Schattenreiter. Sarah Nikolai
»Das habe ich bestimmt nicht.«
»Was macht dich da so sicher?« Er kraulte Larki hinter dem Ohr, strich ihm die Mähne nach hinten. Das Pferd schnaubte leise.
»Ich habe keinen besonders guten Draht zu Tieren. Ich mag sie, sie mögen mich, und dennoch gehen wir uns aus dem Weg.«
»Weil ihr nicht dieselbe Sprache sprecht.«
»Ja, vielleicht. Meine Vorfahrin war eine Lakota, und Dad sagte oft, sie hätte es verstanden, mit Tieren zu sprechen. Nicht mit der Stimme, sondern durch Gesten, durch ihre Zuneigung. Aber ich habe ihre Fähigkeit nicht geerbt.« Es war eine Gabe, die nun einmal nicht jeder besitzen konnte. Rin hatte sie, da war ich mir sicher.
»Sie muss eine weise Frau gewesen sein. Aber etwas von ihr ist auch in dir. Du solltest es versuchen.«
Er ließ plötzlich die Zügel los, und Larki kam auf mich zu. Instinktiv wich ich zurück. Rin lachte erneut. »Stadtmädchen, hab Vertrauen. Keine Angst. Das Pferd ist ein Freund, ein Gefährte, kein wildes Raubtier.«
Das war leichter gesagt als getan. Larki war im Vergleich zu mir riesig. Wenn er nach mir trat, würde ich bestimmt mehrere Meter durch die Luft fliegen. Hinzu kam, dass ich nichts von der Körpersprache der Pferde verstand, also auch nicht gewarnt wäre, falls es auf einmal brenzlig werden würde.
Plötzlich trat Rin hinter mich und hielt mich an den Schultern fest, so dass ich nicht weiter zurückweichen konnte. Sein warmer Atem kitzelte meinen Nacken. Ich kicherte leise. Verdammt, das fühlte sich gut an.
»Hab Vertrauen, Stadtmädchen. In dich und in Larki. Öffne deine Hand.«
Er griff nach meinem Handgelenk und führte mich. Obwohl ich normalerweise sehr stur sein konnte, wenn ich etkonnte. Sein warmer Atemwas nicht wollte, ließ ich es geschehen und tat, was er verlangte. Das war ganz und gar nicht typisch für mich. Vor allem, da ich immer noch schreckliche Angst vor dem Pferd hatte.
»So ist es gut«, flüsterte Rin. Ich genoss es, seine Lippen so dicht an meinem Ohr zu spüren, und vergaß beinahe, warum ich die Hand öffnen sollte. Das leise Vibrieren, das sein Atem an meiner Haut verursachte, glich einem Streicheln, einer Liebkosung. Ich hätte mich in dem Gefühl verlieren können.
Plötzlich legte er mir eine Karotte, die er aus der Tasche seiner Jeanslatzhose geholt hatte, auf die Handfläche.
Larki verstand das als Einladung. Sein weiches Maul strich mir über die Finger. Geschickt nahm er mir die Karotte ab und zermalmte sie zwischen den Zähnen.
Rin führte meine Hand näher an das Tier heran.
»Schließ die Augen, und vertraue«, sagte er leise.
Ich atmete tief durch, befolgte seine Anweisung und versuchte, mich zu entspannen. Was alles andere als einfach war. Meine Hand glitt durch die Luft, bis ich Larkis Blesse unter ihr spürte. Sein Fell fühlte sich warm an.
»Siehst du, du kannst es.«
Allmählich verstand ich, worauf es ankam. Ruhe und Selbstvertrauen. Meine Sicherheit übertrug sich auf Larki. Rin ließ mein Handgelenk los, und ich hatte wieder die volle Kontrolle. Vorsichtig fuhr meine Hand über Larkis Maul. Zu meinem Erstaunen blieb der Hengst ruhig. Ich hatte sogar das Gefühl, er würde die Streicheleinheit genießen.
»Unglaublich, du bist ein Zauberer. Niemand hat mich je dazu gebracht, so dicht an ein Pferd heranzugehen.«
Rin lächelte und beobachtete meine Bewegungen sowie Larkis Reaktionen darauf.
»Gut, das machst du sehr gut«, lobte er mich.
»Hast du vielleicht noch eine Karotte?«
Er griff in seine Tasche und gab mir eine Rübe. Auch die nahm Larki dankbar an. »Der ist wirklich brav«, freute ich mich.
