Parzival. Auguste Lechner

Parzival - Auguste Lechner


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allenthalben gekämpft und gerauft, ohne viel nach Recht und Gerechtigkeit zu fragen. Und dann … ja, da war drunten im Sarazenenreiche ein kleiner Knabe, den er noch nicht einmal kannte und der doch sein Sohn war. Nein, viel war die Ausbeute seines Lebens nicht wert, und wenn er starb, würde wohl niemand um ihn trauern als Tampanis und der Kapellan würde vielleicht für Gahmuret Anschewins arme Seele jeden Tag eine Messe lesen und Gott danken, dass er ihm endlich die Sorge um seinen leichtsinnigen Herrn abgenommen hatte.

      Ein bleiches Lächeln zog über Herrn Gahmurets düsteres Gesicht: Gott schien dem Kapellan gnädig zu sein und musste wohl beschlossen haben, dem liederlichen Lebenswandel seines Herrn mit sanfter Gewalt ein Ende zu machen. Oder konnte sich etwa König Gahmuret von Anschouwe irgendwo in der Fremde mit Räubern und Sarazenen herumschlagen und das Reich seinem Schicksal überlassen? Oder ziemte es sich vielleicht nur im Geringsten für den Gemahl der Königin Herzeloide und Beherrscher von Waleis und Norgals, wie ein fahrender Ritter im Abendland und Morgenland umherzustreunen?

      Es wurde Herrn Gahmuret siedend heiß. Er hatte noch keine Zeit gehabt, über diese Dinge nachzudenken. Aber als ihm das jetzt einfiel, dünkte ihn, er könnte es niemals ertragen, von nun an ein Gefangener von Pflicht und Sitte zu sein, und er empfand einen Augenblick die größte Lust, Saal und Burg und Hauptstadt schleunigst zu verlassen und in seine Freiheit zurückzukehren.

      Aber als er mit seinen trüben Gedanken just so weit gekommen war, hörte er ein leises Geräusch. Dicht neben ihm öffnete sich in der Täfelung eine schmale Tür, die er nicht bemerkt hatte, und Gahmuret sprang auf: Denn vor ihm stand die Königin. Und als er sie ansah, vergaß er im Handumdrehen Freiheit und Abenteuer und dachte nur noch, wie lieb und schön sie sei und dass er sehr glücklich sei, ihr Gemahl zu werden.

      Aber Frau Herzeloide schien durchaus nicht so glücklich, ihr Gesicht war sogar recht ernst und sorgenvoll und das Herz klopfte ihr laut. Sie warf einen ängstlichen Blick auf seinen tief gebeugten Kopf: Aber der sah nur sehr ehrfurchtsvoll aus, und als er sich endlich wieder aufzurichten wagte, merkte die Königin mit Verwunderung, dass sich dieser Herr Gahmuret seit seiner Ankunft auf eine sonderbare Weise verändert hatte.

      Sie war fast zornig über ihn gewesen, als er vor drei Tagen angeritten kam mit seinem prahlerischen Aufzug und umgeben vom Ruhm des großen ritterlichen Abenteurers, der an allen Höfen über ihn umging. Später sah sie ihn kämpfen. Da bekam sie Angst und wünschte, er möchte doch nicht siegen: Denn dann müsste sie ihr Versprechen halten und ihn zum Gemahl nehmen.

      Aber er siegte dennoch. Da ließ sie ihn zu sich rufen, weil … ach, sie wusste nicht genau, warum. Vielleicht, damit es schnell vorüber sei, was doch einmal sein musste. Und jetzt? Da stand er mit seinem mageren braunen Gesicht und den feuchten Haarsträhnen über der Stirn, ein wenig verstört und verwirrt und sehr jung. Gahmuret sah sie nur an; und sein wildes Herz wurde mit einem Male ganz still und traurig: Denn in diesem Augenblick begriff er, dass er Frau Herzeloide niemals zur Gemahlin nehmen durfte, weil er sie sehr unglücklich machen würde, so unstet und leichtsinnig, wie er nun einmal war.

      Sie meinte, er denke an König Galoës, als sie den Kummer in seinen Augen las.

      »Es tut mir leid, dass du deines Bruders wegen traurig sein musst«, sagte sie behutsam.

      Da richtete er sich auf: Es war viel besser, wenn es zu Ende ging, ehe es noch begonnen hatte.

      »Ich danke dir, Herrin. Es ist nicht nur meines Bruders wegen. Ich – ich muss dir etwas sagen, wenn du mich anhören willst.«

      Dann saß sie neben ihm auf der Bank und Gahmuret erzählte. Er erzählte von Belakane und ihrem Sohn, vom Kalifen und Ipomidon von Babylon, von den Abenteuern im Morgenland und in den Ländern jenseits des Nordmeeres. Und wie es ihn immer und überall wieder fortgetrieben habe ohne Rast und Ruh. »Ich weiß nicht, warum, Herrin. Aber ich fürchte, ich werde keinen Frieden finden bis an mein Ende. Und darum kann ich dich nicht bitten, meine Gemahlin zu werden. Ich habe drei Tage um dich gekämpft, weil ich wusste, dass ich dich mein Leben lang lieb haben müsste, als ich dich zum ersten Male sah. Ich wünsche dir alles Glück der Welt: Ich aber würde dir nur Unglück bringen. Darum will ich morgen wieder fortreiten von hier, nach Anschouwe, und versuchen, ob ich König sein kann, bis – bis ich eines Tages wieder fortmuss.« Sie saß ganz still da, als er schwieg. Es war längst dunkel geworden im Saal, ein Streifen Mondlicht wanderte langsam über das Gebälk, die Jungfrauen der Königin waren dreimal gekommen, um sie nach ihrem Schlafgemach zu geleiten, und dreimal wieder fortgeschickt worden.

