Systemabsturz. Constantin Gillies

Systemabsturz - Constantin Gillies


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hat beim Jet Propulsion Lab gearbeitet und Sonden zum Mars geschickt, der kennt die Grundlagen der IT-Sicherheit und wählt kein Deppenpasswort.

      Das heißt, jetzt bleibt nur noch die große Keule übrig: mit dem Dictionary-Attack-Tool alle halbwegs sinnvollen Wörter durchprobieren. Doch das kann ewig dauern – vorausgesetzt, EverFit schmeißt den Nutzer nach ein paar falschen Passworteingaben nicht raus.

      Nachdenken.

      Was würde Harry tun?

      Sie würde als Erstes ihre Haare aufmachen, die rotbraune Mähne kurz schütteln, um sie dann sofort wieder oben auf dem Kopf zusammenzuknödeln. Dann würde sie eine geniale Lösung präsentieren und gleichzeitig so tun, als wäre es das Trivialste, was es gibt.

      Nachdenken.

      Welches Passwort würde ein Opa verwenden?

      Die Namen und Geburtstage seiner Enkel natürlich!

      Die müssten sich mit ein bisschen Spidern durch seinen Mailordner doch leicht rauskriegen lassen. Er hat seinen Enkeln zu ihren Geburtstagen bestimmt Glückwünsche geschickt oder mit dem Rest der Familie einen Termin mit Kaffeekränzchen ausgemacht. Da findet sich doch garantiert was.

      Okay, also den guten alten SpiderMAN anwerfen und Chucks Mails nach häufig auftauchenden Namen durchsuchen.

       Peggy (527 Treffer)

      Peggy? Der Name klingt altmodisch, definitiv nicht nach einem Kleinkind. Wird vermutlich seine Frau sein.

      Wie könnten denn Chucks Enkel heißen? Bei uns schreien die MILFs doch immer Laura, Lea oder Finn über den Spielplatz, fragt sich, was für Namen bei Ami-Eltern angesagt sind …

      Oha, der SpiderMAN hat weitere auffällige Begriffe im Mailordner gefunden.

       Mason (45 Treffer)

       Sophia (68 Treffer)

      Das klingt doch nach den lieben Enkeln!

      Jetzt fehlen nur noch ihre Geburtstage, um daraus das Passwort zusammenzubauen. Aber das ist sicher eine Kleinigkeit, schließlich gibt es für Grandpa nichts Tolleres, als zum Geburtstag der Kleinen die Geschenkedusche anzustellen. Rund um die Daten findet sicher reichlich familieninterne Kommunikation statt. Also im Mailordner nach Tagen mit besonders vielen Nachrichten suchen … Weihnachten, klar, vierter Juli, auch klar, Thanksgiving …

      Da: Am vierten Mai und am fünfzehnten August hat er besonders viele Mails an die Familie geschickt. Die Geburtstage der Enkel liegen ja nur ein Jahr auseinander! Da hat Chucks Großer ja richtig Gas gegeben, direkt im Kreißsaal nachgelegt, der Schlingel.

      Egal. Namen und Geburtstage der Enkel sind am Start, wäre doch gelacht, wenn sich daraus nicht Chucks Passwort zusammenbasteln lässt.

      Also zurück zu EverFit™.

      Chucks Mailadresse eingeben – und das große Passwortraten kann beginnen.

      Mal mit dem ersten Enkel anfangen.

      Mason … und dazu sein Geburtsdatum, vierter Mai, natürlich ins amerikanische Format umdrehen, also »0504«.

      >Mason0504

       Sorry, but we can’t …

      Mist. Vielleicht klappt das Spiel mit der Enkeltochter.

      >Sophia0815

      Ha, ha, klingt ja nach einem reinrassigen Teenager-Usernamen.

      Bam.

      Und funktioniert!

      Das war ja mal wieder easy money

      Welcome to the EverFitHub.

      Der große Bruder begrüßt den treuen Untertanen, der aus dem Jenseits zurückgekehrt ist. Irgendwie makaber, jetzt, wo das Pulsarmband garantiert keinen Puls mehr registriert …

      So, wo ist Chucks Bewegungsprofil? Wo ist er mit seinem schicken Fitness-Armband überall rumgekrochen?

      Echt erstaunlich, wie bereitwillig die Leute mit den Blockwarten aus dem Valley kooperieren. Erlauben irgendeiner windigen Firma, jeden einzelnen Meter, den sie auf dieser Erde zurücklegen, einfach zu tracken …

       Show timeline on map (Y/N)?

