Der neue Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman - Michaela Dornberg


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mehr rückgängig machen lässt. Ich möchte nicht, dass wir am Ende unseres Lebens nicht sterben können, weil uns all die verpassten Möglichkeiten erdrücken.«

      Er sagte noch immer nichts, griff mit zitternder Hand nach seinem Glas. Das zeigte Rosmarie, dass er anfing zu begreifen. Sie schenkte ihm ein nachsichtiges Lächeln.

      »Heinz, wir haben alles erreicht, was man kaufen kann, wir sind angesehene, oftmals beneidete Bürger der Stadt. Aber an all dem kann man sich nicht wärmen. Unsere Kinder haben das begriffen. Ist es nicht an der Zeit, dass auch wir es tun, ehe es zu spät ist?«

      Heinz Rückert war ein nüchterner Notar, der nicht viele Emotionen zeigte. Damals in Paris, da war er wohl über sich hinausgewachsen, denn Adrienne Raymond war wirklich seine große Liebe gewesen, da hatte er Dinge gemacht, über die er heute nur staunen konnte. Eines war ihm klar geworden, alles war niemals von ihm ausgegangen. Adrienne hatte ihn mitgerissen mit ihrer Energie, ihrer sprühenden Tatkraft, ihrem Charme. Genau wie Rosmarie es von Anfang an gemacht hatte. Ohne die beiden Frauen, die sein Leben geprägt hatten, wäre er niemals mehr gewesen als ein dröger Notar, der nichts als Gesetze und Bestimmungen im Kopf hatte, doch das ganz exzellent. Da machte ihm niemand etwas vor, und Heinz Rückert gehörte zu den Notaren, die auch zwischen den Zeilen lesen konnte, das war seine Stärke, denn auch wenn gesetzmäßig beinahe alles reglementiert war, so war vieles eine Auslegungssache.

      Sein Gespräch mit Rosmarie war es allerdings nicht. Sie hatte eine klare Ansage gemacht, und er war nicht einmal böse darum. Es stimmte, was sie sagte. Und war er nicht manchmal müde von dem täglichen Allerlei? Er stand sich selbst im Weg, weil er ein Gewohnheitsmensch war, der an allem festhielt, weil er es so kannte und deswegen nichts verändern wollte. Bloß nichts Neues. Wenn er sich daran erinnerte, wie er beinahe den Boden unter den Füßen verloren hatte, als plötzlich Cecile aufgetaucht war, seine Tochter, das Kind von ihm und Adrienne …

      Nein!

      Keine neue Veränderung, mit der er überrascht wurde, dann doch lieber eine gemeinsame Planung mit Rosmarie.

      »Okay, packen wir es an. Du hast mich überzeugt, Rosmarie. Aber aus dem gemeinsamen Schlafzimmer wirst du doch niemals ausziehen, nicht wahr? Egal, was kommt.«

      Ach, ihr Heinz!

      Sie war gerührt, und dann versprach sie ihm, dass sie das niemals tun würde. Sie musste ihm ja jetzt nicht verraten, wie beruhigend es für sie war, abends neben jemandem einzuschlafen und morgens neben jemandem zu erwachen. Sie konnte nicht allein sein, und deswegen hatte sie früher auch immer in Wohngemeinschaften gelebt.

      Sie blickte zufällig auf die Uhr.

      »Heinz, in fünf Minuten beginnt die Übertragung dieses Sportereignisses aus den USA, das du unbedingt sehen willst«, erinnerte sie ihn. Alles war gesagt, sie gönnte ihm jetzt sein Vergnügen.

      Doch welch ein Glück, dass Rosmarie gerade saß, sonst hätte es ihr jetzt den Boden unter den Füßen weggezogen.

      Heinz winkte ab.

      »Das ist nicht so wichtig, ich unterhalte mich lieber mit dir, Rosmarie. Du bist schon eine kluge Frau, und es stimmt alles, was du da gesagt hast. Ich möchte dich nie verlieren, weil ich dich liebe und ohne dich nicht leben könnte.«

      Das aus seinem Mund zu hören, das bedeutete schon etwas. Heinz Rückert war eher bereit, seine Kreditkarte für einen unlimitierten Einkauf freizugeben als etwas Emotionales zu sagen.

      »Ich liebe dich doch auch«, sagte sie leise, und diese Worte machten ihn glücklich.

      Man konnte die Rückerts nicht mit den Auerbachs vergleichen. Das musste man auch nicht, alle Menschen waren verschieden, alle hatten sie unterschiedliche Lebensauffassungen, lebten das Leben so, wie es ihnen möglich war.

      Rosmarie stand auf, ging zu ihrem Mann hinüber, setzte sich auf dessen Sessellehne, dann beugte sie sich zu ihm herunter und küsste ihn, sehr sanft und sehr zärtlich.

