Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen. Daniela Vogel

Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen - Daniela Vogel


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das Schloss wieder in einen halbwegs passablen Zustand zu bringen. Mein Informant sagt, sie reagiert jedes Mal auf die gleiche Weise. Sobald etwas Unvorhergesehenes geschieht, oder sie einen heftigen Streit mit de Beriot hat, dreht sie im Anschluss daran geradezu durch. Sie zertrümmert alles, was ihr in die Hände fällt. Es ist, als sei sie nicht mehr Herr ihrer Sinne. Der Prophet sagt: »Selig sind die Sanftmütigen!« Roxane scheint das genaue Gegenteil davon zu sein!

      Wie dem auch sei, an besagtem Morgen hatten sich auf jeden Fall die Wogen geglättet. Nein, das ist nur zum Teil richtig. Sie war vollkommen ausgewechselt und ruhig. Sie verbrachte die darauf folgenden Tage fast ausschließlich bei ihrer Tochter, während de Beriot im Verlies das Gleiche mit unserem guten Charles tat. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dieser Bote sei anders, als all die anderen vor ihm. Deshalb hielt er sich fast drei volle Tage und Nächte im Kellergewölbe auf, um sich selbst um unseren Freund zu kümmern. Mein Informant sagt ...«

      »Können wir deinem Informanten überhaupt trauen?«, unterbrach Ruben ihn.

      »Ich denke schon! Er macht nicht den Eindruck, als würde er sich das alles aus den Fingern saugen. Und welchen Grund hätte er auch dazu?« Ruben nickte.

      »Du hast recht. Wieso sollte er diese Dinge erzählen, wenn nicht ein Fünkchen Wahrheit darin stecken würde.«

      »Wie sagt man so schön?«, entgegnete ihm Lucas. »Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit und glaube mir, nachdem, was der in sich hineingeschüttet hat, war der bestimmt nicht mehr nüchtern. Aber weiter: de Beriot wollte um jeden Preis den Gefangenen zum Sprechen bringen und jedwedes Mittel war ihm dazu Recht. In der Regel lässt er sich nur ab und an in den Verliesen blicken, da seine Lakaien dort unten die Arbeit für ihn erledigen. Diesmal jedoch hat er höchstpersönlich die Leitung des Verhörs übernommen. Nur, Charles hat sich lieber, im wahrsten Sinne des Wortes, die Zunge abgebissen, bevor er auch nur ein Sterbenswort über seinen Herrn verraten konnte. De Beriot verlor daraufhin den letzten Teil seiner Selbstbeherrschung und versetzte, all seinen guten Vorsätzen zum Trotz, Charles schließlich eigenhändig den Todesstoß. Möge Gott der Seele unseres Freundes gnädig sein!«

      »Das wird er, mein Freund! Glaub mir, das wird er! Ich weiß nicht, ob ich es so ohne Weiteres gekonnt hätte!«

      »Was denn?«

      »Mir meine eigene Zunge abbeißen! Dieses verdammte Schwein! Ich will gar nicht wissen, was er mit Charles angestellt hat, dass er nur noch diesen Ausweg sah! Herr Gott noch mal! Wie weit können Menschen gehen, um andere zu quälen?« Ruben ließ seine Faust auf die Tischplatte donnern. Die Karaffe mit samt den Bechern landete unsanft auf der Holzoberfläche.

      »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber je mehr ich über diesen Scheißkerl erfahre, umso rasender macht er mich! Erinnere mich bitte daran, wenn er mir jemals begegnen sollte!« Ruben hielt inne. Er griff nach einem der Becher, trank einen großen Schluck und knallte ihn anschließend mit voller Wucht auf den Tisch. Sein restlicher Inhalt schwappte über seinen Rand. Die Flüssigkeit benetzt die Kerzenflamme, die wütend auf zischte, unruhig flackerte und tanzende Schatten in das Gesicht seines Gegenübers warf.

      »Stell dir vor«, fuhr er fort, »mein Onkel würde so mit Abgesandten seiner Nachbarländer verfahren. Was das im Einzelnen zu bedeuten hätte, brauche ich dir wohl kaum erklären. Die beiden müssen sich ihrer Sache äußerst sicher sein, so viel steht fest. Aber, ich schwöre dir, sie werden noch sehen, was es heißt, mit meinen Freunden zu spielen!« Ruben wurde lauter.

      »Niemand, ich sage dir, niemand, nicht König, nicht Bettler oder vielleicht sogar Ausgeburt der Hölle, hat das Recht, mit Menschen so zu verfahren! Ich werde diese beiden Kröten dorthin schicken ...!«

      »Beruhige dich!« Lukas unterbrach ihn. »Ich bin noch nicht fertig. Wenn ich dir alles erzählt habe, kannst du dich noch zur Genüge aufregen!«, Ruben holte tief Luft, während Lukas unbeirrt fortfuhr.