      Aber sicher!

      Sehr benutzerfreundlich, von solchen Sachen hätte die Stasi damals geträumt. Jeder Besitzer von diesem Überwachungsteil bekommt auf einer Landkarte angezeigt, wo er sich im letzten Jahr aufgehalten hat. Die wissen, was du letzten Sommer getan hast …

      Jede Bewegung ist mit einer blauen Linie markiert. Der Großraum Los Angeles poppt hoch, eine riesige gelbe Fläche aus Straßen, die im Norden von einem grünen Blob Berge begrenzt ist, dahinter kommt die große Leere: kaum noch Straßen, nur noch das Grau der Wüste. Palmdale, Lancaster, die Edwards Air Force Base, das Zuhause der Raumfahrt- und Rüstungsfirmen.

      Klar, da war Chuck viel unterwegs, ein einziges blaues Spinnennetz. Mal reinzoomen. Augenblick, eigentlich ist er immer die gleichen Strecken gefahren. Die meisten blauen Linien treffen sich bei dieser Stadt, California City, da muss er gewohnt haben. Von da führen ein paar Linien weit nach Norden, in Richtung Silicon Valley, vermutlich wohnen da seine Kinder und Enkel.

      Soweit alles klar.

      Bleibt noch diese blaue Linie, die in California City anfängt und im grauen Nichts endet, irgendwo weit draußen. Die ist besonders dick, was bedeutet, dass Chuck auf dieser Strecke besonders oft unterwegs war. Aber warum?

      Eine geheime Geliebte? Eher nicht, in Jeskos Truppe waren bestimmt nur so Moralische. Das Fahrtziel scheint in einem Industriegebiet zu liegen. Ein graues Viereck mitten in der Landschaft. Da war er fast einmal pro Woche. Reinzoomen, reinzoomen, reinzoomen.

      Oha, Chuck hatte offensichtlich doch ein kleines Geheimnis. Das wird Jesko interessieren.

      *** #10 ***

      Thomas Leinhart drückt auf Eject und genießt das geschäftige Summen, mit dem der VHS-Rekorder die Kassette aus seinen Innereien herausbefördert. Vor Jahren hat er das Gehäuse mal abgeschraubt und zugeguckt, wie das Band ausgefädelt, die Schutzklappe zurückgeschoben und die Kassette in eine Art Aufzug verfrachtet wird. Doch selbst nachdem er den hochkomplexen Vorgang beobachtet hatte, blieb er für ihn magisch.

      So long, Hawke.

      Das war’s, die letzte ernst zu nehmende Folge »Airwolf« ist digitalisiert und für die Nachwelt gerettet, auch wenn diese Nachwelt bisher absolut kein Interesse an den Abenteuern eines Hubschraubers gezeigt hat. Denn darauf läuft es hinaus, auf die Erlebnisse eines Drehflüglers. Das menschliche Personal ist ziemlich irrelevant. Die Mädchen hatten immer nur empört »Ach, Papa« gebrüllt, wenn er sie mit dem kulturellen Erbe der Achtziger beglücken wollte. Banausen!

      Leinhart schiebt die BASF E-180 – Chromdioxid Super High Grade – in ihre Papphülle zurück und studiert zufrieden das aufgeklebte Papierchen.

      8. November 1989, er hat das Aufnahmedatum damals sauber mit Papas Reise-Schreibmaschine draufgetippt.

      Mission erfüllt, den analogen Verfall gestoppt, alle Kassetten in bester Qualität digitalisiert und aufs RAID gespeichert. Wenigstens eine Sache, die von Dauer ist.

      Aber was für ein Aufwand, dabei ist die Serie nicht mal besonders gut. Um genau zu sein: Sie ist kaum zu ertragen.

      Allein diese letzte Folge … Die ersten fünf Minuten sah man nur, wie eine Katze durch die Dunkelheit schlich, dann begann die absolut hirntote Story:

      Eine Freundin von Hawke wird von einem Drogendealer-Schrägstrich-Filmproduzenten getötet, Hawke heuert zum Schein als Drogenpilot an. Es folgen zahlreiche Klischeeszenen, wie: Der Böse sticht böse guckend mit einem Messer auf ein Paket ein, das weißes Pulver enthält. Eine quälend lange Dreiviertelstunde später jagt Hawke


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