      Heinz war ein guter Mann. Es hätte sie wahrhaftig schlimmer treffen können. Es passte mit ihnen, und wenn sie künftighin mehr Zeit miteinander verbringen würden, wohlgemerkt, miteinander, wer weiß, was sie dann noch entdecken würden.

      Das Leben konnte ganz schön spannend sein, und jetzt haderte Rosmarie nicht einmal mehr mit ihrer prunkvollen Villa. Ihr Wohnzimmer war warm, gemütlich, und im Kamin fraß sich das Feuer knisternd in die trockenen Buchenscheite. Und es verbreitete eine wohlige Wärme.

      Heinz genoss ihre Nähe, und als Rosmarie aufstehen wollte, um zu ihrem eigenen Sessel ­zurückzugehen, da hielt er sie fest.

      »Bitte bleib«, bat er sie leise mit rauer Stimme, »es ist so schön, deine Nähe genießen zu dürfen.«

      Beauty bellte, und das klang wie eine Bestätigung, vielleicht machte sie sich aber auch nur bemerkbar, weil sie Aufmerksamkeit haben wollte.

      *

      Roberto Andoni fuhr durch die Nacht. Es war mild, und der Himmel war voller Sterne. Doch dafür hatte er wirklich keinen Blick. Er kam vom Großmarkt, hatte gut eingekauft und hatte vor allem das bekommen, was er unbedingt haben wollte.

      Roberto kaufte in der Regel heimische Produkte bei den umliegenden Biobauern ein, und er bekam auch heimische Fische. Doch wenn man ein Restaurant auf diesem hohen Niveau führte, dann war es unumgänglich, die weite Fahrt zum Großmarkt auf sich zu nehmen. Hinzu kam, dass seine Lieferanten dort für erlesenen Fisch und exotische Früchte und Gemüse nachts beliefert wurden, und das nicht in großen Mengen. Da hatte er überhaupt keine Wahl, rechtzeitig aufzubrechen, also zu Zeiten, in denen die Menschen normalerweise in ihren Betten lagen und schliefen.

      Es hatte ihm früher nichts ausgemacht, und deswegen hatte er seine frühere Freundin Nicki auch nicht verstanden, die sich darüber aufgeregt und sogar deswegen von ihm getrennt hatte.

      Das es ihn jetzt störte, lag auch nicht daran, dass er älter geworden war. So alt war er längst noch nicht, dass diese Großmarkteinkäufe beschwerlich für ihn waren.

      Nein, dafür gab es einen anderen Grund, und der war wunderschön, hatte ein liebreizendes Gesicht, und wenn dieser Grund lachte, dann glaubte man, die Sonne ging auf.

      Dieser Grund hieß Valentina und war seine kleine Tochter. Roberto hätte niemals für möglich gehalten, dass Valentina eine so dominante Rolle in seinem Leben einnehmen würde.

      Schön, er war Italiener, und denen sagte man eine besondere Kinderliebe nach. Das war es nicht.

      Es lag daran, dass er erkannt hatte, dass es im Leben Wichtigeres gab als den beruflichen Erfolg, die Selbstverwirklichung. An der hatte anfangs ja auch Susanne mitgearbeitet, die Frau an seiner Seite. Sie hatten die Arbeit im ›Seeblick‹ beide geliebt, und Susanne war, obwohl berufsfremd, eine ganz hervorragende Wirtin gewesen. Manchmal hatte man so etwas im Blut, und das war bei Susanne eindeutig gewesen.

      Gewesen …

      Susannes Arbeit im Restaurant war Vergangenheit. Sie vermisste nichts, sondern sie ging voll und ganz in ihrer Rolle als Ehefrau und vor allem als Mutter auf.

      Um dieses Leben beneidete Roberto seine Frau ein wenig, obschon er ihr wirklich alles wünschte und gönnte. Sein eigener Wunsch, ebenfalls mit Frau und Kind mehr Zeit zu verbringen, wurde immer stärker. So, wie sie jetzt lebten, das war keine Lösung. Es verhielte sich vermutlich ganz anders, wenn er irgendwo einen Job mit festen Arbeitszeiten hätte. So etwas gab es in einem anspruchsvollen Restaurant wie dem ›Seeblick‹ leider nicht. Er machte da einen anstrengenden, anspruchsvollen Job, der viele Stunden Zeit erforderte, und wenn mal jemand vom Personal ausfiel, dann musste der Chef einspringen, Früher war das kein Problem gewesen.

      Doch früher hatte es auch keine Valentina gegeben und keine liebende Ehefrau, die es ihm gemütlich machte, so gemütlich, dass er es nicht mehr missen wollte.

      Roberto Andoni war nicht gerade bester Laune, als er oben am ›Seeblick‹ angekommen war. Es gab wirklich einen unglaublichen Sternenhimmel, doch auch jetzt hatte er keinen einzigen Blick dafür. Er fuhr den Lieferwagen vor den Lieferanteneingang, und dann begann er auszupacken.


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