Revolution. Viktor Martinowitsch
hinter mir zur Druckwelle aus – der Pajero hatte mich erwischt. Der Stoß war heftiger als der Zusammenprall mit dem Jaguar – hatte es mich da nur nach vorn geworfen, hob es jetzt den ganzen Rosenbaum aus und bog ihn auseinander. Sein Boden hob sich und stand schief in der Luft, mein Gleichgewichtssinn drehte durch, als wäre ich zu lange Karussell gefahren. Wo der Asphalt gewesen war, stand jetzt eine Hauswand, wo die Hauswand gestanden hatte, waren Nachthimmel und Straßenlaterne. Der Gurt straffte sich und hielt mich, ich schwebte nämlich über dem Lenkrad. Der Mitsubishi hatte noch bremsen können und dabei ordentlich Tempo gelassen, das half aber nichts. Mit der ins Heck gegrabenen Seilwinde hob er den Rosenbaum hoch, um ihn anschließend plattzumachen und ihn noch weiter in den lädierten Jaguar hineinzudrücken. Meine zerknitterte Kühlerhaube hing jetzt auf dessen Fahrerseite, der Fahrer selbst hing im Gurt.
Von meiner Stirn troff heißer Schweiß, tiefrot gefärbt. Der in diesem verzerrten Raum diensteifrig unter mein Gesicht getauchte gesprungene Rückspiegel zeigte mir, dass ich ein Auge verloren hatte. In der schwarzen Höhle steckte eine Glasscherbe, ach nein, das war nur das Lid, das geschlossene Lid, und auf ihm, kaum einen Kratzer hinterlassend, tatsächlich eine Scherbe, aber nicht Glas, sondern Spiegel. Ich pflückte sie ab, stellte fest, dass alles heil war, Auge und Lid, und die Beine bewegten sich, und die Arme schmerzten, und Rosenbaum sang.
Der Fahrer des Jaguars klickte seinen Gurt auf, kroch aus den Trümmern, richtete sich schwankend auf und schüttelte den Kopf. Ich bedachte ihn mit einem warmen Blick – nach allem, was wir soeben durchgemacht hatten, kam es mir vor, als kennte ich ihn schon mein Leben lang.
Ich langte nach dem Türgriff, und der komplette Mechanismus, das Schloss, die ganze Verriegelung, fiel einfach heraus wie die Zahnprothese aus einem Totenschädel. Die Tür hatte es dermaßen verzogen, dass unten ein zentimeterbreiter Spalt klaffte und die Angeln nur noch ein Klumpen gestauchten Metalls waren – die bekam man jetzt höchstens noch mit dem Schneidbrenner auf. Die Frontscheibe war weg, aber das Seitenfenster noch da, und eben dort wollte ich hinaus, weil es über den Motorraum direkt in den üppig mit meinem Glas bestreuten und mit einer Mischung von Säure aus der zerquetschten Batterie, siedend heißem Öl und weiß der Teufel was benetzten Jaguar ging.
Ich griff nach der Fensterkurbel und machte ein paar Umdrehungen, die Scheibe senkte sich knirschend in die platt gedrückte Tür und blieb nach zwei Dritteln stecken. Ich kroch durch die Lücke und lernte dabei, dass ein von Blut und Schweiß überströmter Körper viel besser durch enge Spalten rutscht als ein trockener. Kopf, Schultern und die obere Hälfte meines Rumpfes hatte ich schon befreit, nur der Fuß klemmte immer noch irgendwo, wollte einfach nicht aus den Pedalen heraus, und so hing ich strampelnd fest. Der Fahrer des Jaguars umrundete, nachdem er sein Jackett ausgeklopft und glatt gestrichen hatte, rasch sein zusammengestauchtes Vintage-Raubtier, kam auf mich zu – ich legte den Kopf in den Nacken und schaffte es wohl auch noch zu sagen: »Hab’s überlebt.«
Statt der erwartbaren Frage, ob bei mir noch alles ganz sei, holte der kurz gewachsene Mann im dunklen Jackett mit weißem Hemd und schwarzen, gelockten Haaren über der hohen Stirn aus und knallte mir einfach so, mit Schwung, seine Faust gegen den Kiefer. Kein harter Schlag, aber sein Ring zerkratzte mir die Wange. Und sogleich sah ich das sonderbare Rennen in allen Einzelheiten wieder vor mir. Ich wollte schreien: »Was war denn das für eine Scheiße?« Aber halb aus dem Seitenfenster eines WAZ 2105 hängend Hühnchen rupfen zu wollen, ist so ziemlich das Dümmste, was einem einfallen kann.
Unterdessen war aus dem Pajero hinter mir ein bulliger Typ in Anzug und dunklem Hemd ausgestiegen, eine Art Sumoringer, der sich nach zehn Jahren in Russland assimiliert hatte. Geschäftstüchtig kam er auf mich zu und stellte mir mit einem kurzen Nicken den Schläger vor: »Pjotr Wikentjewitsch.«
Der Sumotori nahm vor ihm Haltung an.
