Now and then. Ella C. Schenk
„Ich habe morgen Vormittag noch einen wichtigen Termin dazwischenschieben müssen, könntest du mir meinen Anzug und die Maske bitte von der Schneiderin mitbringen?“
„Klar doch, mache ich!“
„Danke, Kleines. Und freue dich auf morgen, es wird eine riesige Überraschung geben. Schlaf gut!“
Er zwinkerte mir übertrieben oft zu.
Okay. Da bin ich dann mal gespannt.
„Ja … schlaf auch gut, Dad.“
Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem unguten Kribbeln in der Bauchgegend.
Meine Glieder fühlten sich zudem noch steif an, und mir lief schon zum zweiten Mal ein kalter Schauer den Rücken hinab. Wurde ich etwa krank? Mit meiner rechten Hand schnappte ich mir meine rote Kuscheldecke und drückte sie mir fest ins Gesicht. Der frische, blumige Duft ließ meine noch müden Sinne langsam erwachen. Während ich ein gequältes Stöhnen unterdrückte, wanderte meine linke Hand unbeholfen zu meinem Nachttisch, auf dem sich mein Handy befinden sollte.
Mit Betonung auf sollte.
Ich war noch nicht gewillt, meine Augen der Helligkeit auszusetzen, so tastete ich mich weiter blindlings über meine Zeitschriften, meine Lampe und mein Döschen mit den Pillen.
Argghhh. Wo bist du nur?!
„Suchst du etwas?“
Meine Hand stoppte mitten in der Bewegung. Ich rollte meine Zehen so fest ein, dass ein Krampf wahrscheinlich nicht ausbleiben würde.
„Olivia?“
Bitte, nicht. Nein, nein, nein. Lass mich bitte nur einen Albtraum haben.
Ein prompt einsetzendes Bauchkribbeln formte sich zu einer festen Kugel zusammen, die Übelkeit und ein Ziehen entfachte, wie ich es nur von meinen schlimmsten Prüfungen kannte.
Naja, fairnesshalber musste man sagen, dass ich mich jetzt quasi auch in einer befand.
Und schon ging es los.
„Ich habe dich gestern ein paar Mal versucht zu erreichen. Wo warst du, verdammt nochmal?“
Er war wütend. Seine kratzige, leise Tonlage signalisierte mir einen unterdrückten Ärger. Nicht zu vergessen, sein „S-Fehler“, der nur in heiklen Situationen zum Vorschein kam.
„Tu nicht so, als würdest du mich nicht hören. Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“
Etwas polterte laut neben mir und vor Schreck spannte ich meine Zehen noch mehr an, was nun zu einem heftigen Krampf in meiner rechten Wade führte.
Es schmerzte höllisch. Mein Muskel schrumpfte zu einer Erbse zusammen. Ich presste meine Kuscheldecke noch fester an mein Gesicht, ansonsten blieb ich wie versteinert.
„Jetzt steh auf, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für dein kindisches Getue!“
Das Gewicht meiner Matratze verlagerte sich und ich spürte einen leichten Druck auf meinem linken Oberschenkel. Das brachte mich zum Handeln. Ich schoss kerzengerade in die Höhe, presste meine rote Decke vor meinen Oberkörper und zog unter Schmerzen die Beine an. Die plötzliche Helligkeit ließ mich kurz mehrfach blinzeln und es dauerte ein paar Augenblicke, bis sich ein genaues Bild manifestierte.
„Na geht doch.“
Ein freches Grinsen stahl sich auf sein unrasiertes Gesicht, und seine grünen Augen waren von tiefen Augenringen umgeben.
„Was willst du hier, Remy?“
„Wie bitte?“ Er fuhr sich lachend mit der rechten Hand durch seinen unfrisierten, blonden Wuschelkopf. „Ich bin dein Freund. Ich darf bei dir auftauchen, wann immer ich will.“
Ich schüttelte vehement den Kopf.
„Wir“, ich deutete mit meinem Zeigefinger von mir zu ihm, „sind nicht in einer Beziehung. Wir haben lediglich ein Arrangement.“
Er schloss für eine Millisekunde die Augen und kurz schien es, als würde Bedauern über sein Gesicht huschen. Doch der Moment verging so schnell, wie er gekommen war.