      »Also, Roxane versuchte, von diesem Zeitpunkt an, Rilana den weiteren Aufenthalt in Barwall so angenehm, wie möglich zu machen. Sie ließ Gaukler kommen und feierte ein Fest nach dem anderen. Allerdings schien das Mädchen vollkommen unbeeindruckt von ihren Bemühungen zu sein. Kein Wunder, Rilana ist eine Gefangene in ihrem eigenen Zuhause. Ein goldener Käfig für einen goldenen Vogel ... Das Mädchen wurde immer ruhiger und melancholischer. Selbst die alte Arana, ihre Amme, wusste sich keinen Rat mehr. Mein Informant sagt, sie hätte ihm erzählt, jedes Jahr in der Woche vor der Sonnwendfeier gehe eine erschreckende Veränderung mit ihrem geliebten Täubchen, wie sie die Prinzessin nennt, vor. Aus dem sonst so aufgeweckten und fröhlichen Mädchen würde eine nahezu teilnahmslose, in sich gekehrte Stumme, die allem Anschein nach, der Welt den Rücken zukehre. Arana meinte noch, sie wäre sich sicher, dass Rilana diese Woche abgrundtief hasse, während die Königin förmlich aufleben würde.

      Ihrer Meinung nach, sollte nicht Rilana durch all die Festlichkeiten abgelenkt werden, sondern bei dem ganzen Spektakel handele es sich nur um Roxanes Versuch, sich die Zeit, bis zu ihrer Abreise nach Andrass, so angenehm, wie nur eben möglich zu machen. Die alte Amme war es auch, die einen in Schwarz gekleideten Fremden, der offenbar weder zu den Gauklern, noch zu den übrigen Gästen zählte, in dem Trubel entdeckte. Er hielt sich immer abseits der Menschenmenge auf und beobachtete jeden Schritt der Prinzessin mit Argusaugen. Arana wies die Wachen daraufhin, doch niemand schenkte den Worten der Alten Beachtung. Nachdem, was vorgestern Abend geschehen ist, nehmen sie jetzt aber an, dass es sich bei dem Entführer, um eben diesen Fremden handelt.«

      »Weiß man Näheres?«

      »Keine Ahnung! So weit geht das Wissen meines Informanten nun auch wieder nicht! Er sagte nur, der Kerl wäre bestimmt nicht von hier gewesen. Er war nämlich nicht, wie ein Ortsansässiger gekleidet. Während die eine Hälfte der Schlossbewohner ihren Rausch ausschlief und die Andere weiterhin im Tanzsaal vergnügt feierte, schlich sich besagter Fremder in die Gemächer der Prinzessin. Er muss bereits in ihren Räumen gewesen sein, als Rilana das Fest verließ, denn Roxane lässt sie stets von mehreren Wachen begleiten. Nur, so weit geht selbst Roxanes Fürsorge nicht, als dass sie das Mädchen auch in ihren eigenen Räumlichkeiten unter direkter Aufsicht ließe. Dementsprechend betrat Rilana auch alleine ihre Gemächer, während die Wachen im Gang und vor ihrer Tür ihre Runden zogen. Kurze Zeit später vernahmen sie einen erstickten Schrei und dann das Schnauben eines Pferdes. Als sie schließlich die Tür öffneten und die Räume betraten, war die Prinzessin allerdings schon verschwunden. Von dem Balkon aus, konnten sie nur noch die Staubwolken eines wild davon galoppierenden Pferdes erkennen, das allmählich in die Dunkelheit eintauchte und verschwand!«

      »Und der Mordversuch?«

      »Der Mordversuch? Ach ja! Kannst du mir verraten, wie man versuchen kann, jemanden zu ermorden, der gar nicht anwesend ist? Ich kann dir sagen, das kann verdammt schwierig werden! Roxane befand sich nämlich zum Zeitpunkt der Entführung noch mit all den anderen Gästen im Ballsaal. Glaub mir, der Entführer wäre ein Idiot gewesen, wenn er versucht hätte, in der großen Halle, vor den Augen aller versammelten Gäste, einen Anschlag auf die Königin zu verüben und du kannst dir bestimmt auch vorstellen, dass er danach niemals, ohne Aufsehen zu erregen, die Möglichkeit gehabt hätte, mit der Prinzessin unter dem Arm zu fliehen. Die gesamte Armee wäre sofort zur Stelle gewesen. Der Mordversuch ist demnach nichts anderes, als ein Gespinst aus Roxanes und de Beriots kranken Gehirnen. Um ihn glaubhaft zu machen, haben sie die Entführung einfach ein paar Stunden später stattfinden lassen. Genau genommen gab Roxane ihren Wachen den Befehl zum Alarmschlagen erst im Morgengrauen. Da war der Entführer mit der Prinzessin aber schon längst über alle Berge.

      Es ist schon erstaunlich, welch stoische Ruhe sie im Hinblick auf die Entführung ihrer Tochter an den Tag gelegt haben muss. Ich frage mich, was, in Gottes Namen, in ihrem Kopf vorgeht!«

      »Und keiner der Anwesenden hat etwas gemerkt? Erstaunlich!«

      »Das habe ich nicht gesagt. Sie haben schon etwas gemerkt, nur keiner hielt das, was er sah, für so wichtig. Einigen Gästen fiel auf, dass kurz, nachdem die Prinzessin das Fest verließ, der Hauptmann der Palastwache in der Tür erschien. Er verlangte, unverzüglich mit der Königin zu sprechen. Roxane, die unterdessen mit de Beriot tanzte, eilte ihm entgegen und verließ zusammen mit ihm den Saal. Wenig


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