Bright Horizon. H.J. Welch
ab. Hier herrschte so viel Betrieb, dass es leicht war, andere Dinge zu finden, mit denen er sich beschäftigen konnte.
Sie hatten schon sehr früh einchecken müssen, wie es für Transatlantikflüge vorgeschrieben war. Dadurch hatten sie jetzt noch viel Zeit totzuschlagen, bevor sie an Bord gehen konnten. Elias hatte das Laptop aufgeklappt und ging seine letzte Geschäftspost durch. Ben wollte nicht an ihm kleben wie ein liebeskrankes Hündchen. Also machte er sich zu einem Schaufensterbummel auf und besorgte ihnen zwei Becher Kaffee, den sie mit an Bord nehmen konnten. Er gab sich zwar Mühe, Elias nicht allzu offensichtlich anzuhimmeln, fühlte sich aber trotzdem geschmeichelt, als Elias sich so offensichtlich darüber freute, dass Ben sich noch daran erinnern konnte, wie er seinen Kaffee trank.
Elias hatte ihm während des Essens schon gesagt, dass er aus beruflichen Gründen fliegen musste, auch wenn es sich nur um nationale Flüge handelte. So hatte er die vielen Flugmeilen angespart. Einer seiner Klienten war in Salt Lake City ansässig, ein anderer in Sacramento. Außerdem nahm er oft an Konferenzen in Las Vegas und Portland teil. Ben war bisher nur ein einziges Mal geflogen. Das war, als Emery ihn nach Las Vegas eingeladen hatte. Sie waren damals zwar erster Klasse geflogen, aber mit dem, was ihn nach dem Betreten des Flugzeugs in der Businessclass erwartete, hatte Ben nicht gerechnet.
»Verdammte Scheiße«, flüsterte er, als er die kleine Tüte in Empfang nahm, die Begrüßungsgeschenke, Kissen und richtige Kopfhörer enthielt. Vor seinem Sitz war so viel Platz, dass er bequem mit den Beinen wackeln konnte. Er ließ sich seufzend fallen und riss die Tüte auf wie ein kleines Kind seine Weihnachtsgeschenke. »Elias, das ist wunderbar!«
Elias nahm ebenfalls Platz. Zwischen ihren Sitzen befand sich ein schmaler Gang. »Es ist ein langer Flug. Ich dachte mir, wir sollten so bequem wie möglich reisen«, sagte er verlegen.
Natürlich wollte Elias so bequem wie möglich reisen. Mit Ben hatte das nichts zu tun. Ben hatte nur das Glück, mit Elias unterwegs zu sein und dadurch ebenfalls davon zu profitieren. Es war nicht so, dass Elias ihm damit einen Gefallen tun wollte oder so. Trotzdem kam er sich vor wie ein Prinz, als er aufgeregt in seiner Geschenktüte wühlte, wo er noch eine Augenmaske, Socken, eine Zahnbürste mit einer kleinen Tube Zahnpasta, Ohrstöpsel und andere Kleinigkeiten fand.
»Champagner, Sir?« Ben schaute auf. Eine Flugbegleiterin stand lächelnd vor ihm und hielt ein Glas Champagner in der Hand.
»Ähm…«, krächzte er unsicher.
Elias zwinkerte ihm zu. »Das gehört dazu«, sagte er leise. Ben hätte sich beinahe über seine zögernde Reaktion geschämt, aber das Funkeln in Elias' Augen ließ ihn seine Unsicherheit schnell wieder vergessen. »Tu dir keinen Zwang an. Essen und Trinken sind im Preis inbegriffen.«
»Oh, wow. Vielen Dank, Ma'am«, sagte Ben und nahm den Champagner an.
»Für mich nicht, vielen Dank«, sagte Elias. Ben sah ihn fragend an.
»Willst du nicht feiern? Das ist der Beginn unseres großen Abenteuers!«
Elias sah ihn so verlegen an, dass Ben sich innerlich verfluchte. Offensichtlich hatte er unwissentlich ins Fettnäpfchen getreten. »Ich trinke keinen Alkohol«, erklärte Elias. »Aber ich will ganz bestimmt mit dir feiern.«
Ben fühlte sich fürchterlich. Das Glas in seiner Hand wog plötzlich Tonnen. »Es tut mir leid. Das war gedankenlos von mir.« Er hasste es, wenn Menschen andere zum Trinken animierten.
Elias winkte ab. »Schon gut, vergiss es. Ich würde gerne ein Glas trinken, aber ich muss auf meine Gesundheit achten. Hmm… ich könnte mir vielleicht ausnahmsweise ein Glas Mimosa gönnen.«
Ben schüttelte den Kopf. Verdammt, da war schon wieder diese Verlegenheit. »Das musst du nicht«, sagte er. Guter Gott, würde das jetzt während ihrer ganzen Reise so weitergehen? Dass er ständig irgendwelchen Unsinn sagte?
