnosen kreiert werden und viele Menschen unnötig für psychisch „krank“ erklärt werden.

      So haben Sie also die Nase voll von der Geschäftemacherei und suchen sich einen Arzt, der sich auf Naturheilkunde versteht. Doch Sie müssen feststellen, dass es hier ganz ähnlich zugeht. Unüberschaubar viele Hersteller bieten ihre Produkte an und jeder will Sie davon überzeugen, dass Sie etwas verpassen, wenn Sie seine Angebote nicht wenigstens einmal ausprobieren.

      Ständig neue Modewellen rollen über den Gesundheitsmarkt hinweg, zum Beispiel in Form von Nahrungsergänzungsmitteln und Wellnessprodukten. Erst schwor man auf Grapefruit, dann auf Teebaumöl, dann war Aloe vera in aller Munde und allen Regalen. Zurzeit sind es die verschiedensten Multivitamin- und -mineralienpräparate, deren Wirkung recht unterschiedlich ausfallen kann: Manche finden durch das Angebot an Vitalstoffen zu gesundheitlicher Stabilität zurück, andere merken gar nichts und bei schweren Erkrankungen können leider auch diese Produkte zu sehr unerwünschten Entwicklungen führen, da auch diese eigentlich „guten“ Dinge den Organismus überfordern, wenn er sie verarbeiten soll.

      Behandlungsangebote wie Darmspülungen, Sauerstofftherapie, Bioenergetik und Entgiftungskuren hören sich alle irgendwie gut an. Darüber hinaus findet sich zu jeder Kur wenigstens eine Person, die sie sehr empfehlen kann. Doch das geht alles ganz schön auf den Geldbeutel. Wenn Sie dann einmal kritisch nachfragen, bekommen Sie wahrscheinlich den Satz zu hören: „Ihre Gesundheit sollte Ihnen das wert sein.“ Manche Langzeitkranke sind durch immer neue Therapieversuche regelrecht verarmt, weil sie „erst mal wieder gesund werden“ wollten. Außerdem können manche harmlos klingenden Behandlungen richtig heftig nach hinten losgehen, zum Beispiel Entgiftungsversuche. Je schlimmer der Gesundheitszustand, desto größer das Risiko, dass Therapieversuche den Körper überfordern und man in der sogenannten Erstverschlechterung stecken bleibt, auf die man dann meist hingewiesen wird.

      Andere steigen tiefer ein in die Alternativmedizin und versuchen es mit Homöopathie, Akupunktur und Bachblüten. Die völlig anderen Heilungskonzepte verwirren sie und sie fragen sich, ob das alles nicht nur „Hokuspokus“ ist. Sie haben davon gehört, dass manche „Heil“-Methoden tief in religiöse Praktiken einführen, die zum Teil zu realem Kontakt mit Mächten führen, die es nicht gut mit ihnen meinen. Tatsächlich ist die Grenze zwischen natürlicher Anwendung und übernatürlicher Beeinflussung oft nicht leicht zu ziehen, weil viele Anbieter aus dem esoterischen Bereich kommen und ihr Vokabular entsprechend gefärbt ist. Manch einer sträubt sich, eine Therapie zu wählen, die seine kosmischen Energien auffrischen will, obwohl damit auch ganz normale Gesundungsprozesse gemeint sein können. Andere „spirituelle“ Angebote führen tatsächlich in dunkle Sphären und tiefe Abhängigkeiten von Gurus und auch dahinterstehenden Mächten, wie Menschen immer wieder berichten, die sich daraus befreien konnten.18

      So befinden Sie sich also in diesem Dschungel und fragen sich, wie Sie sich durch das Dickicht schlagen und die essbaren Früchte von den ungenießbaren und von den Schlingpflanzen unterscheiden sollen. Dazu müssen Sie den zu erhoffenden Nutzen mit den zu erwartenden Kosten abwägen: Welchen Aufwand kostet die Therapie? Gibt es Nebenwirkungen zu erwarten, wollen Sie diese in Kauf nehmen? Und wie sieht es auf der finanziellen Seite aus? – Viele Fragen, die Sie eigentlich kaum alleine lösen können. Umso wichtiger ist es, einen Arzt an der Hand zu haben, dem Sie vertrauen können.

      Ein neues Vertrauensverhältnis

      Zum Glück gibt es aber auch noch ein sechstes Szenario:

      Ihr Arzt hat Zeit für Sie, hört Ihnen zu, interessiert sich für Ihre persönlichen Umstände, ist kompetent und erarbeitet mit Ihnen ein Behandlungskonzept, das nach und nach Erfolge zeigt.

