Ester. Jean-Daniel Macchi

Ester - Jean-Daniel Macchi


Скачать книгу
verfolgte eine Politik des Judaisierens gegenüber den Bewohnern seines Herrschaftsbereichs.124 Schließlich eroberte er wichtige Städte (Samaria, Scythopolis und Beerscheba).

      Anders als ihre Vorgänger beanspruchten die Hasmonäer Aristobul I. (104–103) und Alexander Jannai (103–76) den Königstitel für sich.125 Alexander führte eine von den hellenistischen Reichen unabhängige Politik. Das judäische Königreich erreichte damit seinen Höhepunkt. Alexander Jannai kontrollierte die gesamte südliche Levante, Idumäa, Philistäa, Samaria, Galiläa und Transjordanien.126 Unter seiner Herrschaft kam es häufig zu internen Konflikten zwischen der hasmonäischen Monarchie, die auf die Unterstützung der Sadduzäer angewiesen war, und anderen jüdischen Gruppen.127 Nach seinem Tod regierte seine Frau Salome Alexandra an seiner Stelle (76–67). Schließlich führte das Eingreifen der Römer (ab 63 v. u. Z.), gefolgt von der herodianischen Dynastie (ab 37 v. u. Z.), das Ende der Hasmonäerzeit herbei.

      2.8.2. Synthese

      Protomasoretische hasmonäische RedaktionDie thematischen Parallelen zwischen der masoretischen Version von Ester und der makkabäischen Literatur legen den Schluss nahe, dass die Arbeit der protomasoretischen Redaktoren in der makkabäisch-hasmonäischen Zeit stattgefunden hat. Die MT-Fassung von Ester setzt die makkabäische Krise voraus und nimmt Bezug auf sie. Tatsächlich hält sie am Ende der Erzählung fest, dass das Perserreich fortbestehe, dass aber die Juden nun über sich selbst bestimmten und damit einverstanden seien (10,3). Eine historisch vergleichbare Situation dürfte frühestens mit Jonatan Makkabaios eingetreten sein. Des Weiteren erwähnt der MT von Ester das Judaisieren großer Gruppen von Nichtjuden (8,17), was wiederum an die hasmonäische Expansionspolitik von Simon und Hyrkan erinnert. Und schließlich könnte das Verlangen der Diasporajuden, einen großen militärischen Erfolg zu feiern (Est 9,20–32), eine Anspielung auf einen Sieg der Hasmonäer zur Zeit von Hyrkan sein – den Nikanor-Tag, der am 13. Adar gefeiert wurde und den die Festbriefe in 2 Makkabäer erwähnen, um für die Feier des Chanukka-Fests in der Diaspora zu werben. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass die Hasmonäer mit dem Fest ihre Vorrangstellung gegenüber allen anderen Juden stärken wollten.

      Auf die Zeit nach der Herrschaft von Hyrkan kann die protomasoretische Umarbeitung nicht datiert werden. Denn in ihr findet sich weder eine Anspielung auf den Anspruch der Hasmonäer, von Aristobul an als unabhängige Monarchen aufzutreten, noch auf die internen jüdischen Konflikte, die sich nach der Regierungszeit von Alexander Jannai verhärtet zu haben scheinen. Andererseits muss diese Redaktion unbedingt vor der Entstehung der LXX-Fassung von Ester stattgefunden haben – spätestens in der Mitte des ersten Jahrhunderts v. u. Z. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass das in der Diaspora geschriebene alte Proto-Ester-Buch in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. u. Z., in der Zeit von Simon oder Johannes Hyrkan, eine redaktionelle Umarbeitung erfuhr. Dies könnte in Judäa, in einem hasmonäischen Kontext im selben intellektuellen Milieu geschehen sein, in dem auch andere literarische Werke wie die ersten beiden Bücher der Makkabäer entstanden.

      2.9. Die Hintergründe der Entstehung der Zusätze und anderer Textfassungen des Werks

      Zwischen dem zweiten Jahrhundert v. u. Z. und dem ersten Jahrhundert u. Z. ist das „Judentum“ keine einheitliche Größe.128 In Judäa entstehen und koexistieren Gruppen mit sehr unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen. Manche stehen den Hasmonäern nahe, einige der Tempelhierarchie und andere den Chassidim, den Pharisäern oder den Essenern. Einige Gruppen sind vom Hellenismus geprägt, andere lehnen ihn ab. Darüber hinaus bestimmen unterschiedliche Theologien das Judentum dieser Zeit: Ihr Spektrum reicht vom apokalyptischen Denken bis hin zu einer Theologie, die der späteren rabbinischen Tradition nahekommt. Zur soziologischen Vielfalt kommt eine geografische hinzu: Juden sind nicht nur in Judäa, sondern auch in Samaria und Galiläa sowie in mehreren Zentren der Diaspora anzutreffen.

