Schattenreiter. Sarah Nikolai
komme ich schon an.«
»Daran hättest du vorher denken sollen, Stadtmädchen. Komm, steig auf, Larki und ich bringen dich nach Hause.«
Ich hob abwehrend die Hände. »Auf diesen Rücken bekommen mich keine zehn Pferde.«
»Ich halte dich fest, versprochen.«
Er reichte mir die Hand. Sein Blick verriet, dass er keine Widerrede duldete. Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, gab ich doch nach und nahm sie an. Er führte mich zu Larki und ließ den Hengst an mir schnuppern, damit er meinen Geruch wiedererkannte.
»Jaknura, Larki«, flüsterte er beruhigend, während die Lippen des Pferdes an meinem T-Shirt zupften.
»He, lass das«, sagte ich und lachte.
»Larki wird dir vertrauen, nun musst auch du ihm vertrauen.«
Rin saß auf und reichte mir die Hand. Ich ergriff sie zögerlich. Im Nu zog er mich hoch und ließ mich vor sich sitzen. Sanft hielt er mich fest und schnappte sich die Zügel.
»Hast du noch Angst?«
»Ja«, gab ich zu.
»Die brauchst du nicht haben. Ich bin hier.«
Ich atmete tief durch und hielt mich vorsichtig an Larkis Mähne fest. Als sich das Pferd in Bewegung setzte, stieß ich vor Schreck einen leisen Schrei aus, der Rin zum Lachen brachte. »Vertrauen, Stadtmädchen.«
Ich ärgerte mich über mich selbst. Rin hatte durch unsere erste Begegnung wahrscheinlich sowieso schon ein verzerrtes Bild von Großstadtmenschen bekommen, und jetzt lieferte ich ihm neuen Stoff, indem ich mich wie eine dumme Gans anstellte. Noch mal würde mir das nicht passieren.
»Wir gehen nun in leichten Trab über«, erklärte er.
Ich krallte mich in seinen Arm, der fest um meine Taille lag. »Trab« klang nach Geschwindigkeit. Und davor hatte ich panische Angst.
»Bleib ganz locker«, redete Rin mir gut zu.
Tatsächlich merkte ich schnell, dass alles nur halb so schlimm war. Er hielt mich, und wenn ich doch zur Seite zu rutschten drohte, brachte er mich schnell in meine Ausgangsposition zurück. Allmählich gewöhnte ich mich an das Ruckeln.
»Das ist wahre Freiheit.« Er zeigte auf einen Adler, der mit ausgebreiteten Schwingen über uns durch die Luft segelte. »Den holen wir ein«, versprach er. »Heyyaaah!« Er drückte seine Fersen sanft in Larkis Flanken und trieb das Pferd damit zu seiner Höchstgeschwindigkeit an. Das Wettrennen mit dem Adler hatte offenbar seinen Kampfgeist geweckt.
Ich hingegen warf meine guten Vorsätze über Bord und schrie laut auf. Gleich würde ich die Balance verlieren und runterstürzen. Ich klammerte mich an ihm fest.
»Lass mich bitte vorher absteigen!«
Rin zog behutsam an Larkis Zügeln. Er wechselte von Galopp in Trab und von Trab in Schritt. Eine Hand tätschelte liebevoll meinen Kopf. »Ach, Stadtmädchen. Du hast es bald überstanden.«
Ich war heilfroh, als das Ortsschild von Calmwood in Sicht kam. Rin brachte das Pferd zum Stehen.
»Weiter können wir dich nicht begleiten, Jorani. Aber von hier findest du den Weg selber.«
Als ein Auto vorbeifuhr, erschreckte sich Larki so heftig, dass er nervös auf der Stelle tippelte und laut schnaubte. »Sssht, ruhig, Jaknuri.« Rins Zuspruch half.
»Hab ich mich gerade verhört, oder nennst du mich endlich Jorani?« Ich freute mich, denn »Stadtmädchen« hatte immer ein bisschen abfällig geklungen. Die Art, wie er meinen Namen aussprach, gefiel mir. Es klang sanft und melodisch.
»Du heißt doch Jorani, oder nicht?«, scherzte er. »Ja, schon, aber ...«
Rin saß ab und half mir herunter, indem er mich auffing und auf die Füße stellte. Meine Beine gaben unter mir nach. Sie zitterten vor Anstrengung. Rin stützte mich. »Vorsicht, deine Muskeln müssen sich erst ans Reiten gewöhnen.«
»Besser nicht.« Ich hatte nicht vor, in absehbarer Zeit nochmals auf ein Pferd zu steigen.