„Ja, du sagst es. Vor allem zu meinen Gunsten, wie du hoffentlich nicht vergisst. Wenn doch, können wir gern zu Daddy rennen und es mit ihm ausdiskutieren.“ Seine hellen Augenbrauen wanderten angriffslustig in die Höhe. Doch nicht nur das. Er rückte näher und legte seine Hand auf mein angewinkeltes Knie. Ich versteifte mich augenblicklich noch mehr und flüsterte: „Lass es einfach, Remy.“
Doch er lehnte sich nur noch näher zu mir. „Wir werden sehen, Süße.“
Ich wandte mein Gesicht ab und schnaufte verächtlich, da mir ein Gemisch aus kaltem Zigarettenrauch und Restalkohol in die Nase wehte. Diese rümpfend blickte ich Richtung Tür. „Wo kommst du eigentlich her? Du riechst wie ein Aschenbecher.“
Er umfasste mein Kinn mit seiner linken Hand und drehte es wieder in seine Richtung.
„Feiern. Ich habe die Immobilie an den Mann gebracht. Die alten Säcke haben gestern Abend noch unterschrieben und das Geld überwiesen. Du hättest ja mitkommen können, wenn du mal an dein beschissenes Handy rangegangen wärst. Wo wir nun wieder bei der Frage wären. Wo warst du?“
Ich entzog mein Gesicht seiner Hand und antwortete trotzig: „Unser Kurs dauerte länger als gedacht, und dann waren wir noch im Pine´s. Frag doch Mase oder Jer. Die waren schließlich auch dort.“
„Punkt eins, Süße: Du hattest keinen Kurs, die Studenten dort ja. Du hast nur länger assistiert. Punkt zwei: Ich weiß längst, dass du mit den Jungs dort warst. Die gehen schließlich an ihr Handy. Wollte nur wissen, ob du mich nicht anlügst.“ Er lächelte übertrieben und fuhr fort: „Drittens: Ich will, dass du heute ein anderes Kleid als das grüne anziehst. Es ist zu freizügig.“
Ich funkelte ihn an und antwortete harsch: „Und wie genau stellst du dir das vor? Es wurde extra für mich geschneidert. Außerdem, hör auf damit.“
„Du wirst doch bestimmt etwas anderes im Schrank haben. Ende der Diskussion. Und mit was genau soll ich aufhören?“
„Meine Gehorsamkeit zu testen. Die hast du doch eh schon. Unfreiwillig.“
„Mal sehen.“
Ich schnaubte abfällig, während er aufstand und etwas aus seiner zerknitterten Hosentasche hervorzog.
„Das habe ich für dich gekauft. Trag es.“ Er warf mir eine längliche Schatulle zu und ich fing sie aus Reflex auf. „Mach es auf.“ Seine Stimmfarbe änderte sich plötzlich. Klang fast liebevoll.
Mit zittrigen Händen öffnete ich den Verschluss und mir entwich ein Keuchen. „Das, dddas ist nicht nötig.“ Vor lauter Verblüfftheit stotterte ich die Worte.
Ein Lächeln seinerseits blitzte auf. Wenn auch nur kurz. „Ist es doch. Ich hole dich heute Abend ab.“
Ich antwortete nicht, sondern starrte wie gebannt auf das breite, funkelnde Armband aus Gold. Dennoch vernahm ich jeden seiner Schritte, die er zur Tür machte.
Er hatte sie bereits geöffnet, als er das Wort nochmal an mich richtete: „Ach ja und Livvi?“
„Was?“ Mein Blick war weiterhin auf das Schmuckstück vor mir gerichtet.
„Trag es auch, okay? Es war bei Gott nicht leicht, ein so breites Armband für dein Handgelenk zu finden.“
Dann ging er und ich konnte nicht verhindern, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Jedoch nicht aus Verletztheit oder Trauer. Diese Gefühle hatte er schon seit Monaten nicht mehr verdient. Nein. Ich weinte vor lauter Wut und Zorn, dass er so mit mir umsprang. Es war einfach nicht fair. Ich hatte ihm vertraut, wie ich noch niemandem auf dieser Welt vertraut hatte. Nicht einmal Jon hatte ich so …
Ich kniff mir fest in den Unterschenkel, um den Gedanken nicht zu Ende zu denken.
Mein Wecker riss