ZOMBIE INC.. Chris Dougherty

ZOMBIE INC. - Chris Dougherty


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und Benommenes. Vielen Menschen war das passiert. Das Blutbad war zu heftig gewesen, aber manche hatten das Pech, einfach trotz ihres traumatisierten Verstandes weiterzuleben. «Passen Sie auf sich auf», sagte Carl und trug sein Tablett zu einem freien Tisch. Er spürte Blicke auf sich. Nicht so viele wie auf einem Wrangler oder, schlimmer, einem Cleaner ruhen würden, aber angestarrt wurde er trotzdem. Besonders von den Jüngsten, die sich niemals jenseits von New Trenton und der Mauern der ZI-Anlage wagten. Für sie war er ein waghalsiger Superheld, wie die aus ihren Videospielen … oder so schmeichelte er sich jedenfalls selbst.

       Dill setzte sich ihm gegenüber. Sie hatte schon mit Essen begonnen, bevor das Tablett den Tisch berührte. Beinahe ohne Atempause machte sie sich über ihr Sandwich her. Carl betrachtete sie dabei und schob dann die Pitachips und den Hummus über den Tisch. «Magst du das?», fragte er.

       Ihr Kauen verlangsamte sich und ihr Gesicht flammte leuchtend rot auf. Sie schüttelte den Kopf, legte ihr Sandwich zurück aufs Tablett und wich seinem Blick aus. Ihre Kehle verengte sich, als sie mit Mühe schluckte.

       «Nimm es ruhig», sagte Carl. Was er gerade getan hatte – was sie dachte, dass er angedeutet hätte – war ihm unangenehm. «Es hat nichts zu bedeuten. Ich will's einfach nicht.»

       Er hatte davon gehört, dass zwischen manchen Menschen der Inneren ein gewisses System in Kraft war. Essen für Sex, so was eben. Vor zehn Jahren war es schlimmer gewesen, als Essen noch viel mehr von einer Handelsware gehabt hatte. Dill wäre gerade in einem Alter gewesen, in welchem man in ein solches System geraten konnte. Wie sie so da saß, in ihren Kakis und dem weißen Hemd, war das allerdings schwer vorstellbar. Sie sah ziemlich ehrbar aus.

       Dill zögerte. Ihre Augen wanderten zu seinen. Ihr Blick war skeptisch. Carl nahm sein Sandwich in die Hand und ignorierte sie. Er war ein wenig verstimmt, aber ob seinet- oder ihretwegen konnte er nicht entscheiden. Als sie das Essen auf ihr Tablett packte, spürte er, wie ein Teil seines Ärgers sich auflöste.

       «Okay, erzähl schon. Es interessiert mich», sagte er. «Was tut ihr da drüben in der Inneren, um euch zu amüsieren?»

       Während die Worte seinen Mund verließen und ihr Gesicht sich zu verschließen begann, begriff er, dass er einen weiteren Fehltritt begangen hatte. Obwohl die Hälfte, oder mehr, von ZIs Belegschaft dort wohnte, hatte die Innere einen miesen Beigeschmack. Angesichts dessen klangen seine Worte sogar in seinen eigenen Ohren lüstern.

       Dazu bereit, das Thema zu wechseln, räusperte er sich, doch dann antwortete Dill.

       «Nicht viel», sagte sie und zuckte mit den Schultern. «Ich war in der Nachtschicht, bevor ich bei Ihnen angefangen habe. Meistens hab ich tagsüber gelesen. Wir sind zu sechst im Apartment, also ist es ziemlich voll. Aber in manchen der Zweizimmerwohnungen leben acht Menschen, und das wäre viel, viel schlimmer. Ich hab wenigstens auch das Glück, dass meine Mitbewohner ruhig und ehrlich sind. Man hört ja echt einige Horrorgeschichten.»

       Carl nickte, obwohl sie ihn nicht ansah. Er verspürte ein Ziehen von Sympathie. Dieses Mädchen könnte seine Tochter sein, sie könnte … Nein. Auf keinen Fall. Vergiss den Gedanken. Vorbei ist vorbei. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

       «Das glaub ich gern», sagte er, dann ließ er das Thema fallen. Ihr Blick musterte ihn wieder; sie schien verwirrt von seinem plötzlichen Rückzug. Er verspürte ein weiteres Ziehen, das er aber unterdrückte. «Ich geh zum Verkauf und schau mir die Zahlen an. Möchtest du hier warten oder mitkommen?»

       Im Aufstehen stopfte sie die halb leere Tüte Chips in die Tasche ihrer Kakihose. «Ich komme mit.»

       «Das musst du nicht.»

       «Ich möchte es. Ich will das Assessment kennenlernen, jeden Aspekt davon, und je eher, desto besser. Es ist …» Sie schüttelte den Kopf. «Ich war auf Nachtschicht, seit ich sechzehn war – zehn Jahre lang, Carl. Ich konnte es mir nicht leisten, einen der für die anderen Stellen erforderten Abschlüsse zu machen. Es ist wichtig, dass ich diese hier bekomme, okay?»

