Der neue Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman. Michaela Dornberg
Person, die sie derzeit war, die sie nicht mehr sein wollte.
Irgendwann hatte Nicki das Gefühl, dass es an der Zeit für sie war, zu gehen. Es war alles gesagt worden. Außerdem mussten die Kinder ins Bett gehen, sie sahen müde und erschöpft aus, und morgen würde die Schule wieder beginnen.
Verrückt, dass ihr solche Gedanken durch den Kopf gingen. Nicki stand auf, verabschiedete sich einzeln von ihnen, und als sie zur Tür ging, hielt sie noch einmal inne, drehte sich um und sagte: »Ob ihr es nun glaubt oder nicht, ich werde euch in schönster Erinnerung behalten, mit euch, das war eine wundervolle Zeit, und …«, ihre Stimme brach ab, »es … es tut mir alles wirklich …, es tut mir … leid.«
Dann rannte sie davon, bekam nicht mit, dass Peter und Maren ihr folgen wollten. Sie sprang in ihr Auto und fuhr los.
Tränen verschleierten ihren Blick, nahmen ihr die Sicht. Zum Glück herrschte um diese Zeit im Sonnenwinkel so gut wie kein Verkehr mehr. Die Leute waren daheim. Außerdem musste Nicki nicht weit fahren. Wie unter einem inneren Zwang lenkte sie ihr Auto zum Doktorhaus.
Roberta hatte keine Ahnung davon, dass sie im Sonnenwinkel war. Sie hatte ja zuvor ebenfalls keine Ahnung gehabt, es war eine spontane, sehr emotionale Entscheidung gewesen. Es war allerdings etwas, was sie nicht bereute. Dieser Besuch bei den Bredenbrocks war notwendig gewesen, für alle Beteiligten.
Es war auf jeden Fall richtig, aber es tat unglaublich weh, ja, das tat es wirklich …
*
Vermutlich musste man bis an seine Grenzen gehen, sei es nun körperlich oder emotional, um in der Lage zu sein, plötzlich Klarheit über etwas zu haben, was einem im Unterbewusstsein längst klar war, was man aber immer beiseitegeschoben hatte.
Nicki war wie vom Blitz getroffen!
Ja, das war es!
Das würde sie tun!
Sie stieg ein wenig benommen aus ihrem Auto, lief durch den Vorgarten, hastete zur Haustür, und schon wollte sie aus alter Gewohnheit klingeln, als sie sich darauf besann, dass sie einen Hausschlüssel hatte.
Ein wenig umständlich holte sie den aus ihrer Tasche, und dann zögerte sie kurz.
Konnte sie Roberta jetzt einfach überfallen? Diese Frage war nicht unberechtigt, sie weinte sich immerzu bei ihrer Freundin aus. Auch Freundschaften durfte man nicht überbeanspruchen.
Sie schloss auf, trat in die Diele. Durch einen Spalt der Wohnzimmertür drang ein Lichtschein.
Nicki atmete tief durch, dann lief sie auf die Tür zu, stieß sie auf, trat ein.
Überrascht blickte Roberta hoch. Sie war gerade mit der Akte einer Patientin mit einer Diabetes I beschäftigt. Das war eine Krankheit, die durchaus gut behandelbar war, man konnte die Patienten richtig einstellen. Doch dann mussten die Patienten auch diszipliniert sein, und das war diese Patientin leider nicht.
Roberta klappte die Krankenakte zu, blickte Nicki an und sagte: »Nicki, was ist los? Du siehst aus, als sei dir der Leibhaftige begegnet.«
Nicki begann zu schluchzen, und das veranlasste Roberta, aufzustehen, auf ihre Freundin zuzueilen, sie beruhigend in die Arme zu nehmen.
»Nicki, was ist passiert?«, erkundigte sie sich noch einmal.
Nicki kämpfte ihre Tränen nieder, beruhigte sich, dann befreite sie sich aus den Armen ihrer Freundin, ließ sich in einen Sessel fallen.
»Roberta, kann ich heute Nacht hierbleiben? Hast du Zeit, mir zuzuhören? Es ist etwas passiert.«
So war sie, die Nicki, sie liebte Dramatik.
»Nicki, welche Frage, du kannst kommen und gehen wie du willst, das weißt du. Und habe ich dir schon einmal nicht zugehört?«
Nicki schüttelte den Kopf.
