Der neue Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman. Michaela Dornberg
Hier ging es um eine Grundsatzentscheidung, die sich erst aus dem ergeben hatte, was zuvor erfolgt war. Da hatte Inge gebockt, hatte Werner strafen wollen. Das war längst vorbei, sie war nicht mehr sauer auf ihren Mann, doch es musste noch einiges ausgesprochen werden, ehe sie wieder ganz normal miteinander umgehen konnten.
»Werner, es gibt zwischen uns keine Strichliste, die abgehakt werden muss oder ein Punktsystem nach dem Motto, wer die meisten Punkte hat, der gewinnt den Pokal. Ich möchte, dass wir wieder ganz normal miteinander umgehen. Ich möchte nicht, das du alles tust, um meine Erwartungshaltung zu gewinnen. Ich habe keine, ich wünsche mir, mit dir mehr Zeit zu verbringen, weil ich dich liebe. Ich möchte nicht irgendwann verpassten Möglichkeiten nachtrauern.«
Er schob seine Kaffeetasse beiseite, dass der Kaffee überschwappte, sich auf dem schönen alten Holz hässliche braune Flecken zeigten.
Inge sprang auf, wischte die sofort weg.
Werner brummte: »Muss das jetzt sein?«
»Ja, mein Lieber, so etwas nennt man Schadensbegrenzung.«
Nachdem der Schaden beseitigt war, setzte Inge sich wieder ihn, blickte ihren Mann an. »Werner, wenn wir jetzt keinen Weg für ein Miteinander finden, dann driften wir immer mehr auseinander. Das möchte ich nicht.«
Er hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, ihm gefiel die ganze Situation ebenfalls nicht, und ihm war klar, dass er durch sein Herumchaoten alles nur noch schlimmer gemacht hatte. Aber Werner Auerbach, der begnadete Professor, konnte reden, er konnte vollgefüllte Säle mitreißen. Daheim wollte er es sich immer einfach machen, da hatte er keine Lust auf Diskussionen.
»Kannst du mir vielleicht mal verraten, was du eigentlich möchtest? Ich habe deinetwegen mein ganzes Leben umgekrempelt, ich habe alle Termine gestrichen.«
»Und deswegen läufst du hier herum wie ein in einen Käfig gefangener Tiger. Werner, warum lässt du erst alles schluren, und dann machst du einen Rundumschlag, ohne vorher nachzudenken oder es mit mir abzusprechen.«
Er fühlte sich in die Enge gedrängt.
»Was soll ich denn mit dir absprechen? Du bist doch gegen alles, was ich tue. Außerdem, ich habe alles für dich getan.« So ging es nicht weiter. Sie drehten sich im Kreis.
»Werner, du hast es, so hoffe ich, für uns getan. Doch du hast maßlos übertrieben. Du musst nicht auf jeder Hochzeit tanzen, doch die wichtigen Termine, die großen Kongresse, solltest du weiterhin in deiner Agenda haben. Wenn du es so handhabst, dann bleibt noch genügend Zeit für uns, die wir gemeinsam miteinander verbringen können.«
Er blickte sie ein wenig schief von der Seite an, und Inge begann ihm zu erklären, wie sie sich das gemeinsame Leben miteinander vorstellen, wobei die Betonung auf dem Wort gemeinsam lag.
Sie ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen, weil sie befürchtete, dass er versuchen würde, alles umzukehren, damit er in einem guten Licht dastand.
Sie hielt ihm vor Augen, wie ihr Leben abgelaufen war, sie konnte auch ganz konkrete Beispiele nennen, in denen es besonders krass gewesen war.
Als sie mit ihrer Ansprache fertig war, war es ganz still im Raum. Werner war erschüttert, er war regelrecht fix und fertig. So hatte Inge noch nie mit ihm gesprochen. Ihm wäre es jetzt wirklich lieber gewesen, sie hätte ihn anklagend angesehen, sie hätte geweint, sie hätte geschrien. Sie war ganz ruhig gewesen, und er fühlte sich jetzt so richtig schlecht.
