10 Galaktische Abenteuer Box 4. divers
Satelliten«, betonte Nici das Wort spöttisch, »scheinen aber wichtige Fakten nicht registriert zu haben. Denn obwohl die Raffinerie seit Jahrzehnten stillstand, gab es weit unter ihr beunruhigende Aktivitäten. Es gab eine verborgene Station, ein großes Labor. Die Einrichtungen dieser Station waren nicht von dieser Welt …«
»Der Posten einer außerirdischen Intelligenz?«, fragte Agent Beck.
»Osh-Mecc«, erwiderte Jericho tonlos. Mehr sagte er nicht und ließ seine Äußerung wirken. Kaum sichtbar befiel Beck innere Unruhe.
»Wissen Sie, was Sie da sagen, Mister Blane? Ist Ihnen bewusst, welche Konsequenzen das mit sich bringen kann?« Der GSA-Agent holte hörbar Luft. »Sind Sie sich absolut sicher, dass die Osh-Mecc in die Sache verwickelt sind?«
»Nicht nur verwickelt«, antwortete Nicoleta Belà an Jerichos statt. »Sie sind die Urheber. Die Anlage bestand vollständig aus Osh-Mecc-Technik. Rosgard hat es uns verraten. Außerdem gab es in dem Labor, das wir entdeckten, jede Menge dieser Datenkristalle, von denen Sie einen seit geraumer Zeit untersuchen, ohne seinen Inhalt ergründen zu können.«
»Rosgard hat mit den Fremden kooperiert?« Beck schien bestürzt, auch wenn seine Miene dies nicht ausdrückte.
»Er hat sich ihre Technik angeeignet«, verbesserte Nici. »Ohne wirklich zu verstehen, wie sie funktionierte, hat er sie benutzt. Wir haben die Auswüchse seiner Experimentierfreudigkeit am eigenen Leibe erfahren. In der Raffinerie tummelten sich scheußliche Kreaturen, die das Ergebnis einer Kreuzung zwischen Mensch und Osh-Mecc waren.«
»Dennoch will ich den Aspekt nicht ausschließen«, betonte Beck, »dass Rosgard indirekt für die Zwischenfälle mit den ›Schatten‹ verantwortlich sein könnte. Falls er den Osh-Mecc den Weg zur Infiltrierung unserer höchsten Ämter geebnet hat, erhebt ihn das in den Status des Weltfeindes Nummer eins. Allerdings …« Beck überlegte.
»Worauf wollen Sie hinaus?« Nici hatte eine böse Ahnung.
»Die Gen-Industrie ist ein wichtiger Zweig unserer Wirtschaft«, erläuterte der Agent. »Millionen Menschen nutzen Gen-Präparate; die Gen-O-Matics sind als leistungsfähige Arbeitskräfte nicht mehr wegzudenken.«
»Sie sind eine Gefahr«, sagte Nici kalt. »Die Degenerierung ihres Erbgutes ist nur eine Frage der Zeit. Wir haben eine Bedrohung erschaffen, derer wir nicht mehr Herr werden.«
»200 Millionen Menschen in jeder METROCITY«, bekräftigte Jericho mit tiefem Bass. »Jeder Einzelne ein potenzielles Risiko. Aber solange Sie Prämien zahlen, schicke ich die Durchgeknallten in den Ruhestand.«
»Die Situation in unserer Gesellschaft lässt sich nicht von heute auf morgen bereinigen«, setzte Beck zu einer Erklärung an. »Wir würden die Ordnung demontieren, nähmen wir die Präparate vom Markt. Der Prozess ist in Gang gesetzt und zu einer Lawine geworden. Unsere Bemühungen können also nur auf Schadensbegrenzung hinauslaufen. Genau das bewerkstelligen Sie beide. Alle weiterführenden Konsequenzen müssen auf andere Art und Weise behandelt werden. Eine Art und Weise allerdings, von der niemand auf Entscheiderebene eine blasse Vorstellung hat.«
»Da ist doch noch mehr«, warf Nici energisch ein. »Ich habe genau gemerkt, wie Ihre grauen Zellen in Bewegung geraten sind, als ich die Verschmelzung menschlicher und extraterrestrischer DNS erwähnte.«
Der GSA-Mann schürzte die Lippen.
»Denken Sie an die Möglichkeiten«, bekannte er. »Nicht nur, dass wir unseren Gegner besser verstehen lernen, nein – wir könnten aus einem völlig neuen Gen-Pool schöpfen, die In-vitro-Gezüchteten verbessern und in neue Dimensionen biogenetischer Schöpfungskraft vordringen.«
Nicoleta starrte den Agent stumm an. Schließlich fand sie ihre Stimme wieder.
»Sie denken an einen militärischen Einsatz«, sagte sie ihm auf den Kopf zu. »Effizientere und leichter kontrollierbare Kampfmaschinen. Kriegsführung auf höchstem Niveau.« Nici verzog abfällig die Oberlippe.
