17. Mike Müller-Reschreiter

17 - Mike Müller-Reschreiter


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werden.

      Mein Freund Heinz lehnt mit dem Rücken an einer Birke, sein Gesicht ist wie steif gefroren, die Augen haben den schelmischen Glanz von einst verloren, sind nur noch glasig. Er kaut auf einem Zweig herum, wie er es immer schon tat, nur diesmal schien er nicht mehr wirklich anwesend zu sein. Der ist schon weg. Er reagiert nicht auf meine Frage, obwohl ich sie ihm mehrmals stelle. „Heinz?“

      Die Nacht war tiefschwarz, gähnt, und nur aus der Ferne dringen vereinzelt Motorengeräusche und verirrtes MG-Geknatter zu uns rüber.

      „Da ist was im Gange!“

      „Was denn?“, wollen alle wissen.

      „Maul halten! Idioten!“, faucht Meinele dazwischen. Hinter uns knackt der Boden und das Patschen einiger Schritte ist deutlich zu hören. Viel zu deutlich! Alle sind sofort alarmiert. Wir hocken da und zielen blindlings in die Dunkelheit.

      „Feldwebel Gruber mit zehn Mann im Anmarsch! Parole Eisschrank“, transportiert sich eine Reibeisenstimme aus den Büschen.

      „Waffen herunter!“, befiehlt Meinele und man hat deutlich den Angstschiss in Meineles Hose poltern hören. Er lässt die MP herunter und setzt sich wieder. Direkt auf die braune Wurst! Gruber und die anderen sind kaum zu erkennen. So düster wie in Omas Unterbuchse! Erst, als sie sich zwischen uns niederlassen, erkenne ich das zerfurchte Gesicht des Alten, aus dem nichts Freundliches abzulesen ist. Werner, Dietrich, Bahlke und der knochige Hans-Eberts hat der Feldwebel im Schlepptau. Das war eine Riesenfreude! Der Rest der Gruppe besteht allerdings aus uns fremden Neulingen. Haarlose Pickelgesichter wie wir. Die bekommen ihre Feuertaufe dann morgen.

      Ich bin jedenfalls sehr erfreut, meinen Freund Werner wohlauf zu wissen. Das bringt etwas an Zuversicht in mir zurück und ich hoffe, dass wir es doch irgendwie schaffen würden. Zwischen mir und Werner hatte in den letzten Wochen Funkstille geherrscht. Wir hatten Streit. Ich hatte Werners Integrität in Frage gestellt, was ich lieber nicht hätte machen sollen. Wie kam ich nur dazu? Idiot! Werner ist doch mein Freund. In den letzten Tagen sprachen wir aber, wenn auch nur kurz, wieder miteinander.

      „Wo sind die anderen?“, will Werner von mir wissen.

      „Heinz hockt da hinten. Den Krahl hat es erwischt!“ Werner wirft mir einen verächtlichen Blick zu, den ich trotz der Dunkelheit deutlich sehe und der mich strafend trifft.

      „Was, Krahl ist tot?“, wirft sich Dietrich entsetzt dazwischen.

      Meine Aussage klang vermutlich etwas zu roh in Werners sensiblen Ohren. Er steht auf und entfernt sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

      Was hätte ich denn sagen sollen?

      „Werner?“ Ich folge ihm aber nicht. Die anderen jedoch wollen nun ganz genau von mir wissen, wie es passiert ist. Stillschweigen! Glotzende Affen! Werner hat recht. Ich mache es also dem Werner gleich und verziehe mich. Ich weiß einfach nicht, wie ich mich in solch einer Farce, in der wir alle stecken, verhalten soll. Verhaltensregeln dieser Art stehen ja nicht im Soldatenhandbuch.

      Ganz in meiner Nähe höre ich, wie sich welche angeregt unterhalten. Ich erkenne den Feldwebel und den unterbelichteten SS-Heini Meinele. Will der dem Alten einen Vortrag halten? Ich spitze meine Ohren, will wissen, wie die Lage aussieht, und schiebe mich Stück um Stück näher. Der Alte hat sich wie immer die Plane über den Kopf gezogen, unter der schwach das Licht seiner Feldlampe auf ein Stück Papier leuchtet. Meinele sitzt dicht daneben und pliert ebenfalls auf diesen zerschlissenen Fetzen. Ich kann nicht alles verstehen.

      Da sie es gut verstehen, leise miteinander zu reden, ist es selbst unter größter Anstrengung kaum möglich, etwas zu aufzuschnappen. Ich habe aber ein ausgesprochen gutes Gehör, das heute jedoch recht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Aber es reicht noch aus. Ich vernehme, Jänkendorf ist gefallen, sowie Panzerdivisionen irgendwo nordöstlich und Bautzen. Es ist wohl ein angeregtes, aber doch kurzes Gespräch.

      „Der Ivan wird Augen machen, wenn er das Aufgebot bemerkt, was wir hier zusammengezogen haben“, balzt Meinele wie ein federloser Pfau.

