Der Meermann. Niels Brunse
des Herrn und seinen fein gearbeiteten Reitstiefeln deutlich unterschied –, mich auf sein Pferd zu setzen und dorthin zu bringen, wo ich hingehörte.
Ich protestierte, aber der Baron beugte sich vor und versetzte mir einen leichten Schlag mit der Reitpeitsche. Der Diener grinste. »Hoch mit dir!«, befahl der pausbäckige Adlige.
Ich sah mich rasch um. Ich hatte keine Chance. Ich konnte ihnen nicht entkommen, weder auf der Straße noch in dem übrigen Gelände, das aussah, als gäbe es dort festen Grund. Ich schäumte vor Wut, dass der Baron mich behandelte wie Pastor Strongworths rechtmäßiges Eigentum, wie ein entlaufenes Schaf; aber ich hatte keinen Zweifel, dass die Reitpeitsche mich beim nächsten Mal härter treffen würde, wenn ich weiterhin protestierte. Irgendwie gelang es mir, das linke Bein über den Pferderücken zu bringen. Der Diener griff hinter sich und half mit einem unsanften Ruck an meinem Hemd nach, im selben Augenblick gab er seinem Pferd die Sporen und setzte seinen Galopp auf dem staubigen Weg fort.
Ich konnte nicht reiten – ich lernte es erst später – und klammerte mich mit beiden Armen an den Leib des Dieners, um nicht herunterzufallen. Ich verlor meinen Schnappsack, während die Knochen des Pferdes und mein Steißbein zusammenprallten und ich mir die Schenkel an dem steifen, hohen Sattel aufschürfte. Wo Mylord und sein anderer Domestik blieben, weiß ich nicht – aber schließlich wurde ich am Pfarrhof abgesetzt, mürbe und wund, der Diener packte meinen Arm und führte mich ins Haus. Der Pastor kam aus seinem Studierzimmer und der Bursche meldete kurz: »Wir fanden ihn auf der Straße«, grüßte und ging.
»Master John«, sagte Strongworth, als wir im Studierzimmer allein waren, »du bist hier im Haus kein Gefangener und ich kann dir nicht verbieten zu gehen. Doch ich möchte dir sehr zuraten zu bleiben. Es sind schlechte Zeiten, es wird schwer für dich werden, eine Möglichkeit zu finden, dich selbst zu ernähren. Hier hast du zumindest Nahrung und Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Das Land ist in Aufruhr, der Krieg kann schon bald wieder aufflammen, und wenn du nicht zwangsausgehoben oder von einem Söldner, dem du im Wege stehst, getötet werden willst, dann bleib. Versteck dich hier und der Herr wird seine Hand über dich halten.«
Es hörte sich an, als würde mir die Gnade des Herrn nur dann zuteil, wenn ich auf dem Pfarrhof blieb statt mich in der Welt herumzutreiben. Ich antwortete nur kurz angebunden, als er fortfuhr, auf mich einzureden. Schließlich schickte er mich hinaus, jedoch ohne irgendein Zeichen von Zorn. Ich hatte den Eindruck, dass er mich gern behalten hätte, da ich unterhaltsam und obendrein ein billiger Sekretär war; allerdings konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht recht deuten.
Einige Tage später fragte ich ihn ganz direkt, ob er mir einen Empfehlungsbrief für irgendjemanden in London geben könne, dann würde ich selbst sehen, wie ich dorthin käme. Er lehnte es umgehend ab. Ich fragte warum, doch er erwiderte nur, so wäre es am besten.
Zumindest wusste ich nun, woran ich bei ihm war.
Lediglich den Fischern vom Strand konnte ich mich anvertrauen. Mittlerweile hatte ich das Gefühl, dass sie die Einzigen waren, die mich als einen Menschen und sogar als einen Freund ansahen. Ihre erste Furcht und Skepsis war völlig verschwunden, zumal mir die Haare auf meinem Kopf und am Körper wieder wuchsen. Obwohl es noch lange dauern sollte, bis ich die Langhaarfrisur vorweisen konnte, die die meisten Männer hier trugen, sah ich jedenfalls wieder mehr nach einem Mann als nach einem kahlen Fabelwesen aus. Fischer John half mir sogar jeden Sonntag bei der Rasur, denn ich besaß weder ein Rasiermesser noch hatte ich Geld, um den Schmied des Dorfes zu bezahlen, der neben seinem eigentlichen Beruf den Leuten auch Zähne zog und den Bart schabte.
Während einem meiner sonntäglichen Besuche bekannte ich, wie sehr ich es leid war, vorgezeigt zu werden, und erzählte von meiner Sehnsucht, etwas anderes zu sehen als das begrenzte Leben von Winterton. Sie hörten zu, und während John mir mit seinem sorgfältig geschliffenen Messer Wangen und Kinn rasierte und ich gezwungenermaßen still sitzen musste und den Mund zu halten hatte, hielt er einen kleinen Monolog.
