TRANSFORMATION (Euphoria Z 2). Luke Ahearn

TRANSFORMATION (Euphoria Z 2) - Luke Ahearn


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sein Gleichgewicht zu halten, nach der Kante zu greifen und sich dann hochzuziehen.

      »Worauf wartest du denn da oben, du Schussel?« Seine Schwester, wer sonst?

      Endlich tat er es: Er federte sich hoch und platzierte den Fuß ganz oben neben seinem anderen. Einen Moment lang ließ er sich Zeit zum Durchatmen, bevor er weitermachte. Dann schaute er langsam hinauf und streckte einen Arm zum Dach aus. Mindestens ein Fuß fehlte noch immer zwischen seiner Hand und der Kante.

      Cooper hielt sich nicht mehr damit auf, wieder hinabzuschauen oder den Arm herunterzunehmen. Die einzige Möglichkeit, die ihm noch blieb, war ein gerader Sprung nach oben in der Hoffnung, die Kante zu erwischen. Falls nicht, würde er gewiss von der Querstrebe abrutschen, wenn sein Fuß wieder darauf traf. Um die Traufe greifen zu können, musste er nicht einmal einen Fuß weit hochspringen.

      Um die Beine beugen zu können, drehte er sie vorsichtig nach außen, damit die Knie nicht direkt gegen die Mauer stießen, wodurch er sich selbst weggedrückt hätte. Dann schnellte er empor.

      Er berührte die Kante mit den Fingern, rutschte dann aber sofort wieder daran ab. Das Herz schlug ihm nun bis zum Hals, nachdem er wieder auf der dünnen Metallstange gelandet war. Er war bereit, alles ihm Mögliche zu tun, um nicht in die ausgestreckten Hände der schnappenden Zombies zu stürzen. Zum Glück hatte er mit beiden Füßen auftreten können.

      Plötzlich erklang ein Plopp! Dann ein Zing!, als die Schrauben, mit denen das Spalier befestigt war, mit einem Ruck aus der Mauer lösten. Ellen und Karen kreischten laut. Seine Schwester verlor ihren Halt, klammerte sich aber weiterhin mit den Händen fest. Die senkrechten Streben knickten langsam ab, während sich das Gitter von der Wand entfernte.

      »Cooper!«, schrie Ellen ein ums andere Mal in Panik.

      Die nächste Reihe Schrauben knarrte unter der ungewohnten Belastung. Einen weiteren Versuch konnte er nicht wagen. Jetzt lag die Kante außerhalb seiner Reichweite, und das Gitter war nicht weiter verankert, neigte sich also einfach weiter oder löste sich endgültig von der Mauer. Er spielte mit dem Gedanken, abzuspringen und sich anschließend von den Zombies verschlingen zu lassen, damit seine Schwester überleben würde. Während er nach unten starrte, überlegte er, wie er sich entscheiden sollte, aber da umschloss jemand sein Handgelenk und zog ihn mit einem einzigen Ruck hinauf auf das Dach.

      Es war Taffer. Er ließ Cooper auf seine vier Buchstaben fallen und setzte danach eine Dose an – einen Energiedrink, den er unten im Geschäft mitgenommen hatte. Als er erst mal anfing zu trinken, schien er sich gar nicht mehr bremsen zu können.

      »Meine Fresse!« Cooper staunte nicht schlecht, hatte aber Ellen und Karen natürlich nicht vergessen. Schnell stand er auf und lief zurück zum Dachrand. Als er sich nach unten streckte, war er allerdings immer noch zu weit weg, um Ellen, die ihren Arm ebenfalls lang streckte, packen zu können. Dann spürte er plötzlich eine Hand an einem seiner Fußknöchel, woraufhin er sich ein Stück über die Kante hängen ließ und seine Schwester endlich zu fassen bekam.

      »Hab sie!«, rief er über seine Schulter hinweg. Taffer zog die beiden nun hoch.

      Anschließend folgte Karen, die dank ihrer Körpergröße noch leichter auf das Dach gelangte.

      Taffer hatte sich nicht zu knapp mit dem Sportgetränk besudelt. Er setzte die Dose kurz ab.

      »Sorry, aber ich hatte das Gefühl, als würde ich verdursten.« Auf dem Boden neben ihm lagen bereits zwei leere Dosen.

      »Du bist also gar nicht hineingegangen, um uns zu helfen?«, fragte Karen fassungslos.

      »Ursprünglich nicht. Ich dachte nicht einmal an die Zombies, sondern ich war so durstig, dass ich mir einfach unbedingt etwas zu trinken besorgen musste.«

      »Wie dem auch sei, wenigstens ist er danach hochgekommen.« Ellen wirkte leicht verärgert wegen Karen. »Wo ist denn Tom?«

      Karen hob zu einer mäßig überzeugenden Antwort an: »Vielleicht hat er die Monster gesehen und …«

      »Aber warum hat er mich dann einfach aus dem Auto geworfen?«, fragte Taffer zwischen zwei Schlucken. »Nein, der ist abgehauen!«

      »Und wo steckt Hector?«, warf Cooper ein.