»Also gut, dann hole ich dir jetzt etwas zu trinken.«
»Ich brauche nur ein Glas, ich trinke von dem Rotwein, der auf dem Tisch steht, und da ich ja heute nicht mehr fahren muss, bekomme ich vorher einen Schnaps? Den brauche ich jetzt, auch wenn du so etwas immer in Abrede stellst.«
Roberta holte ihr ein Glas, dazu schüttete sie Nicki einen Grappa ein, und der stand noch nicht einmal, als Nicki sich den schnappte und herunterkippte.
Den Wein rührte sie erst einmal nicht an, nachdem Roberta einen Augenblick gewartet hatte, blickte sie Nicki an. Die riss sich zusammen, und dann erzählte sie von ihrem Besuch bei den Bredenbrocks.
Sie hatte es also wirklich beendet!
Nicki hatte das Gefühl, dass Roberta damit nicht so ganz einverstanden war, deswegen versuchte sie, sich ein wenig zu rechtfertigen.
»Roberta, hier geht es doch nicht um eine kurze Liebe, die man jederzeit beenden kann. Es ist eine Entscheidung fürs Leben. Wenn Kinder dabei sind, sollte es zumindest so sein. Ich habe mir vorher nicht wirklich ernsthafte Gedanken gemacht. Aber es ist halt so, Väter und Kinder bekommt man nur im Paket. Ich kann die Verantwortung einfach nicht tragen. Ich hoffe, Peter und die Kinder halten mich jetzt nicht für leichtfertig, nicht für wankelmütig, sondern nehmen mir ab, dass es mich überfordert hätte.«
Roberta antwortete nicht sofort, sie musste es erst einmal verdauen. Doch Nicki deutete das Schweigen ihrer Freundin falsch.
»Du kannst mein Verhalten nicht verstehen, nicht wahr? Du hältst mich für wankelmütig, flatterhaft. Du denkst, ich hätte es mir vorher überlegen sollen. Roberta, ich habe mich ernsthaft bemüht. Vielleicht wäre es ja weitergegangen, Peter hat mich mit seinem Heiratsantrag vollkommen überrumpelt.«
»Nicki, hör auf, dich zu rechtfertigen. Hinterher ist man immer schlauer, und vielleicht ist es ja gut, dass du es jetzt wirklich beendet hast, denn was dich heute belastet, belastet dich in ein paar Wochen, Monaten noch immer. Es hat dich bestimmt viel Kraft gekostet, aber das hast du gut gemacht. In solchen Situationen kann nur die Wahrheit helfen. Einen Vorwurf kann man dir machen. Du gehst einfach zu schnell Liebesbeziehungen ein, von denen du dir etwas erhoffst, was es in Wirklichkeit nicht geben kann. Hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht? Ich denke an Roberto, an den Grafen Hilgenberg, nun an Dr. Bredenbrock. Es sind alles gute, gestandene Männer, und dennoch lässt du dich auf nichts ein. Und bei Roberto und dem Grafen kannst du keine Kinder vorschieben, die hatten keine, als sie mit dir zusammen waren beziehungsweise zusammen sein wollten.«
Nicki griff nach ihrem Weinglas, trank einen großen Schluck.
»Du musst nicht weiter reden, Roberta, es trifft alles zu. Ich habe einen Entschluss gefasst, und um nicht wankelmütig zu werden, habe ich, ehe ich zu dir ins Haus kam, bei meinem Chef fristlos gekündigt.«
Roberta wollte eigentlich auch etwas trinken, doch sie stellte ihr Glas erst einmal ab.
Hatte sie sich verhört?
Das musste sie hinterfragen.
»Nicki, du hast was getan?«
Beinahe trotzig sagte Nicki: »Du hast schon richtig verstanden. Ich habe fristlos gekündigt.«
»Nicki, bist du von Sinnen? Das ist ein toller Job, du verdienst gut, hast viele Freiheiten, die Arbeit macht dir viel Spaß. So etwas gibt man nicht einfach aus einer Laune heraus auf. Willst du wieder selbstständig sein, jedem Auftrag hinterher jagen? Es war doch so beruhigend für dich zu wissen, dass du jeden Monat deine Miete pünktlich zahlen kannst, ohne Klimmzüge zu machen. Nicki, ich glaubte bisher, dich einigermaßen zu kennen, das jetzt begreife ich nicht. Warum?«
Nicki zögerte.
»Roberta, halte mich jetzt nicht für verrückt, für überspannt. Es arbeitet schon länger in mir, ich habe es nur immer