      Seit dem zweiten Jahrhundert v. u. Z. kursierten in Ägypten und Judäa verschiedene Formen der Ester-Erzählung.129 Weil man diese in unterschiedlichen Kontexten verbreiten wollte, wurde sie umgearbeitet und mit Zusätzen versehen. Apokalyptische Gruppen scheinen sich die Ester-Traditionen angeeignet zu haben, indem sie die Erzählung von Mordechais vorahnungsvollem Traum (Zusätze A1 und F) hinzufügten. Gruppen traditioneller Frömmigkeit, vielleicht pharisäischer Art, ersannen die Gebete von Ester und Mordechai (Zusatz C), während griechischsprachige Diaspora-Gruppen, die wahrscheinlich direkt mit judenfeindlichen Diskursen konfrontiert waren, den Text der Dekrete in den Zusätzen B und E beisteuerten.

      3. Der rätselhafte Ursprung von Purim

      Das Fest am 14. und 15. Adar, das vom Buch Ester eingeführt wird, heißt „Purim“. Sein Datum und sein rätselhafter Name lösten zwischen dem Ende des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts viele Debatten aus.130

      Ester und die antike MythologieMan dachte, die Ester-Erzählung sei geschrieben worden, um antike Mythen zu historisieren und zu judaisieren. Tatsächlich lassen die Namen von Ester, Mor­de­chai, Haman, Waschti und Seresch an die Gottheiten Ischtar, Marduk, Humman, Maschti und Geresch denken131; und bestimmte Aspekte der Erzählung erinnern an Themen des Gilgamesch-Epos, an den babylonischen Schöpfungsmythos oder den Abstieg von Tammuz in die Unterwelt.132 Diese Hypothesen müssen jedoch aufgegeben werden, denn sie beruhen auf sehr vagen Ähnlichkeiten mit der biblischen Erzählung, und ihre etymologischen Verbindungen sind nicht überzeugend.133

      Purim, ein „judaisiertes“ FestMan hat vermutet, dass die biblische Erwähnung von Purim das Ziel hatte, einem ursprünglich nichtjüdischen Fest zum Winterende (Adar liegt im Februar/März) einen jüdischen Ursprung zuzuschreiben. Purim wurde mit dem persischen oder babylonischen Neujahrsfest in Verbindung gebracht.134 Die Etymologie von Purim135 könnte demnach durch das akkadische puḫru, „Versammlung“, oder pūru, „Los“, „Schicksal“ (Est 3,7), erklärt werden, denn zu Neujahr traten diejenigen ihr Amt an, die durch das Los bestimmt wurden.136 Dass am Ende der neuassyrischen Zeit der aramäische Ausdruck PR vorkommt, der als Beiname eines hohen Beamten verwendet wurde, spricht für die Assoziation mit dem akkadischen pūru.137 Manchmal wird Purim auch mit dem persischen Totenfest Frawardīgān in Verbindung gebracht – wegen der zeitlichen Nähe der Termine und der Ähnlichkeit der griechischen Schreibung φρουραι/φουρδια für „Purim“138. Schließlich ziehen manche aufgrund ähnlicher Gebräuche auch Verbindungslinien zu anderen Festen, vor allem zu den Bacchanalen von Sakaea139, zur persischen Magophonie140, zum Fest der „Öffnung der Fässer“, das die Griechen πιθοιγία und die Römer Vinalia nannten141 oder zu den römischen Lupercalien142. Je mehr Vorschläge gemacht werden, desto spekulativer werden sie.

      Purim, ein makkabäisch-hasmonäischesFestWeil wir im Esterbuch Anspielungen auf einen makkabäisch-hasmonäischen Kontext finden, kann man sich vorstellen – und dies ist die Ansicht, die in diesem Kommentar vertreten wird143 –, dass das Fest am 14. und 15. Adar von vornherein eingeführt wurde, um an einen (fiktiven) Sieg der Juden im Perserreich zu erinnern, der in der fiktiven Erzählung des Buches Ester beschrieben wird. Die für die protomasoretische Redaktion von Est 9,20–32 verantwortlichen makkabäisch-hasmonäischen Redaktoren hätten also in Wahrheit das Fest geschaffen, das sie beschreiben. Das Datum des Konflikts zwischen den Juden und ihren Feinden wäre auf den 13. Adar festgelegt worden, um auf den Sieg von Judas Makkabaios über General Nikanor anzuspielen. Die Feierlichkeiten sollten an den folgenden beiden Tagen stattfinden, um eine Vermischung der Feier des „Nikanor-Tags“ (13. Adar) mit dem „Mordechai-Tag“ bzw. „Purim“ (14. [und 15.] Adar; vgl. 2 Makk 15,36) zu vermeiden. Diese beiden „Tage“ werden nacheinander als Feste zum Gedenken an die Siege der Juden in Judäa und in der Diaspora gefeiert. Dies erklärt aber immer noch nicht, warum der Begriff „Purim“ mit dem Fest des 14. und 15. Adar in Verbindung gebracht wurde. Die späte Einführung des Namens bleibt rätselhaft.144 Vielleicht wollte jemand mit der Hinzufügung einer Glosse diese makkabäischen Festlichkeiten charakterisieren, indem er sie mit einem Begriff benannte, der


Скачать книгу