»Doch, ich verstehe dich, mein Freund John. Als ich jünger war, verspürte ich auch diese Sehnsucht, ja, das tat ich. Ich wollte die Welt sehen, ich wollte Seemann werden und in ferne Länder reisen. Aber mein Vater war Fischer wie sein Vater vor ihm, und das Fischen hatte ich gelernt, Seemänner gab es genug. Und so übernahm ich sein Boot, dies da, das dort drüben steht …«, er wies mit dem Messer auf die Hütte, die aus halben Schiffsrümpfen gezimmert war, »… später bekam dann ich mein eigenes Boot, zusammen mit Jock, das war teuer genug, aber das alte leckte und so sehr wir es auch abdichteten, es half nichts. Aber gesehnt habe ich mich, damals, als ich jung war. Doch dann heiratete ich Meg, und mein Platz war hier, nun ja, wir beklagen uns nicht. Aber du bist ganz allein und das ist auch nicht gut für einen Mann; ich verstehe dich, mein Freund John. Ich wünschte, wir könnten dir helfen.«
»Wenn ich nur ein Boot hätte«, sagte ich, als John nach der Rasur das Messer zusammenklappte. »Ich kann nicht reiten und auf der Landstraße kann mich jedermann anhalten. Aber ich kann segeln. In einem Boot würde ich schon nach London kommen.«
»Ein Boot zu finden ist nicht so leicht«, warf Will ein, der auf einer Tonne saß und dem Gespräch zugehört hatte.
»Nein, das ist nicht leicht«, bestätigte Meg.
»Und ich habe kein Geld, ich kann nicht einmal bezahlen, um mir eines zu leihen«, sagte ich. »Also was soll’s.«
Wir versanken in grübelndes Schweigen.
»Erzähl mir eine Geschichte«, bettelte Harry.
Eines Abends, als wir nach dem Essen allein waren, bat ich Pastor Strongworth mir zu erklären, warum es im Land Unruhen gab und Kriegsgefahr bestand. Er ging bereitwillig darauf ein, doch mit einer derartigen Unmenge an Details, dass ich rasch den Überblick verlor und einfach nur versuchte, so viel wie möglich zu begreifen. Ich verstand, dass die Anhänger des Königs in der Defensive waren und der König selbst sich in einer Art Gefangenschaft des Parlamentsheeres befand. Außerdem hatten die Puritaner die Macht im Parlament, aber sie waren untereinander zerstritten. Und vor allem gab es ein theologisches Schisma zwischen Presbyterianern und Unabhängigen, das den Pastor sehr beschäftigte – obwohl beide Parteien die hochkirchlichen Laudianer hassten, die nach Laud benannt waren, dem erst kürzlich hingerichteten Erzbischof von Canterbury. Es folgte eine Unzahl weiterer Namen und Bezeichnungen von Gruppierungen, und allmählich begriff ich, dass das politische Leben in England zu der Zeit, in die ich geraten war, mindestens ebenso verworren erschien wie in einer modernen Demokratie. Sogar absolutistische Monarchen und mächtige Feldherren mussten vorsichtig agieren. Mir fiel auf, dass Strongworth mit keinem Wort den Namen Cromwell erwähnte, sondern von Fairfax als oberstem General des Parlamentsheeres sprach. Möglicherweise habe ich mich früher einmal besser erinnert, aber so weit habe ich seine Erklärungen noch im Gedächtnis behalten. Schließlich fragte ich ihn, welcher Fraktion der Kirche er angehöre.
»Das ist eine schwierige Frage«, antwortete er zögernd. »Die Presbyterianer sind Recht und Gesetz am nächsten, aber die Unabhängigen stehen möglicherweise Gottes Wille näher.« Er seufzte und als würde er plötzlich das Bedürfnis verspüren, sich jemandem anzuvertrauen, fügte er hinzu: »Mein Freund Hugh Peters suchte in ebendieser Sache meinen Rat, ebenso wie viele andere.«
Es wurde mir klar, dass die umfangreiche Korrespondenz des Pastors mit seinen Amtskollegen und das intensive Ausleihen von Büchern, aus denen ich zu kopieren hatte, nicht nur der Zeitvertreib eines Dorfgeistlichen war. Strongworth war offenbar eine Art Koryphäe, die in den heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Puritaner für Argumente sorgte. Damals verstand ich noch nicht, dass um nichts Geringeres als die Vollendung der englischen Reformation und damit um enorme soziale Konsequenzen gekämpft wurde. Auch war mir nicht ganz klar, obwohl ich gerade von Erzbischof Laud gehört hatte, dass dieser Streit um theologische Prinzipien für die Teilnehmer durchaus auf Leben oder Tod hinauslaufen konnte.
»Was hilft’s?«, erklärte ich nonchalant. »In einigen Jahren sitzt Karl II. als König auf dem Thron.«
»Halt den Mund!«, brüllte Strongworth und schlug auf den Eichenholztisch, dass die Zinnteller hüpften. »Wenn ich dich noch einmal prophezeien höre, werde ich dich verprügeln!«
Ich