»Mein Gott, Inge, warum hast du denn nicht schon früher etwas gesagt?«, rief er. »Was war ich bloß für ein grenzenloser Egoist. Es ist mir überhaupt nicht bewusst geworden, wie sehr ich mein Ding mache. Du hast ja immer mal etwas gesagt, aber heute, da hast du mir wirklich die Augen geöffnet, und ich schäme mich vor mir selbst. Du hättest die Kinder gegen mich aufhetzen können. Ich weiß überhaupt nicht, was du alles hättest tun können. Wäre ich an deiner Stelle, ehrlich mal, ich hätte mich verlassen.«
Er stand auf, ging um den Tisch herum, nahm sie in seine Arme, drückte sie ganz fest an sich. »Inge, mein Herz, bitte verzeih mir. Ich will niemals mehr große Worte machen, sondern ich will meinem Gerede Taten folgen lassen. Bitte, hilf mir dabei, mit dir auf den richtigen Weg zu kommen. Meine Familie, das ist mein Fundament, und du … du … du bist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte, und ich habe alles so mit Füßen getreten.«
Sie lehnte sich an ihn. Sie waren sich sehr nahe, es war ein sehr intimer Augenblick, weil Werner die Fassade, dieses beeindruckende Äußere, abgelegt hatte.
Er schwang jetzt keine beeindruckende Rede. Nein, er war ehrlich, und er hatte Angst, sie zu verlieren.
Sie küssten sich, und in diesem Kuss lag nichts weiter als Liebe. Es war beinahe so wie früher, als sie die ersten Küsse miteinander getauscht hatten, als sie sich behutsam und ganz vorsichtig nähergekommen waren.
Es war wie die klare, reine Luft nach einem Gewitter, in diesem Moment lag Magie. Und wer weiß, was nicht noch geschehen wäre, hätte es plötzlich nicht ein fürchterliches Getöse gegeben.
Pamela kam ins Haus gepoltert, Luna schoss an ihr vorbei, begrüßte Inge und Werner, die stoben auseinander, denn Luna sah grauenvoll aus, von ihrem eigentlich wunderschönen Fell konnte man gerade noch ein wenig Weiß sehen. Sie musste sich irgendwo gewälzt haben.
»Luna, komm zurück«, erklang Pamelas Stimme, ehe auch sie in die Küche geschossen kam. Sie blickte ein wenig verwundert ihre Eltern an. Sie um diese Zeit gemeinsam zu sehen, das war neu. Doch jetzt konnte man natürlich auch verstehen, warum Luna es so eilig gehabt hatte.
Pamela blickte ihre Eltern an.
»Tut mir leid, durch den vielen Regen haben sich am See überall morastige Tümpel gebildet, und Luna war wie besessen, sie konnte keinen von denen auslassen. Sie wollte auch, ganz im Gegensatz zu sonst, überhaupt nicht hören.«
Normalerweise wäre ihr Vater jetzt ungehalten gewesen, heute nicht.
»Aber Kind, es ist doch nichts passiert.« Das sagte der Professor, dabei hatte seine Hose einige Flecken abbekommen. Pamela konnte sich nur wundern.
»Ich mache Luna nur sauber, dann komme ich zu euch zurück. Lasst mir bitte ein paar von den Keksen übrig, die sind nämlich superlecker.«
»Mach dir keine Sorgen, Kind. Wenn du Lust hast, dann können wir uns danach unterhalten, oder wir können, ganz wie in alten Zeiten, ein Spiel machen.«
Pamela kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was war denn mit ihrem Vater los? Hatte er Kreide geschluckt?
»Ein Spiel?«, erkundigte Pamela sich, weil sie glaubte, sich verhört zu haben. »So etwas wie Kniffel oder Mensch ärgere dich nicht?«
Professor Auerbach lächelte seine Jüngste an.
»Was immer du willst, mein Kind.«
Jetzt hatte Pamela es eilig, diese Gelegenheit wollte sie sich nicht entgehen lassen. Es war lange her, dass sie mit ihren Eltern ein Spiel gemacht hatte.
»Luna, komm«, rief sie, doch die starrte nur unverwandt die Keksschale an. Labradore waren bekannt dafür, wie vernascht sie waren. Und vielleicht fiel ja etwas für sie ab, wenn sie nur lange genug die Kekse anstarrte. Im Nachbarhaus klappte das meistens.
Hier nicht.
»Fräulein, du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich jetzt auch noch dafür belohne, dass du so zickig warst? Oh nein. Luna, komm jetzt gefälligst.«
Diesen Tonfall kannte Luna, wenn Pamela so sprach, dann war mit ihr nicht zu spaßen, sie folgte Pamela, nicht ohne einen letzten Blick auf die verlockenden Kekse.
Inge und Werner waren wieder allein.
»Werner, du weißt schon, was du da gesagt hast, oder? Ich könnte darauf wetten, dass Pamela dein Angebot annehmen wird. Du weißt doch, wie verrückt sie nach allen Spielen ist. Sie kann nicht genug bekommen.«
Er lächelte.
»Ich weiß«, antwortete er, »und ich werde alles