»Wie auch immer Sie das interpretieren wollen, ermöglicht uns die fremde Technologie eine enorme Weiterentwicklung. Sie wird in vielfältiger Weise nutzbar sein.«
»Vergessen Sie nicht, dass der Komplex zerstört worden ist.«
»Das«, erwiderte Beck vieldeutig, »erfordert eine neue Herangehensweise. Ich werde das mit den zuständigen Abteilungen erörtern. Nichtsdestotrotz haben Sie wertvolle Einrichtungen zerstört, was Ihren privilegierten Status beeinträchtigen könnte.«
»Sind wir jetzt die Bösen?«, erregte sich Jericho. »Es ging um Leben und Tod. Da hatten wir nicht viel Auswahl.«
»Sie sind Interessenvertreter der globalen Regierungsgewalt«, unterstrich Beck. »Nur aus diesem Grund tolerieren wir Ihre Eskapaden, Mister Blane. Denken Sie, Sie könnten sich sonst wie ein Psychopath in der Öffentlichkeit aufführen?«
»Meine besonderen Fähigkeiten, wie Sie immer betonen, haben Sie doch bisher stets für Ihre Zwecke genutzt und sind gut dabei gefahren.« Der Söldner blieb erstaunlich gelassen, obwohl es in ihm brodelte.
»In Ihrem Fall handelt es sich um eine Kosten-Nutzen-Rechnung«, belehrte ihn der Agent. »Dahinter steckt ein mathematisches Prinzip. Sollte die Rechnung unter dem Strich nicht mehr stimmen –«
»Schon verstanden!«, fuhr Jericho dazwischen. »Ich mache mir ebenfalls Gedanken, ob ich weiterhin eine Unbekannte in Ihrer Gleichung sein möchte.«
»Sie sind zornig«, lenkte Beck ein. »Halten Sie lediglich den Ball flach, damit wir unsere Zusammenarbeit fortführen können. Schließlich wollen beide Seiten von einer solchen Kooperation profitieren.«
»Hatten Sie nicht ebenfalls Neuigkeiten für uns?«, wollte Nici das Gespräch in eine erfreulichere Richtung lenken.
»In der Tat«, bestätigte Beck. »Und erst unter Berücksichtigung Ihrer Erkenntnisse macht unsere Entdeckung Sinn. Im Golf von Mexiko konnte ein krakenähnliches Wesen geortet werden. Laut unserer Messungen hatte das Tier eine Ausdehnung von annähernd achtzig Metern. Wir gehen davon aus, dass es für den Untergang der MS ›Commonwealth‹ verantwortlich ist. Setzen wir weiterhin voraus, dass es sich um eine Mutation aus den Laboren der Rosgard-Forschung handelt, ist Rubin Rosgard mehr oder weniger selbst an dem Verlust seiner Fracht schuld. Durchaus denkbar, dass er sich dieses Umstands nicht bewusst ist.«
»Laut eigener Aussagen tappt er im Dunkeln«, berichtete Nici.
»Wurde das Ungeheuer vernichtet?«, fragte Jericho.
»Bedauerlicherweise ist es unseren Sensoren entkommen«, gab der Agent zu. »Wohin es sich entfernt hat, ist uns nicht bekannt.« Der GSA-Mann knetete seine Finger. »Was den Jungen angeht –«
»Naud!«, sagte Nici energisch. »Dieser Junge hat einen Namen. Er ist ein Individuum und keine austauschbare Komponente in Ihrem vielgepriesenen System.«
»Nun, haben Sie sich Gedanken gemacht, was seine Zukunft angeht?« Agent Beck zog einen PDA aus der Jackentasche und überflog die Anzeigen auf dem Display. Offenbar hatte er eine Mitteilung erhalten. »Er ist der Sohn von Linda und Jeremy Henderson. Sein Vater hat in der Entwicklungsabteilung der Rosgard-Stiftung gearbeitet. Ich will diesen Umstand nicht dramatisieren, aber der Junge – Naud – könnte sich zu einem Sicherheitsrisiko entwickeln.«
»Er weiß nicht viel über die Arbeit seines Vaters«, sagte Nici. »Außerdem setzt dies nicht voraus, dass er in dessen Fußstapfen tritt.«
»Dennoch sollte er unter Beobachtung bleiben«, hielt Beck an seiner Meinung fest. »Haben Sie dahingehend konkrete Vorstellungen? Ansonsten könnten wir das übernehmen.«
»No chance!«, erwiderte Nicoleta herrisch. »Wir kümmern uns drum.«
Jericho rieb sich das Kinn und schmunzelte plötzlich.
»Ich denke, mir ist da gerade eine Idee gekommen …«
*
Zehn Minuten später startete das Aero-Car unter Vollschub vom Gelände der Maschinenfabrik.