Revolution. Viktor Martinowitsch
und Platz nahm.
Moment mal. Ich wedelte mit dem Lauf, um deutlich zu machen, dass ich gewissermaßen bewaffnet war, wedelte allerdings, ohne recht an meine eigene Stärke, meine Bewaffnung zu glauben, und er brummte: »Pack das Spielzeug zurück in den Safe!«
Das Ganze mit einer Beiläufigkeit, die mir verdeutlichte, dass ich selbst mit Panzerpatronen in der Trommel keine Bedrohung für ihn darstellen könnte. Und sollte ich es dennoch versuchen, bekäme er keinen Schreck, sondern bestenfalls einen Lachanfall. Also schob ich die Pistole schnellstens wieder in den Safe und machte mich mit dem Ausdruck eines braven Bürgers, den die Drogenaufsicht zu Hause beim Abpacken von hundert Gramm Marihuana erwischt hat, daran, ihm zuzuhören.
»In den finsteren Neunzigern«, fing er an und verlieh seinem runden Gesicht mit den schmalen Augenschlitzen einen Anschein von Weisheit, »hätten wir dich für so eine Nummer achtkantig aus der Wohnung gekickt, du Pisser. Hast du gesehen, was du aus Pjotr Wikentjewitschs Sammlerstück gemacht hast?«
»Was ich gemacht habe?«, blaffte ich zurück. Ich versuchte, mich zu ereifern. »Was habt ihr denn selber gemacht? Sie sind mir doch hinten drauf, was sollte denn der Scheiß? Und der … Selber schuld, wenn er so scharf bremst!«
Er hörte mich an, als wäre er der Arzt in einer psychiatrischen Klinik und ich der frisch eingelieferte große Lyriker Iwan Besdomny.
»Sicherheitsabstand einhalten, Genosse Fahrer. Hast du die Plakate nicht ordentlich gelesen, du Flachpfeife?«, fragte er gutmütig.
Ich verschluckte mich an meinen Gegenargumenten, während er stur seine Linie weiterfuhr.
»Also. Zwei Probleme: Erstens hast du keine Wohnung. Zweitens haben wir nicht mehr die finsteren Neunziger.«
Meine Gesäßmuskulatur entspannte sich leicht. Anscheinend sah alles doch nicht ganz so düster aus, wie ich gedacht hatte.
»Heute werden die Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft und …« Er hatte Mühe, das Format unserer Beziehung in Worte zu fassen, seinen Status und meinen, und brachte den Gedanken nach einer kurzen Pause folgendermaßen zu Ende: »… und zwischen der Wirtschaft und dem Rest der Welt ausschließlich auf der Grundlage von Recht und Gesetz geklärt.«
Bei seiner Formulierung »Recht und Gesetz« kam mir sofort meine Haftpflicht in den Sinn, und ich beruhigte mich vollends. Aber er meinte etwas anderes.
»Dir ist schon klar, dass keine Police den Schaden abdecken kann, den du Vollpenner angerichtet hast. Da ist bei hunderttausend Riesen Schicht im Schacht, und du hast hier locker für zweihundertfünfzig abgeliefert. Oder noch mehr, weiß gar nicht genau, was die Karre grad kostet. Und was man beim Flohmarkt noch für die zwei Räder kriegt, die du übrig gelassen hast. Aber die Leute haben entschieden, mit dir, Ficker, menschlich umzugehen. Keine Ahnung, wieso, ist nicht mein Bier. Du hast es gehört: Du schuldest uns nur fünfzigtausend. Ganz ehrlich, ich hätte bei dir dreimal so viel rausgeholt. Und wär immer noch für mich im Recht. Aber wenn es fünfzig heißt, dann eben fünfzig. Und wenn du Pfeife das Geld nicht in drei, ach egal, in fünf … ja, normal gibt es fünf … Also, wenn du uns diese fünfzigtausend in fünf Tagen nicht abgeliefert hast, weißt du, was wir dann mit dir machen?«
Da orgelte sein Telefon eine ausgesprochene Schmachtmelodie, und eine klebrige Frauenstimme sang »A tyyyyyy …«, aber schon hatte sie der Sumotori wieder abgewürgt, kurz und knapp wie ein Ringrichter beim Boxkampf.
»Ah, der Genosse Oberst!« Diese Begrüßung klang bei ihm nicht kriecherisch, eher kumpelhaft, es war zu spüren, dass er mit dem »Genossen Oberst« schon seit Jahrzehnten per Du war. »Wir wollen grade drüber sprechen. Ich stell mal auf laut, kann er mithören.«
Und er drückte auf den Freisprechknopf und gleichzeitig noch auf drei unwillig maunzende Knöpfe, bei seinen Pranken hätte er Tasten von einem halben Meter gebraucht.