      Taffer zeigte hinüber zu der Stelle, wo sich der Lateinamerikaner erleichtert hatte. »Ich habe gesehen, wie er niedergerungen wurde. Hört mal, ich würde jetzt gern wieder nach unten gehen und etwas zum Essen suchen. Danach bringe ich auch für uns alle etwas hoch.« Daraufhin ließ er sich einfach durch ein zerbrochenes Deckenfenster in die Dunkelheit fallen.

      Das erschreckte zwar alle, doch Cooper erinnerte sich nur zu gut an den Kraftakt, den Taffer gerade demonstriert hatte.

      Er ging zu dem Fenster und schaute hinab. Aus der Finsternis hörte er Gestöhne und Geraschel, aber sonst nichts. Darum kniete er sich hin und strengte seine Augen an, doch es war nichts zu sehen. Sie waren ja eben erst in dem Laden gewesen, und auch trotz der Öffnung im Dach reichte das Licht nicht aus, um viel erkennen zu können.

      Kann er jetzt etwa auch im Dunkeln sehen?, sinnierte Cooper. Die Minuten zogen sich dahin, ohne dass Taffer zurückkehrte. Cooper und Ellen holten weiter Versäumtes nach, indem sie sich voneinander erzählten, während Karen hinaus auf die vielen Untoten und die Stadt schaute. Sie waren noch immer recht nahe an der Bucht, konnten sie sogar sehen und rochen die salzige Luft.

      Karen sah betrübt aus. Ellen wurde sich bewusst, dass sie die Ältere anstarrte, und überlegte kurz, ob sie vielleicht hinübergehen solle, um mit ihr zu sprechen und sich zu erkundigen, wie es ihr ging. Plötzlich kippte Karen vornüber. Es geschah allerdings nicht versehentlich: Karen schloss die Augen und breitete ihre Arme aus.

      Die Geschwister reagierten sofort und sprangen auf, aber sie waren nicht schnell genug, um es verhindern zu können. Sie rannten zur Dachkante, aber so wie es aussah, war Karen schon tot. Ihr Körper wurde unter der Meute begraben, zerfetzt und dann zu den anderen weitergereicht. Er zuckte wie von Spasmen geschüttelt, während Teile abgerissen und abgebissen wurden. Nach ein paar Yards ging die Leiche schließlich spurlos im Getümmel unter.

      »Sie hat nicht einmal geschrien«, sagte Ellen fassungslos.

      Karens Verhalten entgeisterte Cooper. Er machte sich Gedanken darüber, wie seine Schwester wohl empfand, sorgte sich aber umso mehr darum, dass der offensichtliche Selbstmord ihn persönlich absolut kaltließ. Etwas daran machte ihn sogar leicht wütend auf die Frau. Er legte nun eine Hand auf Ellens Schulter.

      »Es tut mir leid.« Mehr fiel ihm nicht ein.

      Auf einmal tauchte Taffer hinter ihnen auf. Unter einem Arm hielt er mehrere volle Tüten.

      »Wo ist denn Karen?« Er ließ die Tüten auf ein Aggregat der Klimaanlage fallen. Da das Dach geteert und mit einer Schicht aus sehr grobem Schotter bestreut war, konnte man sich leider nicht hinsetzen.

      »Sie ist gesprungen. Einfach so«, antwortete Ellen traurig. Sie hatte Karen sehr gemocht und war ihr während der letzten Wochen nähergekommen, grämte sich aber trotzdem nicht über Gebühr. Womöglich hatte die neue Realität sie ebenfalls so weit abgestumpft, vielleicht stellte sich der Schmerz auch erst verzögert ein, wenn sie dies alles verarbeitet hatte.

      Während sich Cooper und Ellen gegenseitig auf den neuesten Stand brachten, dabei entweder aufeinander fokussiert waren oder die nach wie vor malerische Stadt mit der Bucht ins Auge fassten, verzehrte Taffer ein großes Stück verdorbenes Fleisch, das vermutlich von einer Hochrippe stammte. Es war vollständig von sich kringelnden Maden überzogen, die abfielen, wenn er Bissen nahm. Viele davon blieben allerdings in seinem Bart hängen und wanden sich dort, als ob sie verwirrt nach dem Futter suchten, von dem sie gerade noch gefressen hatten. Das schlecht gewordene Fleisch stank bestialisch, doch der Geruch der vielen Hundert faulenden Leichen auf dem Parkplatz war noch schlimmer. Taffer kaute in Gedanken vertieft vor sich hin, ohne die Wahl seiner Mahlzeit auch nur eine Sekunde zu hinterfragen. Den nächsten Happen, den er herausriss, schluckte er ganz. Denn er hatte erkannt, dass ihm das Kauen überhaupt nichts brachte. Was er aß, schmeckte weder besser noch schlechter, ob er es nun zerkleinerte oder nicht.


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