Psychische Störungen in Kindheit und Jugend. Evelyn Heinemann

Psychische Störungen in Kindheit und Jugend - Evelyn Heinemann


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Windaus 2007). Kurz erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Säuglingsbeobachtung (Lazar 2000) für die Ausbildung wie auch für die analytische Psychotherapie von Müttern mit Säuglingen und kleinen Kindern (Hirschmüller 2000; Eliacheff 1994), zur Neurosenprophylaxe und Bewältigung entstehender psychischer Störungen.

      5.2 Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie heute

      Thomä und Kächele (2006, S. 37) kritisieren, dass an den Ausbildungsinstituten so gut wie keine nennenswerte Forschung betrieben worden ist, vor allem wurden zu wenig Evaluationen durchgeführt. Die Erkenntnis, dass Psychoanalyse immer Krankenbehandlung und Forschung ist, ist zwar hinsichtlich von hermeneutischer Forschung richtig, genügte aber nicht mehr, seit psychoanalytische Behandlungen Bestandteil der kassenärztlichen Versorgung geworden sind. Die traditionelle Empiriefeindlichkeit führte zu Versäumnissen, der geforderte Nachweis für wissenschaftliche Fundierung konnte nicht ausreichend erbracht werden (Seiffge-Krenke 2007, S. 350).

      In einzelnen Instituten in Deutschland sind heute bestimmte Schulrichtungen (vor allem von Klein/Bion und C.G. Jung) vertreten. Gelegentlich haben sich auch Gruppierungen etabliert, die eine spezifische Lehre vertreten und sich nach außen abgrenzen. Bereits die Dauer von Behandlungen lässt institutseigene (damit natürlich auch theoretische und behandlungstechnische) Unterschiede deutlich werden. In einer Untersuchung konnte beispielsweise festgestellt werden, dass analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten im Durchschnitt zwischen 75, an anderen Instituten bis zu 148 Stunden für eine Kinder-Behandlung benötigten (vgl. Hirschmüller u. a. 1997).

      Die Großgruppe der analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, auch der analytisch arbeitenden Psychologen und Ärzte, ist jedoch nicht schulgebunden und bezieht behandlungstechnische Neuerungen vieler Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker in ihre psychoanalytische Arbeit ein; sie partizipieren somit an der Pluralität der Psychoanalyse, entwickeln jedoch vor dem Hintergrund der eigenen Persönlichkeit ihre ganz persönliche Sichtweise und ihren persönlichen Stil. Die zugrunde liegenden theoretischen und behandlungstechnischen Überzeugungen sind allmählich im Rahmen persönlicher Entwicklungsprozesse, durch Auseinandersetzung, Aufnahme und Abstoßung, durch Identifizierung und Unverträglichkeit mit wichtigen Personen und Theorien gewachsen und bedürfen darum immer auch der Anerkennung und Respektierung anders denkender und argumentierender Kolleginnen und Kollegen. Sie sollten grundständige Tugenden aller Diskussionen sein (vgl. Will 2006, S. 69). Pine (1990) nennt vier psychoanalytische Psychologien, die der heutigen Psychoanalyse zugrunde liegen: Trieb-, Ich-, Objektbeziehungs- und Selbstpsychologie, sie sind genauso die zentralen Grundlagen der Psychoanalyse des Kindes- und Jugendalters.

      5.3 Der Beginn: Spiel, Rahmen, Abstinenz und Neutralität, Grundregel

      Wie in der analytischen Psychotherapie Erwachsener ist die Erkenntnis von einem Unbewussten wichtigstes Essential und die entscheidende Leitlinie für das Verstehen seelischer Prozesse. Somit gibt es zwischen Erwachsenenanalyse und psychoanalytischer Behandlung von Kindern mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes (vgl. Stork 2001, S. 347). Die eingeschränkten Möglichkeiten von Kindern, ihre Träume zu berichten und vor allem zu deren Inhalten zu assoziieren, verlangten die Einführung eines Parameters, des Spiels. Es eröffnet einen intermediären Raum, um unbewusste Konflikte und Beziehungen darzustellen, die der Analytiker mit dem Patienten erleben und verstehen kann. Bereits an der Einrichtung des Praxiszimmers scheiden sich Geister und Theorien. Die psychoanalytischen Konzepte empfehlen hier sorgsame Überlegung und Zurückhaltung. Zum einen bleibt bei wenig Material die Arbeit an der Beziehung, die im Vordergrund steht, deutlich und überschaubar. Zum anderen wird die Kreativität eines Kindes sowie seine Tendenzen zu verbalisieren und zu symbolisieren durch weniger Spielmaterial eher gefördert. Es bleibt zudem wichtig, auch in der Kinderpsychoanalyse mit Träumen zu arbeiten; bei einer entsprechenden Haltung des Analytikers werden Kinder gern Träume erzählen und – in Grenzen – zu ihnen assoziieren (Hopf 2007a).