Aus seinem Telefon war unter leichtem Störgeblubber zu hören: »Welche Personendaten denn noch? Meldeadresse weißt du schon. Liiert mit einer Kellnerin. Arbeitet richtig in der Universität. Nach seinem Sozio- und Psychogramm, bei seinem Einkommen, passt am besten Entwendung von Kommunikationsmitteln. Und laufende Verfahren haben wir wahrscheinlich auch. Da hängt noch eine Anzeige der Bürgerin M. S. Wolobujewa, gemeldet in Sokolniki, komplett durch und bearbeitet. Zeugenaussagen sind da, nur der Tatverdächtige muss noch eingetragen werden, der passt doch genau. Entwendung eines Mobiltelefons mit einem Schätzwert von siebenhundert Tacken, setzen wir im Gutachten noch hoch, dass ihr zufrieden seid, also, ohne strafverschärfende Umstände läuft das auf fünfe im allgemeinen Vollzug raus. Passt das?«
»Ist doch pillepalle fürs Erste. Wenn er dann rauskommt, geben wir ihm noch mal fünf Tage zum Geldeintreiben. Danach drücken wir ihm sieben rein, wenn er’s wieder nicht packt«, antwortete der Sumotori gut gelaunt.
»Am Eingang kommt er gleich ins Auto, das regeln wir«, erklärte sein Gesprächspartner.
»Verstanden, Genosse Oberst! Danke für die Hilfe! Dann geben wir ihm fünf Tage, und ihr macht schon mal die Zelle klar.«
Das Mondgesicht unterbrach die Verbindung und grinste mich hämisch an. »So, du hast alles gehört, Professor. Da bei euch in den Universitäten haben sie dir wohl beigebracht, was fünf Tage sind. Du kannst natürlich versuchen, aus Moskau abzuhauen, aber wir finden dich sowieso, und dann reden wir nicht mehr nach Recht und Gesetz, bestimmt nicht. Fünfzigtausend in fünf Tagen, ganz simpel. Heute ist Dienstagabend. Sonntag Punkt achtzehn Uhr hast du die Kohle. Also ich. Klar?«
Die ganze Zeit, seit diese Zahl gefallen war, saß ich völlig perplex da, unfähig, auf ihr Hin und Her zu reagieren. Die Summe war jenseits von Gut und Böse, selbst ein Zehntel davon wäre das noch gewesen. Ich hatte keine fünfzig- und auch keine fünftausend, auch dreitausend hätte ich erst in einem halben Jahr zusammengekratzt. Und ich überlegte, ob ich nicht gleich sagen sollte, es gibt kein Geld und wird auch keins geben, ich bekomme das nicht zusammen, ob ich nicht gleich in die Zelle gehen sollte. Aber dann musste ich an dich denken, Olja, ganz fest. Ich musste daran denken, dass fünf gemeinsame Tage … dass das sehr viel ist, weißt du?
Das Mondgesicht schubste mich schon aus dem Gebäude, schob mich schon zum Tor.
»Dann mal los, geh Flaschen sammeln, oder wie ihr Professoren euch sonst eure Brötchen verdient. Wir haben dich im Blick. Wenn du das Geld früher zusammenhast, kriegen wir das mit und gehen aktiv an dich ran. Du siehst schon, wir haben dich schön in der Hand. Aber mach hin, klar? Sonst packst du’s nicht bis Sonntag! Die Kolonie ist für die einen trautes Heim, Glück allein, den anderen, Typen wie dir, bricht sie gern mal das Genick. Weißt schon, was sie da mit solchen Gerippen … Also los, auf geht’s!«
Das Tor schwang auf, direkt davor wartete ein Taxi auf mich, in das ich mich setzte, ohne zu wissen, wo ich es hinschicken sollte, also bat ich es in die Kopjowski-Gasse, ich musste schließlich einsammeln, was vom Rosenbaum noch übrig war. Dort angekommen sah ich, dass der von Glassplittern umgebene leckende Metallhaufen nicht mehr da war, nur noch eine Ölpfütze und ein paar Splitter, die hier, mitten im Zentrum von Moskau, noch eine Woche, einen Monat liegen konnten, bis sie der Regen mitnahm. Die Straßenwacht hatte die beiden kalten Leichen entfernt und dabei sicher anständig gefeixt: dass ein Exemplar der niedrigsten Kategorie die Krone der Evolution aus der höchsten dermaßen zugerichtet hatte, zu komisch! Ich trauerte meinem Rosenbaum nach, trauerte aufrichtig im Andenken an den kunstledernen Innenraum mit seinem aus den Nähten platzenden Fahrersitz, dem einem Kinderbaukasten entsprungenen Spielzeuggetriebe.
Ein Anruf bei der Verkehrspolizei ergab, dass sie die Überreste zu einem kostenpflichtigen Verwahrplatz geschleppt hatten und ein Liegetag in dieser Leichenhalle mehr kostete als die Rosenbaum’schen Überreste, dass mein Geld für die eine Übernachtung dort noch ausreichen würde, aber wie sollte ich ihn dort wegbekommen? Wie den Abschleppdienst bezahlen? Und wohin mit ihm? Und ich verabschiedete mich von dem verstorbenen Greis, verabschiedete mich befleckten Herzens, verabschiedete mich im Bewusstsein, mich zu versündigen, und versuchte, mich damit zu reinzuwaschen, dass meine eigene Lage noch weitaus verzweifelter war. Und ich dorthin nicht zuletzt dadurch geraten war, dass er nicht hatte bremsen können. Überhaupt würde