      Endlich stand sie auf und ging hinüber in den Erker. Er sah sie an der Säule lehnen, ihr weißes Gewand schimmerte und hinter ihr standen die Sterne draußen in der Nacht.

      Als sie zu reden anfing, war ihre Stimme sehr ernst.

      »Vor drei Tagen wünschte ich noch, du möchtest nicht siegen: Denn ich hatte Angst vor dir, nach allem, was ich über dich wusste. Heute weiß ich noch mehr; aber ich bin dennoch froh, dass du gesiegt hast, und ich will mein Wort einlösen. Du sollst mir nichts versprechen, was du doch nicht halten könntest. Nur eins: Wenn du in die Fremde reiten musst, willst du dann immer wieder zu mir zurückkehren?«

      »Immer. Solange ich lebe!«, antwortete er schnell: Denn dies war das Einzige, was er sicher wusste. Aber es war viel zu wenig. Darum fügte er noch hinzu: »Und ich schwöre dir, ich will alles tun, um nicht fortzumüssen, aber –«

      »So ist es gut«, sagte sie nur.

      Sie kam aus dem Erker herab, als abermals die Jungfrauen mit den Leuchten in der Hand eintraten, und schickte sich an, mit ihnen fortzugehen. Einen Augenblick blieb sie vor Gahmuret stehen.

      »Verzeihe mir, dass ich versäumt habe, dich gebührend zu begrüßen, als du kamst«, sagte sie ernsthaft, aber ihre Augen lächelten dabei.

      Freilich, es war gewiss nur höfische Sitte, als sie ihn auf beide Wangen küsste. Aber Herr Gahmuret vermochte es nicht zu glauben und das machte ihn sehr glücklich.

      Bevor noch dieser Sommer zu Ende ging, hielten sie zu Konvoleis Hochzeit. Gahmuret wurde König von Waleis und Norgals und sieben Tage danach waren sie unterwegs nach Süden, um sich in der Hauptstadt von Anschouwe krönen zu lassen. Es war ein endloser Zug von Königen, Fürsten, Grafen und Rittern mit ihrem Gefolge, die ihnen das Geleit durch das Frankenreich gaben, und mancher von ihnen blickte mit heimlicher Bitternis auf die schöne junge Königin und gönnte sie und ihre Länder Herrn Gahmuret nur sehr ungern. Aber es war alles nach Rittersitte zugegangen und darum mussten sie schweigen. Dass die Sitten einer Zeit manchmal Unsitten sind und dass man um eine Frau nicht mit Waffen kämpfen sollte, daran dachte niemand. Sie nahmen sich aber vor, Gahmuret wohl im Auge zu behalten: Denn nur ein Narr konnte doch glauben, dass dieser unstete Geselle von heute auf morgen sesshaft geworden sei. Und irgendwo im Zuge ritt der Kapellan und betete, dass es wahr sein möchte: Aber daran glauben konnte er auch nicht. –

      Dennoch schien es so.

      In der Königsburg zu Anschouwe verstrich die Zeit, ohne dass irgendetwas die junge Königin beunruhigte. Gahmuret nahm seine Pflichten wahr, ritt im Lande umher, verteilte Lehen und saß zu Gericht. Der Winter kam und ging. Gahmuret schien glücklich und zufrieden und Frau Herzeloide vergaß allmählich ihre Sorgen, weil ihr Gemahl niemals von seinen früheren Abenteuern sprach und weil er sogar verboten hatte, dass die Sänger, die an den Hof kamen, davon erzählten. Nur er allein wusste, warum er dies tat: Er wollte nicht mehr daran erinnert werden, er hatte Angst. Angst, dass es eines Tages wieder über ihn kommen würde und dass er dann fortmüsste und alles Glück zerstört wäre.

      Als die Tage hell und warm wurden, begannen sie, davon zu reden, dass man bald wieder nach Norden reisen müsse, um in Waleis und Norgals nach dem Rechten zu sehen. Aber bevor es zu dieser Reise kam, geschah etwas.

      Von den Türmen der Königsburg riefen eines Abends die Hörner der Wächter. Sie riefen oft, denn es war viel Kommen und Gehen in der Burg. Aber als die Königin Herzeloide dieses Rufen vernahm, horchte sie auf und eine Stimme in der Tiefe ihres Wesens sagte: Gefahr.

      Sie erhob sich schnell und trat auf den Söller hinaus. Gahmuret folgte ihr, aber er schien nicht sonderlich neugierig, wer da käme.

      Ehe


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