      Damit sind wir bereits bei der Gestaltung eines Settings, was zu den nicht-analytischen Aktivitäten gehört. Es wird auch häufig als der Rahmen einer psychoanalytischen Behandlung bezeichnet. Zu den Bedingungen eines Rahmens gehören die regelmäßigen Sitzungen, die Frequenz, also alle zeitlichen und räumlichen Begrenzungen, die Schweigepflicht, die Finanzierung, die mögliche Einbeziehung von Bezugspersonen, das Ausfallshonorar, etc. Wir können das ganze wie einen Sandkasten betrachten, in dem ein Kind spielt und seine Konflikte agiert. Ohne dessen haltende Begrenzungen würde das Spielen des Kindes unübersichtlich und ungeordnet. Werden die Rahmenbedingungen nicht ausreichend beachtet, werden auch Affekte und Beziehungen undurchschaubar, und der Patient findet keinen ausreichenden Halt. Der Rahmen ist also eine unwandelbare Konstante und kann auch Trennung und Triangulierung repräsentieren. Gemeinsame Regeln und Rahmenbedingungen können auch zu professionellen Kennzeichen werden, so dass ausschließlich eine intensive Stundenfrequenz darüber entscheiden kann, ob eine Behandlung Analyse genannt werden darf (Holder 2002, S. 15; Thomä und Kächele 2006, S. 235). Allerdings kann eine Verabsolutierung von Regeln die Effektivität einer psychoanalytischen Behandlung genauso gefährden wie ein willkürliches Infragestellen von Rahmenbedingungen. Bei der Arbeit an den Rahmenbedingungen kommt es darauf an, diese nicht einfach als Voraussetzung, sondern ihre Etablierung als Gegenstand und Aufgabe von Beziehungsarbeit zu sehen (Berns 2002). Der Kinderanalytiker sollte immer langfristig aushaltbare Rahmenbedingungen aushandeln, damit die Beziehung überleben kann.

      Es kann in diesem Abschnitt nicht um eine umfassende Darstellung aller behandlungstechnischen Prinzipien gehen, hierfür gibt es eine Vielzahl von Lehrbüchern (Thomä und Kächele 2006; Hopf und Windaus 2007; Seiffge-Krenke 2007; u. a.). Exemplarisch soll jedoch die Abstinenzregel diskutiert werden. Sie wird von Laplanche und Pontalis (1972/73, S. 22) so definiert, dass der Patient in einer psychoanalytischen Behandlung die geringstmögliche Ersatzbefriedigung für seine Symptome findet. Die Befriedigung seiner Wünsche muss ihm versagt werden, gleichzeitig sollten jedoch die Rollen übernommen werden, die der Patient dem Analytiker aufdrängt; über Abstinenz wird die Etablierung einer Übertragungsbeziehung gefördert. Es sollten also keine irgendwelchen Surrogate beschwichtigend eingesetzt werden. Somit bleibt ein immerwährendes Spannungspotenzial erhalten, welches den psychoanalytischen Prozess aufrecht erhält. Es sollte aber immer reflektiert werden, dass wir unsere Kinderpatienten auf der einen Seite anleiten, ihre Konflikte agierend im Spiel darzustellen. Auf der anderen Seite müssen wir ihr Agierenbegrenzen, damit daraus wieder Fantasien und Erinnerungen werden. Die Gefahr ist darum bei Kindern wesentlich größer als bei Jugendlichen und Erwachsenen, dass sich der Analytiker auf das szenische Geschehen einlässt, es aber zu wenig reflektiert, verbalisiert und deutend mit ihm umgeht.

      Winnicott hat dem ersten Gespräch mit einem Kind eine besondere therapeutische Bedeutung beigemessen, weil es eine einmalige Gelegenheit darstellt, mit einem Kind zu kommunizieren, wie es später kaum mehr möglich sei. Gemäß Greenson (1973) bilden den zuverlässigen Kern eines Arbeitsbündnisses die Motivation des Patienten, seine Krankheit zu überwinden, sein Gefühl der Hilflosigkeit, seine bewusste und rationale Bereitwilligkeit mitzuarbeiten und seine Fähigkeit, den Anweisungen und Einsichten des Analytikers zu folgen (ebd., S. 204). Das wirkliche Bündnis bestehe aus dem vernünftigen Ich des Patienten und dem analysierenden Ich des Analytikers, was es so wahrscheinlich nicht gibt, aber immerhin eine Idealvorstellung repräsentiert. Der Therapeut muss die therapeutische Situation so gestalten, dass der Patient Derivate aus dem Unbewussten hervorbringen und ihm mitteilen kann (vgl. Berns 2000, S. 173). Dem erwachsenen Patienten wird gewöhnlich in den ersten Stunden die so genannte Grundregel mitgeteilt, von Thomä und Kächele (2006) wie folgt behutsam formuliert: »Bitte versuchen Sie alles mitzuteilen, was Sie denken und fühlen. Sie werden bemerken, dass dies nicht einfach ist, aber der Versuch lohnt sich« (ebd., S. 238). Älteren Jugendlichen kann das in ähnlicher Weise gesagt werden. Wenn wir einem Kind zum ersten Mal begegnen, sind wir nicht mehr unbefangen, denn in der Regel haben wir bereits mit den Eltern gesprochen, zumeist auch über Absprachen und Rahmenbedingungen. Aber betrachten wir die aktuelle Situation eines Kindes, das zum Erstkontakt kommt: Das Kind steht in der Regel einem wildfremden Menschen gegenüber, weiß nicht, was es tun soll und was von ihm erwartet wird. Das wird zwangsläufig große Ängste hervorrufen, die nur gemildert werden können, indem einem Kind die fremde


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