       Carl runzelte die Stirn und nickte. «Klar, Dill. Kein Problem», sagte er. Er hatte das schreckliche Verlangen, ihr auf die Schulter zu klopfen, aber er zügelte seine Hand im letzten Augenblick. Der letzte Ort, an den er gehen wollte, war die Personalverwaltung.

      VIER

      Zombie Inc. Firmenhandbuch

      Belästigung

       §8: Mitarbeiterkontakt: Körper und Blick

       (Stand: 17.08.51)

      Zombie Inc. (nachstehend «ZI» genannt) verbietet OHNE AUSNAHME das Berühren von Angestellten durch andere Angestellte. Dieses beinhaltet, beschränkt sich jedoch nicht auf: Umarmungen, Händeschütteln, Küssen (auch Luftvariationen), das Legen von Händen auf Nacken, Schultern, Arme, Hände, Knie, Oberschenkel, Rücken oder Rückseiten, oder das Drücken selbiger. Alle Angestellten sind verpflichtet, ihre Hände jederzeit bei sich zu behalten.

      Angestellte sollten von andauerndem Augenkontakt absehen, welcher als «Starren» verstanden werden könnte. Obgleich ZI unmöglich jeden einzelnen Fall beschreiben kann, in dem es zur Notwendigkeit wird, einen anderen Mitarbeiter «anzusehen», so sollte das Folgende als Richtlinie betrachtet werden:

       1) Augenkontakt während freizeitlicher (nicht arbeitsbedingter) Gespräche sollte nicht länger als zwei bis fünf Sekunden aufrechterhalten werden, ehe eine «Pause» gemacht wird.*

       2) Augenkontakt während Arbeitsgesprächen sollte nicht länger als fünf bis sieben Sekunden aufrechterhalten werden, ehe eine «Pause» gemacht wird.*

       *Während der oben in 1) und 2) erwähnten «Pausen» des Augenkontakts ist ferner zu beachten, dass eine Unterbrechung darin besteht, vom Arbeitskollegen zu einem leblosen Objekt in naher oder weiterer Entfernung zu blicken, wie zum Beispiel, aber nicht ausschließlich: Wände, Schreibtische, Tische, Stühle, Computer, Pflanzen, usw. Unter KEINEN UMSTÄNDEN darf der Blick während der Unterbrechung des Augenkontakts auf den Körper des Arbeitskollegen fallen.

      Zu keiner Zeit sollen Mitarbeiter einen Arbeitskollegen anstarren, mit oder ohne dessen Wissen. Einen Arbeitskollegen länger als drei Sekunden zu «beobachten», erschafft ein feindseliges Arbeitsklima und kann eine Begründung für die fristlose Entlassung sein.

      Bitte folgen Sie den obengenannten Richtlinien zu innerbetrieblichem Starren und Augenkontaktvorschriften. Zu Verhaltensregeln bezüglich Besuchern von ZI lesen sie §19, «Belästigung: Besucherkontakt: Körper und Blick». Für Verhaltensregeln bezüglich Lieferanten von ZI lesen sie §20, «Belästigung: Lieferantenkontakt: Körper und Blick».

      ***

      Dill riss ihre Augen von Candys tiefem Ausschnitt los, nur um sich dabei zu ertappen, wie ihr Blick stattdessen zum glänzenden, klebrigen Schmollen von Candys Lippen wanderte. Als sie nach unten schaute, sah Dill sich mit Candys Beinen konfrontiert, glatt und milchig und bei den Knien überschlagen, nackt bis beinahe zur Mitte des Oberschenkels am einen und bis hinunter zu ihren aufreizend in Stilettos steckenden Füßen am anderen Ende.

       Dill zwang ihren Blick zum Boden. Die Bewegung brachte ihren eigenen bescheidenen Busen in Sicht, den der weiße, merzerisierte Baumwollstoff noch unscheinbarer machte. Darunter zeichneten sich ihre geschlechtslosen Kakihose und die schweren, schwarzen Stahlkappenstiefel ab. Es war beinahe so, als wären sie und Candy komplett verschiedene Spezies.

       Dill hatte mit sechzehn bei Zombie Inc. angefangen, in der Nachtschicht der Industrieabteilung, was putzen bedeutet hatte, Briefzustellung, Geländekontrollen, generelle Botengänge – alles in dem eindrucksvoll unattraktiven Outfit eines gräulichen Overalls samt Kopftuchs. Sie war noch nie in der Verkaufsabteilung gewesen, wenn Menschen dort waren – der Verkauf machte keine Nachtschicht –, aber die Male, die sie im Halbdunkel dort gewuselt hatte, war sie vom Geruch, würzig und manchmal blumig, hingerissen gewesen.

       Sie ließ ihren Blick wieder umherstreifen, darauf bedacht, dass er nicht an irgendeiner Person hängen blieb. Sogar die Wände im Verkauf, die Schreibtische, die Stühle, besaßen eine Aura von Überfluss, Verlockung und reichlichem Genuss. Aus den geräumigen Bürozellen drangen verführerisch säuselnde Stimmen, flüsternd, vertraulich. Das äußerst schmucke ZI-Verkaufsteam


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