Wie ein Schmetterling im Käfig. Frauke Bielefeldt

Wie ein Schmetterling im Käfig - Frauke Bielefeldt


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kommen wir zum letzten Szenario:

      Ihre Erkrankung entpuppt sich als komplexer, als Ihr Hausarzt zunächst angenommen hatte. Es kommt zu Reibereien zwischen Ihnen, weil Sie beide überfordert sind. Sie verstehen, dass Sie als Patient selbst aktiv werden müssen, und beginnen sich zu informieren. Nach und nach entwickelt sich eine Verständigungsbasis zwischen Ihnen. Ihr Arzt macht immer wieder Vorschläge, bezieht aber auch Ihre Eigeninitiativen mit ein.

      Es stellt sich heraus, dass Sie manche Aspekte mit anderen Fachärzten, Physiotherapeuten usw. angehen müssen und dass die „Zentrale“ für Ihren Behandlungsprozess letztlich bei Ihnen liegt. Sie lernen, diese Verantwortung anzunehmen und sich ein Beratungsnetz aufzubauen, sodass Sie Ihre Entscheidungen nicht völlig auf sich selbst gestellt treffen müssen. Sie lernen aber auch immer mehr, Ihrer Wahrnehmung zu vertrauen und Ihre Entscheidungen mit Ihrem Bauch, Kopf und Herzen abzustimmen.

      So werden Sie zu einem mündigen Patienten, der seine Erwartungen an die Ärzteschaft an die Wirklichkeit angepasst hat und sein Schicksal in die Hand nimmt.

      Dieser Zirkus kostet viel Kraft. Bringen Sie viel Geduld mit und lassen Sie sich nicht unterkriegen. Manchmal ist es sogar die beste Entscheidung, sich ein paar Wochen oder Monate vom Medizinbetrieb „Urlaub“ zu nehmen, indem man nur die nötige Dauermedikation aufrechterhält, um auch mal wieder für andere Seiten des Lebens freie Kapazitäten zu haben. Wenn Sie selten „Auslauf“ aus Ihrem Käfig haben, ist die wenige Zeit außerhalb zu kostbar, um sie ausschließlich in der Zirkusmanege zu verbringen.

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      Anstoß für Kranke

      Über diese Fragen kann ich nachdenken:

      imageBesteht zwischen mir und meinen Ärzten eine Vertrauensbasis?

      imageBin ich damit im Reinen, was mit meinem Körper therapeutisch gemacht wird?

      imageHabe ich mich genügend informiert?

      imageSind meine Erwartungen den Ärzten gegenüber angemessen?

      imageHabe ich gelernt, mich bei unangenehmen Begegnungen und Untersuchungen innerlich zu schützen?

      imageLebe ich eine Balance zwischen Eigeninitiative und Gelassenheit?

      imageGibt es etwas, das ich meinem Arzt gegenüber einmal ansprechen sollte?

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      Anstoß für Ärzte

      Die Zeit mit mir ist für den Patienten von großer Bedeutung. Wenn ich ihm von Mensch zu Mensch begegne, kann ich mich mit ihm gegen seine Krankheit verbünden. Ich möchte offen und verständlich sprechen und muss Grenzen meiner Kompetenz nicht verstecken.

      Kapitel 3

      Wo kommen die Brötchen her?

       Ich muss nun

       Doppelt so viel schlafen

       Ich kann nur noch

       Ein Viertel so viel arbeiten

       Aber ich habe noch

       Genauso viel Hunger

       Wie komme ich an meine Brötchen?

      Das nächste Problem, mit dem sich der kranke Schmetterling konfrontiert sieht, ist seine Versorgung. Wie soll er zu seinem Nektar kommen, wenn er nur noch selten auf die Blumenwiese fliegen kann?

      Krankheit wird, besonders wenn sie länger anhält, früher oder später auch zu einem finanziellen Problem. Zum einen fallen auf der Einkommensseite Einnahmen aus, zum anderen steigen die Ausgaben für die Gesundheit – auch die, die man nicht zurückerstattet bekommt: zusätzliche Fahrten, Zuzahlungen für Medikamente, nicht erstattungsfähige Therapien und Arzneien.

      Das deutsche Gesundheitssystem

      Dabei haben wir in Deutschland noch vergleichsweise hoch entwickelte Sozialsysteme, sodass wir nicht gleich vor dem finanziellen Abgrund stehen. Wer bisher sozialversicherungspflichtig beschäftigt war (also als Angestellter oder Beamter), kommt normalerweise in den Genuss folgender Absicherungssysteme:

      imageWenn ein Arzt Sie krankschreibt, bekommen Sie in den ersten 6 Wochen Ihr volles Gehalt vom Arbeitgeber weitergezahlt (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall).

      imageDanach springt die Krankenkasse mit dem Krankengeld ein. Parallel wird versucht, Sie über Rehamaßnahmen etc. in den Arbeitsprozess zurückzuführen. Das Krankengeld gilt für 72 Wochen, sodass man zusammen mit der Lohnfortzahlung für 78 Wochen (= anderthalb Jahre) abgedeckt ist.

      imageSehen Sie die Möglichkeit, einen Teil Ihrer bisherigen Arbeitszeit zu schaffen, können Sie eine Wiedereingliederungsmaßnahme in Anspruch nehmen: Sie steigen an Ihrem alten Arbeitsplatz mit einer Teilzeitbeschäftigung ein, die Sie je nach Vereinbarung stufenweise auf die alte Arbeitszeit erhöhen. Ihren Lohnausfall gleicht in diesem Fall die Krankenkasse anteilig aus. Der Prozess kann sich auf bis zu sechs Monate erstrecken und wird jeweils individuell mit dem Arbeitgeber vereinbart und ggf. nachjustiert (Hamburger Modell). Sie gelten in dieser Zeit weiterhin als krankgeschrieben, sodass die Krankenkasse weiterhin das Krankengeld zahlt.

      imageAls Drittes springt das Arbeitsamt ein: Solange Sie von Ihrem Hausarzt krankgeschrieben sind, haben Sie je nach Alter für 12–24 Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld 1.

      imageHindert die Erkrankung Sie langfristig daran, ins Berufsleben zurückzukehren, haben Sie gesetzlichen Anspruch auf eine krankheitsbedingte Frührente, die sogenannte Erwerbsminderungsrente. Das alte System der Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente wurde 2001 ersetzt durch die neue Erwerbsminderungsrente. Sie ist in zwei Stufen eingeteilt: Die teilweise Erwerbsminderungsrente erhält, wer zwischen 3 und 6 Stunden täglich arbeiten kann; die volle Erwerbsminderungsrente bekommt derjenige, der auch keine 3 Stunden täglich schafft. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit: Wer beispielsweise wegen einer Allergie nicht mehr in der Lage ist, einen bestimmten Beruf auszuüben, gilt als berufsunfähig (BU); wer so schwer eingeschränkt ist, dass er im Sinne des Gesetzgebers (mind. 3 Stunden werktäglich) gar nicht arbeiten kann, gilt als erwerbsunfähig (EU).

      Eine EU-Rente zu bekommen, ist oft ein extrem schwieriges Unterfangen, das für die meisten mehrjährige Auseinandersetzungen mit Gutachtern und Gerichten bedeutet. Außerdem werden diese meistens nur noch befristet bewilligt, in der Regel 2–3 Jahre. So beginnt für manche Patienten bald nach der ersehnten Zusage schon wieder der nächste Prozess, alles für die nötigen Unterlagen in die Wege zu leiten. Die Berechnung erfolgt wie allgemein bei der Rente nach


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