      „Das glaube ich nicht, Unterscharführer, der Russe wird schon einen Weg finden, um an anderer Stelle durchzubrechen! Der umgeht uns glatt! Dann, zack und die Falle schnappt zu“, kontert Gruber und amüsiert sich an der sauer verzogenen Miene des Unterscharführers.

      „Die Panzerdivision von Rossmann schießt sie in Klumpen, Herr Feldwebel, da kann der Russe machen, was er will, die kommen da nicht weiter“, belfert der Hänfling in Uniform jetzt los, das es nur so eine Freude ist.

      „Ihre Naivität, mit Verlaub, Unterscharführer, ist lächerlich! Sehen Sie den Tatsachen ins Auge. Ich glaube nämlich, dass der Ivan schon ziemlich weit gekommen ist, dem kann auch ein Major Rossmann nichts entgegensetzen!“

      Ich kann das verärgerte Gesicht des Unterscharführers zwar nicht genau sehen, zeichne mir aber seinen dämlichen Gesichtsausdruck geistig vor Augen.

      „Ich kann Ihre Meinung nun mal nicht teilen, Herr Feldwebel! Ihnen dürfte doch nicht entgangen sein, welch Aufgebot man zusammengezogen hat“, echauffiert sich der Etappenhengst jetzt weiter.

      „Ist es mir auch nicht! Doch ist es ihnen vielleicht entgangen, dass wir hier auf uns allein gestellt sind? Nur drei Gruppen, Meinele, Drei!“ Ein kurzes, betretendes Schweigen, was darauf hin folgt.

      „Was sollen denn die noch ausrichten? Nur drei beschissene Gruppen, direkt aus der Kinderkrippe! Von denen sind jetzt vielleicht noch 60 Prozent einsatzfähig! Die sollten eher bei Mama am Tisch sitzen, anstatt hier die Helden zu spielen!“ Meinele räuspert sich geniert, so als wäre er im Übermaß empört über die harsche Kritik des Feldwebels. Doch sie trafen nun mal den rostigen Nagel auf den Kopf.

      Ich höre Grubers Worte immer wieder in Gedanken. Mit jeder geistigen Wiederholung mutiert der Satz um eine weitere schaurige Nuance. Meine Gedanken kreisen wild umher. Kopfkarussell! Ich male mir die schlimmsten Zukunftsfantasien aus und das macht mich ganz benommen. Die Bilder, die sich mir heute ins Hirn gebrannt haben, bestärken all diese Befürchtungen und lassen mich vor Angst fast zergehen. Hin und her wälzend dämmere ich vor mich hin. Schlafen! Ich will doch einfach nur mal wieder richtig pennen.

      Kapitel 4 (Alptraum)

      Stück für Stück setze ich mich zusammen. Das Bild schärft sich und ich kann einen Platz erkennen, den der Regen ausgewaschen hat. Überall Schlamm und Pfützen, die sich in den Spurrillen gebildet haben. Aus mehreren Perspektiven heraus sehe ich mich inmitten dieses Platzes stehen.

      Das Gewand eines Jungvolk-Burschen tragend, verharre ich wie verwurzelt und orientierungslos im strömenden Regen. Gesichter formen sich wie aus dem Nichts vor meinem Auge. Es sind zerfurchte, graue Gesichter, die mich anstarren. Sie durchstechen mich, sodass es höllisch schmerzt, als würde mir jeder ihrer Blicke als Klinge im Bauche stecken. Ihre Füße versinken im Schlamm, der sich fesselnd um ihre Knöchel schlingt. Mir dreht es den Magen um, wie sie an mir vorbeigetrieben werden, so nackt, so blass wie Skelette, die nur mit Haut bespannt sind.

      Dann wieder fliege ich über ihre Köpfe hinweg, betrachte die rasierten Schädel, die unzähligen Narben darauf und wie der dicht fallende Regen monoton darauf niederprasselt.

      Eine schrundig klingende Stimme ruft mich. „Harry!“ Ich kann nicht erkennen, woher sie kommt, wem sie gehört, will es auch nicht. Immer wieder ruft diese prägnant dringende Stimme meinen Namen. Sie wird schwächer, verschwindet dann letztlich aus meinem Ohr.

      Da stehen diese morbiden Skelette vor mir. Ich kann mich derer eindringenden Blicke nicht entziehen, möchte mich von ihnen losreißen. Abhauen! Kann es aber nicht, da ich im Morast feststecke, der mich unablässig umklammert. Sie heben ihre knochigen Arme, ihre Fratzen bekommen Risse, laufen auf mich zu und ich bin ihnen hilflos ausgeliefert. Wie ich mich auch anstrenge, es ist mir nicht möglich, mich aus deren Würgegriff zu befreien. Sie pressen ihre Schädel dicht über mir zusammen, so dass ich ihren faulen Atem rieche. In ihren totstarren Augen steht der blanke Hass geschrieben, der sich nun auf mir zu entladen sucht.

      Ich plärre los. Meine Schreie gehen unter


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