Offenbar wurde von mir erwartet, dass ich, aus dem Fenster hängend wie Pu der Bär aus dem Kaninchenbau, mich nun meinerseits mit Pjotr Wikentjewitsch bekannt machte und ein gepflegtes Gespräch über die Vorzüge moderner japanischer und britischer Fahrzeuge gegenüber den moralisch veralteten Hervorbringungen der vaterländischen Automobilindustrie anknüpfte. Stattdessen fuhrwerkte ich weiter strampelnd im Fahrgastraum herum, um mich aus dem vernichtend geschlagenen Greis zu befreien. Nicht zu vergessen über dieser wortlosen Szene das lyrische »Kak tschasto wishu ja son, moi udiwitelny son, w kotorom ossen mne tanzujet wals-boston.«
Mir schweigend den Rücken zugewandt, schaute Pjotr Wikentjewitsch zu dem Sumotori auf und sagte knapp: »Fünfzigtausend.«
»Sind Sie sicher?«, fragte der ironisch zurück. »Günstiger geht’s wohl nicht?«
»Fünfzigtausend«, wiederholte er und ging, ohne sich noch einmal nach mir umzuwenden, mit schnellen Schritten zur nächsten Gasse, bog darin ein, verschwand aus meinem Gesichtsfeld und ließ nur Vor- und Vatersnamen zurück, die sich mir bis an mein Lebensende einprägen sollten.
Kaum hatte sich der Fahrer entfernt, war auch das Ironische aus den Zügen des Sumotori verschwunden. Er kam mit einem eher erschöpften Ausdruck auf mich zu. Wieder rechnete ich mit der Frage, ob ich mir nichts gebrochen hätte, aber stattdessen packte er mich am Kragen. Nicht wie eine Katzenmutter ihr Junges, sondern wie ein Löwe das Lamm, das er schon gerissen hat und jetzt zum Fressplatz schleppt, an Nacken, Jackett und Hemd zugleich. Er packte mich, als hätte ich unter meiner Kleidung einen Tragegriff, riss mich mit einem kräftigen Ruck aus dem Autofenster und trug mich, ohne auch nur daran zu denken, mich loszulassen, einfach so zu seinem Jeep. Das Blut schoss mir in den Kopf, ich brüllte, wollte mich empören, streckte Arme und Beine von mir, um mich loszureißen oder wenigstens abzufangen, sollte er mich einfach auf den Asphalt stürzen lassen. Aber der Sumotori hatte einen festen Griff, er hatte nicht vor, mich freizugeben oder fallen zu lassen. Er öffnete die Tür, warf mich auf die Rückbank, und ich flog tatsächlich im Bogen durch die Luft, flog wie ein Hündchen, halb erstickend an meiner Erregung, das Wort »Miliz« rufend, als könnte die Miliz in dieser Stadt in solchen Situationen auch nur irgendetwas ausrichten. Er umrundete den Jeep, der meinen Rosenbaum zusammengefaltet hatte, ohne selbst Schaden genommen zu haben, von etwaigen Kratzern an der Seilwinde einmal abgesehen, startete und drehte die Musik lauter, in der ich einen mir bekannten Elektroniksound erkannte (Prodigy?). Dann setzte er scharf zurück, dass das angehobene Hinterteil meines Rosenbaums scheppernd auf die Erde schlug. Ich fürchtete schon, er würde beim Aufprall einfach auseinanderfallen. Ist er vielleicht auch.
Ich rief, das wäre quasi eine Entführung. Dass wir den Unfallort nicht verlassen dürften. Ich fing wieder von der Miliz an. Ich packte ihn sogar an der Schulter, wollte ihn am Fahren hindern. Aber er griff seinerseits, ohne sich umzusehen, meine Finger und bog sie einfach nach hinten, dass ich von einer kochenden Schmerzwelle überrollt wurde, vom Sitz auf die Knie rutschte und, als er wieder losließ, zurückkroch, die Beine unterschlug, sie mit den Armen umfasste, die Hose blutbefleckt, und verstummte, nicht mehr schrie, es half ja nichts, hier nicht, niemand konnte es hören, nur der Sado-Sumotori würde wieder böse.
Wir rasten durch Moskau, verstießen gegen alle möglichen Geschwindigkeitsbegrenzungen, bogen in Prospekte ein, überquerten Brücken, passierten lange Garagenreihen, fuhren an Betonwänden voller Graffiti entlang, die eher Aggressivität als Ästhetik verrieten. Ich hatte Schwierigkeiten zu folgen, mein Kopf war so schwer, als wären unter den Brauen dunkle Gewitterwolken aufgezogen, irgendwo im Hinterkopf grummelte es auch schon, und ich war kurz davor, mich hier mitten in den Innenraum zu übergeben (nicht auszudenken, was der Bulle dann mit mir anstellen würde).
Der Jeep bremste langsam ab, während er an einem stacheldrahtbewehrten Dreimeterzaun entlangfuhr. Es sah ganz danach aus, als würde ich direkt ins Untersuchungsgefängnis gesteckt, wo ich wegen Verschandelung des Jaguars einer wichtigen Persönlichkeit mit Blaulicht über beiden Ohren für vierzehn Tage in einer Zelle verschwinden sollte. Aber von wegen – das Tor, an dem wir hielten, sah eher wie die Zufahrt zum Lager eines Handelskonzerns aus, ja selbst das orangefarbene Blinklicht, das die bevorstehende Öffnung des Tores anzuzeigen hat, war da, es blinkte, und das Tor öffnete sich. Hinter dem Tor tauchten mehrere unbeleuchtete Plattenbauten auf, deren triste Anmutung keinen Zweifel daran ließ, dass sie mitten in den besonders stahlbetonhaltigen Jahren der sowjetischen Architekturgeschichte errichtet (oder bei diesem Gebäudetypus eher »hingestellt«)