      Dieses Idealbild ist wohl selten ganz zu verwirklichen. Ärzte sind einem Berg an Sachzwängen ausgesetzt, sodass sie oft selbst darunter leiden, wie wenig Zeit ihnen letztlich für die Begegnung mit dem einzelnen Patienten bleibt. Mehr Zeit wünschen sie sich auch, um sich über medizinische Entwicklungen sorgfältig auf dem Laufenden halten und die Einzelfälle ihrer Patienten gründlich studieren zu können.

      Trotz dieser frustrierenden Realitäten kann es eine gemeinsame Basis geben, die es auch in Zeiten von Misserfolgen und Ratlosigkeit möglich macht, einander zu vertrauen. Dietrich Grönemeyer stellt die Beziehung zwischen Arzt und Patient in das Zentrum der Medizin zurück. Er will ein neues Verständnis schaffen und fordert, dass es wieder zu einem engen gegenseitigen Vertrauensverhältnis kommen muss. Vertrauen kann entstehen, wenn Arzt und Patient sich mit einer Portion Respekt begegnen und offen über die Belange des Patienten sprechen. Der Patient braucht Zutrauen in die Kompetenz des Arztes, das nicht nur durch Behandlungserfolge zu gewinnen ist, sondern auch durch Transparenz.

      Wer heilt, hat bekanntlich recht; aber auch wo es noch nicht zur Heilung gekommen ist, kann sich ein Patient dem Arzt anvertrauen, wenn er weiß, wie der Arzt die Lage einschätzt und warum er etwas tut. Ich empfinde ein solches Verhalten mir gegenüber als äußerst wohltuend und bin gerne bereit, Risiken und Fehlschläge mitzutragen, wenn ich vorher mit einbezogen worden bin.

      Der Arzt ist seinerseits genauso gefragt, seinen Patienten echtes Vertrauen entgegenzubringen. Aus privaten Gesprächen mit praktizierenden Ärzten weiß ich, dass sie ihren Patienten oft skeptisch gegenüberstehen. Da fallen Sätze wie: „Der stellt sich doch an!“, „Viele wollen sich nur krankschreiben lassen“ oder „Die Hälfte meiner Patienten kommt, weil sie niemanden zum Zuhören haben“. Sie haben es satt, die Seelsorger der Gesellschaft spielen zu müssen, zumal sie dafür überhaupt nicht ausgebildet sind. Und wenn dann der vierte Patient mit dem abstrusen Therapievorschlag aus der neuen Illustrierten wedelt und enttäuscht ist, wenn er als Arzt nicht sofort auf diesen Zug aufspringt, kommt auch schon mal der Vorwurf: „Wer hat denn studiert, er oder ich?“ Manche haben zudem einschlägige Erfahrungen mit überzogenen Erwartungen gemacht und haben sich auf die Haltung zurückgezogen, sich nicht an den Karren fahren zu lassen – sonst wird man am Ende noch verklagt.

      Vertrauen ist also auf beiden Seiten gefragt. Vonseiten des Arztes können schon Kleinigkeiten innerhalb der Praxisräume den Patienten vermitteln, dass sie hier als Menschen wahrgenommen werden: im Wartezimmer angenehme Sitzgelegenheiten statt harter Plastikstühle, dazu ein Wasserautomat, nette Pflanzen und Zeitschriften, die höchstens ein paar Wochen alt sind. Eine Terminorganisation, die wirksam darauf abzielt, Patienten nicht stundenlang warten zu lassen, zeigt, dass es hier nicht nur um den Arzt geht.

      Das Wichtigste ist eine offene Kommunikation. Wenn ein Arzt sich erst einmal anhört, welches Anliegen der Patient vorzutragen hat, oder nachfragt, wie sich seine Beschwerden seit den bisherigen Behandlungsmaßnahmen entwickelt haben (anstatt seine Nase nur in die Papierbefunde zu stecken), fühlt sich der Patient ernst genommen und kann mitarbeiten. Vielleicht gibt es wichtige Beobachtungen und Informationen, die nur er über sich weitergeben kann, etwa über Tagesverläufe und Symptomreaktionen. In gewisser Weise ist der Patient der Experte für seinen eigenen Körper und Mediziner kommen immer mehr darauf, dass es vernünftig ist, sein Wissen über sich mit einzubeziehen. So kämpfen beide gemeinsam gegen den eigentlichen Feind: die Krankheit.

      Der


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