Systemabsturz. Constantin Gillies

Systemabsturz - Constantin Gillies


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einzigen Gesichtsausdruck halt.

      Im Prinzip total verschwendetes Super-High-Grade-Chromdioxid – und verschwendeter Platz auf den Festplatten.

      Wenn es die Lady nicht gäbe.

      Sobald der Airwolf ins Bild kommt, ist alles gut. Immer wenn er sich über einem Wüstental in die Kurve legt oder dicht über dem Boden angerast kommt, mit ballernden Geschützen, dass die Sandfontänen nur so hochfliegen – das war und ist Porno.

      Okay, nach ’ner Zeit hat selbst ein Zwölfjähriger gemerkt, dass die Flugszenen immer die gleichen waren und dass der Film – superbillig – einfach nur doppelt so schnell abgenudelt wurde, sobald Hawke auf den Turboknopf drückte. Aber das war egal. Spätestens wenn die Lady aus ihrem Hangar im Berg rausschwebte, bekam jeder ’nen Tech-Ständer.

      Und dazu noch diese Titelmelodie. Die war nicht aus der Birne rauszukriegen, erst recht nicht in der SID-Version vom Commodore-64-Game. Eigentlich müsste er mal zusammen mit Schröder zu dem Drehort ins Monument Valley fahren – nein: fliegen!

      Im Prinzip war die Lady ja nur ein umgebauter normaler Hubschrauber von Bell.

      So einen sollte er sich wirklich mal besorgen, natürlich in Dunkelblau. An der Seite müsste in fetten Achtzigerjahre-Buchstaben LEINHART ENTERPRISES draufstehen. Das wäre geil. Megatraurig, dass die Original-Maschine als Rettungshubschrauber in Deutschland gestrandet ist und dann Anfang der Neunziger auf einem Acker im Sauerland runterkam.

      Irgendwo in Hessen soll es einen Typen geben, einen Gerd Soundso, der noch einen Bell Triple Two in flugfähigem Zustand besitzt. Wäre das Richtige für eine Abschiedstournee.

      Leinhart lässt die Kassette zu den anderen in den Umzugskarton gleiten.

      Korrektur: So einen hätte er sich besorgen sollen, als er noch Geld hatte und kein verfickter Hartzer war.

      In ein paar Tagen werden sie anfangen, alles, was er hat, zu verramschen. Dann wird der Makler die Leinhart Home Base zum Verkauf anbieten, und so wie der Immobilienmarkt derzeit aussieht, dürfte sein Server unter der DDoS-Attacke der kaufwilligen Pfeffersäcke zusammenbrechen.

      Azra hat die Nachricht von ihrer plötzlichen Mittellosigkeit recht gut aufgenommen. Sie starrte ihn aus ihren dunkelgrün umrandeten Panda-Augen an und fragte nur: »Alles?« Nach der Lidstraffung sah sie immer noch aus wie Axel Schulz nach der zwölften Runde, mit Blutergüssen bis zu den Wangen runter.

      »Alles«, hatte er wahrheitsgemäß geantwortet, woraufhin sie wortlos nach oben verschwand. Zehn Minuten später huschte sie, trotz Dämmerung mit Sonnenbrille auf der korrigierten Nase, an ihm vorbei. Sie murmelte was von »Spaziergang« und schloss – ungewohnt leise – die Tür. Alles andere als ein Spaziergang zum Scheidungsanwalt wäre eine Überraschung.

      Leinhart lehnt sich an den weißen Holzrahmen des Wohnzimmerfensters.

      Es war richtig, sofort in Como die Zelte abzubrechen und nach Hause zu fliegen, nachdem dieser verdammte Andrew mit der Hiobsbotschaft rausgerückt war. Gerade zu dieser Jahreszeit war die Stimmung in der Leinhart Home Base unschlagbar: Auf dem Wasser schwimmt ein Puzzle aus kleinen Eisschollen, dazu dieser Vollmond über der dunklen Außenalster, am Horizont die glühende City. Fein, jeden Cent wert. Sehr bald wird jemand anders diese Aussicht genießen können.

      Er würde es Azra nicht übelnehmen, wenn sie ihn verlässt. Im Gegensatz zu ihm hat sie, die Tochter aus wohlsituiertem Kieferorthopäden-Haushalt, niemals schlechte Zeiten erlebt – und will diese Erfahrung auch nicht nachholen.

      Wer weiß, wo er enden wird? Vielleicht wie Schröder in so einer Sozialklitsche.

      Doch was immer passiert, eines hat er geschafft:

      Er hat die Abenteuer der Lady für die Nachwelt gerettet.

