Schattenreiter. Sarah Nikolai

Schattenreiter - Sarah Nikolai


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Wright, Roys Sohn.«

      »Jorani Wittlach.«

      »Seit wann ist Roy so ein Sicherheitsfanatiker?«, wollte Ira wissen. »Seit ihn ein paar Jungs aus der Gegend ausgeraubt haben.« »Was?« Ihr klappte die Kinnlade herunter.

      »Einer von denen hat ihn abgelenkt, die anderen haben die Tabakkisten leer geräumt. Dad hat’s viel zu spät gemerkt.« »Mist. Tut mir leid für euch.«

      Isaac zuckte mit den Schultern. »Kann man nichts machen. Aber das nächste Mal haben wir dann Beweise.« Er zeigte mit den Daumen auf die Kamera.

      »Kann ich euch helfen? Sucht ihr was Bestimmtes?«

      Ich entdeckte auf der linken Seite der Kasse einen Glaskasten mit Rins Schnitzereien. »Ach, hier sind diese Sh ... ir ... Shr ...«

      »Shi-ru’u«, half mir Isaac und trat neben mich. Er drehte den Kasten, um mir die verschiedenen Medaillons zu zeigen.

      »Das ist ein alter Glaube aus der Zeit unserer Vorfahren. Man dachte, dass die Geister über das Schicksal der Menschen entscheiden. Entsprechend machte jeder kenntlich, was er sich am meisten wünschte.«

      Zum ersten Mal bemerkte ich, dass der Federschmuck jedes Medaillons eine andere Farbe besaß.

      »Rote Federn sollen Ruhm bringen. Gelbe Reichtum.«

      »Ich hab grüne.«

      »Lass mal sehen.« Er nahm die Legende aus dem Kasten und suchte nach der entsprechenden Farbe.

      »Schutz. Es handelt sich um den Shi-ru’u des Schutzes. Der Träger soll vor Gefahren gewarnt werden. Böse Geister dürfen ihm nicht zu nahe kommen.«

      »Kling doch gut«, sagte ich und strich die grünen Federn meines Anhängers glatt. Zwar glaubte ich nicht an solche Dinge, aber irgendwie war es doch beruhigend, einen kleinen Aufpasser bei sich zu haben.

      »Derjenige, der dir den Shi-ru’u geschenkt hat, ist offenbar um deine Sicherheit besorgt.«

      »Ihr glaubt doch nicht wirklich an diesen Quatsch«, mischte sich Ira ein.

      »Man weiß nie, welche Kräfte zwischen Himmel und Erde wirken«, erwiderte Isaac und legte die Legende in den Schaukasten zurück.

      Nachdem sich Ira ausführlich den neuen Schmuck aus dem Reservat angesehen hatte, verabschiedeten wir uns und machten uns auf den Heimweg.

      »Roy scheint nicht sehr beliebt zu sein«, stellte ich sachlich fest, nachdem ich mich angeschnallt hatte. »Wie kommst du denn darauf?«

      »Na ja, erst wird sein Geschäft überfallen und dann sein Hund getötet.«

      »Er hat zwar eine raue Schale, aber einen weichen Kern. Jeder hat ihn gern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Feinde hat.«

      »Irgendwer hat es aber offenbar auf ihn abgesehen. Oder glaubst du an Zufall?«

      Sie seufzte. »Ich kann mir schon denken, wer dahintersteckt.« »Ach ja?« Nun war ich wirklich neugierig. Zuvor hatte sie doch nicht den geringsten Verdacht äußern wollen. »Sid.« »Und wer ist das?«

      »Ein Typ, der Ärger magisch anzieht und immer Dreck am Stecken hat. Ich glaube nicht, dass er sich auf Roy eingeschossen hat. Er macht jedem Ärger, der ihm über den Weg läuft.«

      »Scheint ein echter Psychopath zu sein.«

      »Na ja, vor allem ist er mein Ex.«

      Nun war ich tatsächlich entsetzt. Wenn dieser Sid so ein Mistkerl war, warum hatte Ira sich dann auf ihn eingelassen? Aber war es nicht immer so? Die schönsten Mädchen suchten sich immer die miesesten Kerle aus.