»Er spürt, dass du es gut mit ihm meinst. Nun prägt er sich deinen Geruch ein und bringt Positives damit in Verbindung.«
»Das fühlt sich gut an«, sagte ich leise, doch ich meinte nicht die warmen Nüstern, die meine inzwischen leere Handfläche nach etwas Fressbarem abtasteten, sondern Rins Nähe. Sein Körper berührte meinen, schmiegte sich an ihn. Er strahlte Wärme aus.
Nachdem Larki festgestellt hatte, dass ich ihm nichts weiter anbieten konnte, wandte er sich ab und fing an zu grasen.
»Eines Tages wirst du ihn reiten können«, prophezeite Rin und setzte sich ins Gras. Wie er es schon am Morgen getan hatte, zupfte er einen Halm ab und steckte ihn sich in den Mund.
»Das glaube ich nicht«, erwiderte ich und ließ mich neben ihm nieder. Die Sonne brannte heiß auf uns nieder, und ich wünschte, ich hätte einen Cowboyhut dabeigehabt.
»In dir steckt mehr, als du glaubst.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Mag sein.« Trotzdem hatte ich Schwierigkeiten, mir vorzustellen, jemals auf einem Pferd zu sitzen. Dad hatte mich früher zu einer Tierfarm mitgenommen. Damals hatte ich noch reiten wollen, doch nachdem eines der Pferde nach mir geschnappt hatte, war das sofort vorbei gewesen.
Rin löste ein Taschenmesser von seinem Gürtel und bearbeitete ein Holzstück, das er gefunden hatte.
»Schnitzt du neue Shi ... Sih ...« »Shi-ru’u.« Er lächelte.
»Genau, die meine ich.« Ich nahm sein Amulett in die Hand und strich über die grünen Federn, die mich beschützen sollten. »Ich weiß noch nicht, was es wird.«
Ich beobachtete ihn eine Weile, bis ich die ersten Konturen eines Gesichts zu erkennen meinte. »Glaubst du daran?« »Woran?«
»Dass die Shi-ru’u Glück bringen?«
Er schien einen Moment zu überlegen, nickte dann aber vorsichtig. »Ja, ich denke, das tun sie.«
Larki wieherte leise und schlug mit seinem Schweif eine lästige Krähe in die Flucht. Die setzte sich auf einen Felsen und blickte neugierig zu uns herüber. Rin schnalzte mit der Zunge, woraufhin das Tier aufflog und aus unserer Reichweite verschwand.
»Mansagt«, begann er schließlich, während er konzentriert weiterschnitzte, »dass die Zorwaya einen Körper suchen, in den sie einkehren können. Doch es muss ein Körper sein, der ihnen freiwillig zur Verfügung gestellt wird und den sie jederzeit wieder verlassen können.«
»Warte. Ich komme nicht ganz mit. Was bedeutet Zorwaya?«
»Zorwaya sind«, er suchte nach den richtigen Worten und unterbrach das Schnitzen für einen Augenblick, »kleine Geister. Schutzgeister sozusagen.«
»Das klingt ja gruselig.«
»Ist es aber nicht. Es sind gute Geister.«
»Mmh.«
Er lachte über meinen skeptischen Gesichtsausdruck. »Nicht schlimm, wenn du nicht daran glaubst.«
»Ich schließe nichts aus«, lenkte ich ein. Wenn ich ehrlich war, faszinierte mich seine Welt immer mehr. Ich war erstaunt, wie viel er über Geister und Tiere wusste. Und das machte mich noch neugieriger auf ihn.
»Es ist spät«, sagte er plötzlich und deutete zum Stand der Sonne. »Ich bringe Larki besser zurück.«
»Schade.«
Das Holzstück verstaute er in seinem Rucksack. Mit einem Handgriff befestigte er das Taschenmesser an seinem Gürtel. Daran hingen außerdem silberne Ketten mit hölzernen Kugeln, die genau wie mein Shi-ru’u mit Federn geschmückt waren.
Rin erhob sich, steckte Daumen und Zeigefinger in den Mund und erzeugte einen schrillen Pfeifton, der Larki anlocken sollte.
Artig kam Larki angetrabt und blieb vor Rin stehen, der ihm sanft auf den Hals klopfte. »So, Akpatok, so.« Er ordnete das Zaumzeug, doch bevor er sich auf den sattellosen Rücken des Pferdes schwang, drehte er sich zu mir um.
»Und wie kommst du nach Calmwood zurück?« »Ich fürchte, ich muss auf den Bus warten.« »Aber