»Geht schon«, sagte ich und schüttelte meine Beine aus. Sie fühlten sich wie eingeschlafen an. Tausend kleine Ameisen schienen an meinen Waden hochzukrabbeln.
Rin saß wieder auf und wendete.
»Sehen wir uns wieder?«, fragte ich eilig, noch bevor er verschwinden konnte.
»Calmwood ist klein«, erwiderte er.
»Ich meine das ernst. Mir hat es heute viel Spaß gemacht. Auch wenn du mir das nicht glaubst.« Er hob skeptisch eine Augenbraue.
»Du kannst ja einfach mal ins Desert Spring kommen. Ich würde mich freuen.«
Er nickte. »Ja, vielleicht mache ich das.«
Im Desert Spring erfuhr ich, dass Gladice von der Leiter gestürzt war, als sie die Preise über der Theke korrigieren wollte, und sich den Arm gebrochen hatte. Roger war so nett gewesen, sie nach Rapid City ins Krankenhaus zu fahren. Meine Tante hatte nun alle Hände voll zu tun.
»Kann ich dir helfen?«, fragte ich, nachdem ich mit meiner Mutter telefoniert und ihr ausführlich von meiner Ankunft berichtet hatte. Abigail schüttelte lachend den Kopf. »Du machst doch hier Urlaub. Genieß ihn.«
Sie trug gleich mehrere Teller zur Spüle, es klapperte bedenklich, so, als würde ihr das Geschirr jeden Moment aus den Händen rutschen. Ich konnte das nicht mit ansehen.
»Ist doch egal. Ich habe schon mal gekellnert, und das hat Spaß gemacht. Außerdem würde ich sonst nur den ganzen Nachmittag rumsitzen.«
Abigail krempelte die Ärmel hoch und ließ Wasser ins Spülbecken ein. »Na schön. Heute ist hier wirklich die Hölle los. Wenn du die Tische im Garten übernehmen könntest, wäre ich dir sehr dankbar.«
Ich salutierte und lachte. »Wird gemacht, Ma’am.«
« Ich band mir Gladice’ Schürze um und ging in den Garten. An einem Tisch saßen drei junge Männer, die ausgiebig die Karte studierten. »Haben Sie schon gewählt?«
Sie waren ein bisschen jünger als ich. Das erkannte ich an den teilweise noch kindlichen Gesichtszügen. Einer hatte eine Igelfrisur, der andere versteckte sein Gesicht unter einem tief heruntergezogenen Basecap mit dem Logo eines lokalen Baseballteams, und der Dritte hatte seine Haare zu einem schmierigen blonden Zopf gebunden. Auf seiner Stirn hatte sich Akne breitgemacht.
Die Körperhaltung der Jungen verriet Anspannung, vielleicht sogar Aggression.
»Ich nehme den Apfelkuchen«, sagte der Stachelkopf.
»Ja, der soll ja ausgezeichnet schmecken. Ich hätte auch gern ein Stück.«
»Tut mir leid, Apfelkuchen ist leider aus. Darf ’s etwas anderes sein?«
»Kein Apfelkuchen? Sehr schade. In dem Fall muss ich mich wohl mit diesen beiden hübschen Äpfeln begnügen.«
Im ersten Moment wusste ich nicht, worauf er anspielte. Als er auf meine Brüste deutete, fingen die Jungen an zu lachen. Offenbar steckten sie mitten in der Pubertät.
»Möchten Sie nun etwas bestellen oder nicht?«, fragte ich deutlich gereizter als gewollt.
»Hab ich nicht grade was bestellt?« Der Stachelkopf rückte mit seinem Stuhl zurück und klopfte mit beiden Händen auf seinen Schoß, als wollte er mich auffordern, dort Platz zu nehmen.
»Was soll das hier? Hatte ich euch nicht Hausverbot erteilt, weil ihr meine Gäste belästigt habt?«, fuhr Tante Abigail dazwischen, die in den Vorgarten gekommen war.
»Das müssen andere Jungs gewesen sein, wir sind zum ersten Mal hier.«
»Lügt mich nicht an. Ich habe mir eure Gesichter gemerkt. Und jetzt macht, dass ihr hier wegkommt.« Sie war ziemlich wütend. Ihre Stimme klang laut und kräftig. Selbst Dad wäre nicht gegen sie angekommen, und der hatte