      »Das ist lange her«, erklärte sie hastig. »Damals war er anders.«

      »Und was hat ihn verändert?«

      »Keine Ahnung. Als ich noch mit ihm zusammen war, sagte er immer, dass das Leben in South Dakota todlangweilig wäre und man endlich mal für Action sorgen müsste.«

      »Das hat er dann wahr gemacht.«

      »Scheint so.«

      Ich blickte aus dem Seitenfenster und entdeckte einen Mann, der durch das hohe Gras ritt. Schweif und Mähne seines Pferdes wehten im Wind. Kraftvoll stieß sich das Tier vom Boden ab, als wollte es mit uns mithalten. Doch der Camaro war schneller. Es dauerte nicht lange, bis der Reiter hinter uns zurückblieb. Im Rückspiegel erkannte ich sein Gesicht. Es war Rin.

      »Du kannst mich hier schon rauslassen«, sagte ich spontan.

      »Hier? Hier ist doch nichts, außer der alten McDonald-Farm.« Sie hielt dennoch an.

      »Macht nichts. Danke fürs Mitnehmen.«

      »Aber wie willst du denn nach Hause kommen?«

      »Fährt hier kein Bus?«

      »Ja, schon. Aber nur alle vier Stunden.«

      »Dann nehme ich den Bus.« Ich winkte.

      »Okay, wenn du meinst.« Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und entdeckte Rin. »Verstehe. Du gibst nicht so schnell auf, was?«

      »Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte ich und zwinkerte ihr zu.

      »Viel Glück. Ich melde mich bei dir wegen der Eröffnungsfeier im Cobra Club.«

      »Mach das.«

      Ich schlug die Wagentür zu, und Ira brauste davon. Erst als sie außer Sichtweite war, drehte ich mich um und lief gemütlich den Weg zurück, die Hände in den Taschen meiner Jeans vergraben. Auf halber Strecke blieb ich stehen und wartete, bis Rin mich eingeholt hatte.

      Der hob überrascht eine Augenbraue, als er mich erkannte.

      »So sieht man sich wieder«, sagte ich und wich aus Respekt vor dem anmutigen Tier einen Schritt zurück.

      Rin saß ab, nahm die Zügel in die Hand und sah mich erstaunt an. »In der Tat, eine Überraschung.« Er klopfte dem Pferd auf den Hals, das zufrieden schnaubte. »Was führt dich hierher, Stadtmädchen?«

      »Ich heiße Jorani.«

      »Rin.« Er gab mir die Hand und schüttelte sie. Was für ein kräftiger Händedruck. Das Holzfällerhemd hatte er sich um die Hüften gebunden. Jetzt trug er nur noch ein weißes Unterhemd, unter dem sich seine Brustmuskeln verführerisch abzeichneten.

      »Ich war neugierig, was du hier machst«, klärte ich ihn auf.

      »Ich verschaffe Roys Pferd Auslauf.«

      »Alles dreht sich um Roy«, merkte ich amüsiert an. »Wie kommst du darauf?«

      »Ach, nicht so wichtig.« Ich winkte ab. Er konnte ja nicht ahnen, dass ich gerade in Roys Souvenirshop gewesen war.

      »Er hat mich vorhin darum gebeten, weil er in letzter Zeit viel zu tun hat und es nicht schafft, sich um Larki zu kümmern. Aber Larki braucht Bewegung und den Wind der Freiheit, der ihm um die Nüstern weht.«

      »Wie kommt es, dass Roy ein eigenes Pferd hat?«

      »Das ist hier nichts Ungewöhnliches. Es ist im Stall der McDonalds untergebracht.«

      Liebevoll strich er über die Blesse des Hengstes, der daraufhin den Kopf leicht hob, als wollte er Rins Worten zustimmen. Ich hatte nie zuvor einen Menschen so sanft mit einem Tier umgehen sehen. Rin behandelte es so behutsam wie einen engen Freund.

      »Ich nehme an, ihr habt in der Großstadt keine Pferde.« Er betrachtete mich eingehend. Doch nicht nur er. Das Pferd wandte den Kopf zur Seite und blickte mich aus einem dunklen, unergründlich schwarzen Auge an. Es war unendlich sanft und zugleich wild.

      »Doch. In Berlin gibt’s auch Ställe. Aber ich muss gestehen, dass ich keines dieser Mädchen war, die für Pferde und Reiten schwärmen.«

      »Und warum nicht?«

      Ich zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich hatte Angst.« Er lachte.


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