Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen. Daniela Vogel
verändert, aber, das, was ich dort im Wasser gesehen hatte, war nahezu unmöglich. Wie konnte ich in dermaßen kurzer Zeit, um so viele Jahre altern? Es gab dafür keine Erklärung. Ich war zu nichts mehr zu gebrauchen. Meine Gedanken rasten durch meinen Kopf. Ich dachte, ich hätte den Verstand verloren. Dann kam mir der Idee, Roxane hätte mich nicht richtig über die Dauer meiner Gefangenschaft aufgeklärt. Aber, wieso war sie dann nicht gealtert? Daraufhin schlich ich mich zu meinem Haus, wo ich dann auch meiner Frau und den Kindern begegnete. Alle waren nur unwesentlich älter. Als sie mir dann auch noch einen Dukaten zuwarf, war es mit meiner Selbstbeherrschung endgültig vorbei. Ich war ein gebrochener Mann. Ich wollte nur noch sterben, aber, selbst das war mir nicht vergönnt. Ich schlich durch die Straßen und bettelte die Reisenden an. Dort fand mich dann schließlich Euer Freund. Er gab mir etwas zu Essen und nahm mich mit in seine Herberge. Ich glaube, er war der erste Mensch, der mir das Gefühl gab, mir meine Geschichte zu glauben. Er behandelte mich nicht, wie einen verrückten Aussätzigen.« Edward schwieg. Auch Ruben und die anderen schwiegen. Nur das Klatschen der Wellen und das Knarren der Schiffsplanken unterbrach hin und wieder die bedrückende Stille.
»Ich glaube, jetzt habe auch ich einen Schluck nötig!« Lukas brach als Erster das Schweigen. Er verließ die Kabine und kehrte, kurze Zeit später, mit einer Flasche Rum zurück. »Ich schätze, das hier«, er hielt die Flasche in die Höhe, »hilft besser, als jeder noch so gute Wein!« Daraufhin entkorkte er sie und verteilte ihren Inhalt auf vier Becher. Drei schob er vor die anderen Männer, den Vierten behielt er in seiner Hand. Schließlich hob er ihn theatralisch empor. »Auf unseren Freund! Möge er jeden Tag eine gute Tat vollbringen!«
»Wollt Ihr ihn verspotten? Das hat er nicht verdient!« Edward sprang, so schnell es seine alten Knochen zuließen, wütend von seinem Stuhl. Er wollte den Raum verlassen, doch Marcus hielt ihn zurück.
»Ihr könnt Euch beruhigt wieder setzen! Lukas fehlt das nötige Feingefühl. Selbst wenn seine Bemerkung Euch gegolten hätte, so hätte er sie mit Sicherheit nicht so gemeint! Das ist eben seine Art, mit Geschichten dieses Schlages umzugehen! Der eine wird schwermütig, der andere nachdenklich. Unser Freund hier hingegen versucht es mit Sarkasmus!« Edward wirkte nachdenklich, dann jedoch setzte er sich erneut.
»Ach ja, da ist noch etwas, was ich Euch sagen soll. Ich hätte es jetzt beinahe vergessen! Euer Freund lässt Euch ausrichten, Ihr sollt hier auf ihn warten. Er rechnet damit, dass er für sein Vorhaben ungefähr zwei Wochen benötigt. Da er vor zehn Tagen abgereist ist, nehme ich an, dass er in spätestens vier Tagen wieder hier in Andrass eintrifft. Nachdem er seinem Diener den Befehl gegeben hatte, als Bote nach Barwall zu reisen, hörten wir einige Tage später Gerüchte über das Verschwinden eines Boten. Er wollte sich Gewissheit verschaffen und den Dingen selbst auf den Grund gehen. Er meinte, ich solle mir keine Sorgen machen, aber, es gäbe da etwas, was keinen Aufschub mehr duldet. Er könne beim besten Willen nicht länger warten. Was er mir genau damit mitteilen wollte, kann ich Euch auch nicht sagen. Er hat nicht weiter mit mir über diese Angelegenheit gesprochen, und immer wenn ich auf dieses Thema lenken wollte, kamen nichts als Ausflüchte über seine Lippen. Ich habe ihn gewarnt, förmlich angefleht, nichts zu überstürzen, doch, egal welche Argumente ich auch vorbrachte, er wollte nicht auf mich hören. Er ist noch in derselben Nacht aufgebrochen.«
»Habt Ihr in der Stadt die Berichte der Herolde gehört?«
»Ihr meint, was sie über die Vorfälle in Barwall verkünden? Sicher, wie hätte ich auch meine Ohren davor verschließen können? Die ganze Stadt ist in Aufruhr. Alle reden von nichts Anderem … Meint Ihr etwa ...? Verdammt! Er bricht nach Barwall auf und kurze Zeit später versucht jemand die Königin zu ermordet und entführt die Prinzessin. Wenn man dann eins und eins zusammenzählt, …! Könnte er es gewesen sein? Ihr kennt ihn schließlich wesentlich länger und somit, so hoffe ich wenigstens, auch sehr viel besser als ich!« Ruben runzelte die Stirn. Er war sich dessen nicht mehr so sicher.