Elias grinste nur. »Wir haben einen Grund zum Feiern und es kann mir nicht schaden, gelegentlich eine Ausnahme zu machen. Solange ich nicht durchdrehe und Schnaps kippe, kann nichts passieren.«
Ben musste an den Abend mit Emery und den Absinth denken, den sie zusammen getrunken hatten. Allein bei der Erinnerung drehte sich ihm der Magen um. »Nein, kein Schnaps«, stimmte er Elias mit ganzem Herzen zu.
Es war schon komisch, wie schnell sich die Stimmung wieder geändert hatte – von verlegen zu entspannt. Das passierte oft zwischen ihnen. Ben wäre es lieber, sie könnten die verlegenen Momente ganz überspringen, aber er freute sich auch darüber, wie schnell Elias ihre Unterhaltung wieder in normale Bahnen lenkte. Mit etwas Übung würde es ihm vielleicht in Zukunft gelingen, nicht mehr so oft ins Fettnäpfchen zu treten.
Die Flugbegleiterin brachte Elias den Champagner mit Orangensaft. Elias hob das Glas, um mit Ben anzustoßen. »Auf unser Abenteuer«, sagte er zögernd, aber das Lächeln auf seinen Lippen zeigte Ben, dass Elias genauso aufgeregt war wie er selbst.
»Auf unser Abenteuer«, stimmte Ben ihm begeistert zu und sie stießen an. Etwas Champagner schwappte über den Rand auf ihre Finger. Sie lachten. Ben fühlte, wie er sich entkrampfte. Etwas jedenfalls.
Es würde zauberhaft werden, wie auch immer. Die Räder hoben von der Startbahn ab. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ben war auf dem Weg nach England, um sich sein Erbe zu sichern. Mit einem wunderbaren Mann an seiner Seite.
Es war fast perfekt.
Ben wusste, dass es ihn nichts anging, aber er machte sich Sorgen über das, was Elias vorhin gesagt hatte. Was hatte er mit gesundheitlichen Gründen gemeint? Hoffentlich war es nichts Ernstes. Vielleicht musste Elias – warum auch immer – Antibiotika schlucken. Er hatte keinen sehr beunruhigten Eindruck gemacht, als er darüber sprach, hatte aber vorhin auch erwähnt, dass er Medikamente im Handgepäck hätte.
Ben fühlte sich auf merkwürdige Weise für den älteren Mann verantwortlich – was lächerlich war, weil Elias sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte. Aber jetzt würden sie sich besser kennenlernen und wenn Elias gesundheitliche Probleme hatte, wäre das für Ben ein Grund zur Sorge.
Er nippte an seinem Drink und sah die Liste der Filme durch, die er sich während des Fluges anschauen konnte. Elias war in ein dickes Buch vertieft. Es ging offensichtlich um das britische Erbrecht. Ben war gerührt darüber, dass Elias sich seinetwegen mit diesem schwierigen Thema befasste.
Sie wurden nonstop mit Essen – es schmeckte überraschend gut – und Getränken – mehr Champagner – versorgt. Ben hatte den Champagner erst ablehnen wollen, aber Elias bestand darauf, dass er den Flug genießen sollte. »Du musst mir helfen, den Urlaub nachzuholen, den ich nie genommen habe«, sagte er ernst, zwinkerte Ben aber dabei zu. »Und solange du nicht zu singen anfängst, kannst du so viel davon trinken, wie du willst.«
Aber Ben wollte sich nicht vor Elias betrinken. Er wollte sich nicht verplappern, wie es ihm mit Emery im Aquarium passiert war. Es wäre verdammt peinlich, wenn er anfangen würde, über Elias' weiche Haare zu schwärmen, die im Licht der untergehenden Sonne wie Bernstein glänzten. Oder wie viel es ihm bedeutete, dass Elias hier bei ihm war und ihm den Rücken stärkte, wenn er seiner entfremdeten Familie gegenübertreten musste.
Also trank er einige Gläser Champagner, sah sich ein Historiendrama an und knabberte Erdnüsse, um sich die Zeit zu vertreiben.
Nach einer Weile wurden die Lichter gedimmt. Ben nahm sich seine Decke und das Kissen. Elias hatte sich schon zugedeckt und war eingeschlafen, das Kissen wie einen Teddybären an sich gedrückt und die dunkle Maske vor den Augen. Er sah so verletzlich aus, dass Ben ihn instinktiv schon wieder beschützen wollte. Aber das war dumm. Elias brauchte keinen Beschützer.
Er musste irgendwann auch eingeschlafen sein, denn als er das nächste Mal auf die Uhr schaute, waren sie seit neun Stunden in der Luft. Die Beleuchtung wurde wieder eingeschaltet und der Pilot teilte mit, dass sie sich im Landeanflug auf London Heathrow befänden. Ben drückte die Nase an die Fensterscheibe, als sie aufsetzten. Es gab ein kleines Rütteln, mehr nicht.
»Oh mein Gott«, flüsterte er und sein Atem beschlug die Scheibe. »Wir sind wirklich hier!« Das Wetter war grau und