      *** #11 ***

      Jesko von Neumann tastet mit zitternder Hand das Armaturenbrett ab. Er muss einen Weg finden, sich abzulenken, sonst wird die Aufregung zu groß, und das solle er angesichts seiner condition unbedingt vermeiden, hatte die Ärztin betont. Seine Finger haben den runden Einschaltknopf des Radios ertastet. Ja, es ist ein altes Gerät, doch solange es funktioniert und die AM-Sender nicht abgeschaltet werden, sieht er keinen Anlass, es zu ersetzen. Der Knopf gibt beim Drehen ein sattes Klicken von sich.

       … several rain-related accidents on the I-5 …

      Neumann muss schmunzeln. In seiner alten Heimat kommt es bei dieser Niederschlagsmenge sicher nicht zu so vielen regenbedingten Unfällen. Die Leute in Orange County dagegen sind von jeder Art Niederschlag sofort überfordert und setzen ihre Trucks gleich reihenweise in den Graben.

      Zugegeben, das Wetter könnte günstiger für seine Exkursion auf Chucks Spuren sein: An so ziemlich jedem anderen Tag im Jahr ist diese Gegend so staubtrocken, wie man es am Rande der Mojave-Wüste erwarten kann. Ausgerechnet heute jedoch wehen regelrechte Regenvorhänge über die Fahrbahn. Die Scheibenwischer seines treuen Honda Accord quietschen unter der ungewohnten Anstrengung.

      Zu warten wäre jedoch keine Option gewesen, diese Fahrt duldet keinen Aufschub.

      Neumann schaut hektisch zum beschlagenen Beifahrerfenster.

      Hätte er schon diese Ausfahrt nehmen müssen? Durch den Regen wirkt alles noch gleichförmiger als sonst. Da die Straße nicht einmal mit einem Randstreifen markiert ist, lässt sich der Übergang zum braunen Geröll der Wüste kaum erkennen.

      Unglaublich, was Schröder in seiner E-Mail vorhin geschrieben hatte: Chuck sei regelmäßig zu einer Self-Storage-Anlage gefahren – gibt es dergleichen in Deutschland überhaupt? Er hat also einen privaten Lagerraum angemietet.

      Das war in zweifacher Hinsicht merkwürdig. Zum einen besaß Chuck ein großzügiges Haus mit reichlich Stauraum, er wäre also im Prinzip nicht auf einen externen Lagerraum angewiesen gewesen. Zum anderen hatte er ihm, seinem besten Freund, eigentlich immer alles erzählt. Warum nicht von diesem Lagerraum?

      57 M.P.H.! Neumanns Fuß zuckt vom Gaspedal zurück. Er hat, ohne es zu merken, leicht das Tempolimit überschritten. Jetzt gilt es zu warten, bis die Nadel wieder zur 55 zurückgewandert ist. In dem Land, das ihn so freundlich aufgenommen hat, sollte er die Gesetze selbstverständlich einhalten.

      Es war äußerst clever von Schröder, die Bewegungsdaten von Chucks Fitness-Armband abzurufen – auch wenn er die Art und Weise, wie er das getan hat, nicht billigen kann. Einfach in den E-Mails einer fremden Person herumzustochern, war sehr unschön. Schröder hat sich anscheinend Zugang zu Chucks Konto beim Hersteller dieses Fitness-Armbands verschafft, indem er die Geburtstage von Mason und Sophia als Passwort ausprobierte. Ob sie sich später an ihren Grandpa erinnern werden? Sie sind ja noch so klein.

      Dort muss es sein!

      Neumann wirft einen prüfenden Blick in den Rückspiegel, tritt dann behutsam auf die Bremse. Die flachen Betongebäude der Self-Storage-Anlage gleiten vorbei: eine schier unendliche Reihe von Garagentoren, hinter denen sich die Aufbewahrungsräume befinden.

      Der Honda biegt auf den Zufahrtsweg ein.

      Das korrekte Vorgehen wäre, zunächst Peggy um Erlaubnis zu fragen, bevor er Chucks Lagerraum betritt. Doch dafür ist keine Zeit mehr.

      Ein junger Mann tritt aus dem Wachhäuschen neben dem Tor.

      Neumann lässt das Fenster herunter.

      »Gardner.«

      Bemerkt der Wachmann, dass sein Gesicht vor Aufregung gerötet ist? Nein, der junge Mann ist zu beschäftigt damit, die Liste auf seinem Klammerbrett durchzugehen.

      »That would be … forty-two, right?«

      »Affirma … uh, correct.« Er durfte unter keinen Umständen auffallen, auch nicht durch den militärischen Sprachgebrauch, den er sich in all den Jahren auf diversen Testgeländen angewöhnt hat.

      Der junge Mann quetscht ein »… ight« heraus und eilt


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