»Nachdem, was Ihr uns erzählt habt, müssen wir wirklich mit dem Schlimmsten rechnen.«
»Würdet Ihr ihm eine solche Tat zutrauen?«
»Ich weiß es nicht! Bei Gott, ich wünschte, ich könnte das Eine oder das Andere mit Bestimmtheit behaupten, doch meine Zweifel wachsen stetig!« Der alte Kaufmann schluckte, während er nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
»Würdet Ihr mir einen Gefallen tun?« Ruben sah ihm ins Gesicht. Edward legte seine Stirn in Falten und fixierte den Jüngeren. »Es soll Euer Schaden nicht sein!«, fügte dieser schnell hinzu.
»Junger Mann, was haltet Ihr von mir? Mache ich den Eindruck, als wären Gefälligkeiten für mich nur eine bequeme Einnahmequelle? Wäre ich dann einfach so, auf Euer, sagen wir einmal, ungewöhnliches Schiff gekommen, nur um Euch eine Nachricht zu übermitteln?« Edward sprang auf. »Ich hätte genauso gut meinen Lohn nehmen und verschwinden können. Nachdem, was in Barwall geschehen ist, hätte doch keiner von Euch von meiner Existenz gewusst. Ebenso wärt Ihr Euch weiterhin im Unklaren darüber, wo Euer Freund steckt und sein Siegel hätte mir bei den ansässigen Goldschmieden wahrscheinlich ein Vermögen eingebracht. Glaubt mir, es wäre ein Leichtes für mich gewesen, einfach zu verschwinden. Ihr habt es Euch offenbar zur Aufgabe gemacht, mein Ehrgefühl zu verletzen! Ich habe es nicht nötig ...!«, er lief zur Tür.
»So habe ich das nicht gemeint!«, lenkte Ruben ein. »Es tut mir leid, dass ich Euch beleidigt habe.« Edward hielt kurz inne, drehte sich Ruben zu und funkelte ihn wütend an. »Wirklich«, ergänzte Ruben noch. »Es ist normalerweise nicht meine Art, anständige Leute zu verletzen, aber im Moment bin ich nicht ganz ich selbst. Ich ...«
»Na schön! Es sei Euch verziehen!«, Edward machte langsam auf dem Absatz kehrt und ließ sich erneut auf dem Stuhl nieder. »Diesmal noch und nur um Eures Freundes willen! Was kann ich für Euch tun?« Ruben atmete auf.
»Wie mir scheint«, begann Ruben nun zögernd, »vertraut Euch mein Vetter!«
»Er ist Euer Vetter? Ich war mir von Anfang an sicher, dass er kein gewöhnlicher Kaufmann ist. Und da Ihr ebenfalls keine Kaufleute seid, wird mir so Einiges klar!«
»Wie, in Gottes Namen, kommt Ihr auf die Idee, dass wir keine Kaufleute sind?«
»Junger Mann, ich habe auf meinen verschiedenen Reisen so manches gesehen. Unter anderem auch die Schiffe der unterschiedlichsten Handels- und Kriegsflotten. Und eines kann ich Euch deshalb mit Bestimmtheit sagen: Euer Schiff hier zählt normalerweise nicht zu den Ersteren! Ihr seid keine Händler, das wusste ich bereits, bevor ich dieses Schiff betrat. Nur, wer seid Ihr wirklich? Warum dieser ganze Aufwand? Was steckt hinter Eurer, wie soll ich es nennen, Tarnung?«
»Wie kommt Ihr darauf, dass wir uns nur tarnen wollen?«
»Was meint Ihr, wofür Eure Luken benutzt werden? Wie viele sind es? Achtzig? Oder, einhundert? Ihr wollt mir doch nicht weiß machen, dass es sich bei ihnen, um Luken zur Belüftung der Ladung handelt?«
»Auch Eure Handelsschiffe fahren mit Kanonen an Bord!«, warf Ruben ein.
»Ja, aber sie sind nicht auf jedem ihrer Decks von Schießscharten durchlöchert! Wo wollt Ihr bei solch einem Gewicht noch Waren einlagern? Sagt mir, was Ihr hier in Aranadia wirklich treibt?«
»Nein, vorerst nicht! Es könnte uns alle in Gefahr bringen!«
»Ich bin ein alter Narr, auf dessen Worte kein Wert gelegt wird, und dem niemand zuhört. Was sollte ich schon groß erzählen können?«
»Vertraut mir, wenn die Zeit dafür reif ist, werdet Ihr alles Nötige erfahren. Mein Vetter vertraut Euch, denn sonst hätte er Euch wohl kaum sein Siegel überlassen! Es wäre für ihn viel zu gefährlich! Nicht nur sein, sondern unser aller Leben, aber auch die Zukunft unseres Landes hängt vom Gelingen unserer Mission ab. Allem Anschein nach sind unsere Gegner dieselben. Da Ihr hier aufgewachsen seid, und jeden Winkel dieser Stadt kennt, könntet Ihr, wenn Ihr wollt, für uns sehr nützlich sein! Verzeiht, aber so, wie Ihr jetzt ausseht, fallt Ihr unter den hiesigen Bettlern nicht sonderlich auf. Ihr könntet Euch, ohne große Schwierigkeiten, unter sie mischen. Ich weiß, aus meiner Erfahrung, dass sie meist diejenigen sind, die irgendwelche Neuigkeiten als erste aufschnappen, zumal ihr Leben oft genug