Der silberne Schlüssel und das Geheimnis der Wahrheit. Alexander Lombardi
murmelte der Arzt und rieb sich das Kinn. Dann drehte er seinen Kopf zu Franky. »Dass der Arm gebrochen ist, siehst du wahrscheinlich selbst«, meinte er und deutete auf die entsprechende Stelle. »Das ist im Grunde kein Problem, aber sicherheitshalber möchte ich noch eine Spezialistin hinzuziehen. Sie kann genauer sagen, wie wir jetzt am besten vorgehen.«
Er schien zu bemerken, dass Franky blass geworden war, und fügte hinzu: »Du musst dir aber keine Sorgen machen. Das wird schon wieder. Ich werde Dr. Dragumir rufen und dann sehen wir weiter.« Der Arzt nickte ihm zu und verließ den Raum.
Wieder lag Franky allein in dem fensterlosen Zimmer, doch nicht lange. Als sich die Tür erneut öffnete, kam seine Mutter herein.
»Oh piccolo mio«, rief sie und beugte sich über ihn. »Tut es sehr weh?«
Franky schüttelte den Kopf. »Geht schon. Aber der Arm ist gebrochen, sie überlegen gerade, was sie tun werden.«
Seine Mutter nickte und streichelte ihm übers Haar. »Ich habe draußen den Arzt getroffen. Er kommt wohl gleich.«
Und so war es. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür wieder und der junge Arzt trat ein, in Begleitung einer etwas älteren Frau. Sie war schlank, mit sorgfältigem Make-up und einer schicken Kurzhaarfrisur. Ein Hauch von Parfüm umgab sie, und sie blickte Franky mit freundlichen, aber irgendwie scharfen Augen an.
Er erkannte den Ausdruck: So sahen einen manche Lehrer an – die, die streng, aber fair waren. Denen nichts entging und bei denen es im Klassenzimmer immer mucksmäuschenstill war. Autorität, dachte er, das ist das Wort dafür. Dr. Dragumir strahlte Autorität aus.
Sobald sie im Raum war, ging alles sehr schnell. Sie begrüßte Franky und seine Mutter und richtete ihre Aufmerksamkeit dann auf den Leuchtkasten. Wenige Momente vor dem Röntgenbild und eine kurze, gemurmelte Unterhaltung mit dem anderen Arzt genügten ihr, bevor sie sich wieder an den Patienten und seine Mutter wandte.
»Ich vermute, dass die Wachstumsfuge am Ellenbogen beeinträchtigt wurde«, erklärte sie. »Der Bruch selbst ist sehr sauber, sodass der Knochen durch eine einfache Ruhigstellung wieder gut zusammenwachsen würde. Aber der Bruch geht leider quer durch die Zone, in der sich dein Knochen verändert. Ich möchte ausschließen, dass es zu Wachstumsstörungen kommt; in deinem Alter ist der Knochen noch lange nicht ausgewachsen.
Wir müssten also operieren und einen Draht einsetzen, der die Wachstumsfuge in der richtigen Position hält. Der bleibt dann so lange drin, bis alles wieder festgewachsen ist.«
Franky schluckte. Das klang brutal.
Er blickte seine Mutter an, die am Kopfende seiner Liege stand und ihre Hand auf seine Schulter gelegt hatte. Auch ihr Gesicht sah besorgt aus.
»Ist das eine schwierige Operation?«, fragte sie Dr. Dragumir.
Die Ärztin schüttelte den Kopf und lächelte. »Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich werde Ihren Sohn selbst operieren und ich habe diesen Eingriff schon oft durchgeführt.« Mit einem Blick auf ihren jüngeren Kollegen fügte sie hinzu: »Dr. Menne wird Ihnen alles Weitere erklären.«
Dann schüttelte sie Frankys Mutter die Hand, lächelte Franky aufmunternd zu und verließ den Raum.
Was Dr. Menne alles über die Risiken der Prozedur erzählte, bekam Franky nicht ganz mit. Die Angst vor der bevorstehenden Operation nahm ihn zu sehr gefangen. Seine Mutter unterschrieb einen Zettel, danach wurde sein Bett aus dem Untersuchungszimmer gerollt, durch endlose Flure, in einen Raum, in dem es vor Ärzten und Krankenschwestern zu wimmeln schien.
Mehrere Leute machten sich an ihm zu schaffen; irgendjemand veränderte etwas an der Infusion, die ihm schon im Krankenwagen gelegt worden war. Das Letzte, an das Franky sich erinnerte, waren Dr. Dragumirs freundliche, aber scharfe Augen über einer Chirurgenmaske, die ihn ansahen.
Antonias Mutter hatte darauf bestanden, dass die drei Freunde zuerst zur Seeburg kamen und zu Abend aßen, bevor sie sich auf den Weg machten. Deshalb war es schon dunkel, als Jaron, Antonia und Emma auf ihren Fahrrädern in Kempfenhausen eintrafen. Das Krankenhaus – eine imposante Anlage – lag wie eine herrschaftliche Villa in einem Park in Ufernähe. Jetzt, im Winter, hielt sich niemand in dem weitläufigen Gelände auf, aber im Sommer musste es hier wunderschön sein.
Die Freunde betraten das Gebäude und sahen sich suchend im Eingangsbereich um, der für ein Krankenhaus sehr wohnlich wirkte. Einige Leute saßen auf gepolsterten Sitzgruppen, die mit großen Kübelpflanzen voneinander getrennt waren. Jaron war der Erste, der den Schalter entdeckte, über dem »Information« stand. Er trat an den Tresen und erkundigte sich nach Franky.
Die Dame wollte ihm nichts Genaues sagen, erklärte ihnen aber, wohin sie gehen sollten.
Kurze Zeit später öffnete Antonia eine Tür und blieb auf der Schwelle stehen. Statt eines Patientenzimmers sahen die Freunde einen kleinen Raum mit Stühlen, Tischen, Kaffeemaschine und Spielecke vor sich. Germano und Elvira Giuliani saßen an einem der Tische.
Sie wandten den Kopf, als die Tür aufging; auf ihren Gesichtern spiegelte sich Enttäuschung.
Wahrscheinlich haben sie einen Arzt erwartet, dachte Jaron und fragte sich im selben Augenblick: Aber wo ist Franky?
Frankys Mutter stand auf. »Schön, dass ihr gekommen seid«, sagte sie und lächelte. »Das wird Franco sehr freuen, wenn er aufwacht.«
Jetzt begriff Jaron. Deshalb sind die Eltern nicht bei ihm. Das hier ist ein Wartezimmer. »Muss Franky etwa operiert werden?«, erkundigte er sich.
Elvira nickte, sie wirkte besorgt. »Der Arm ist gebrochen, und die Ärzte wollen einen Draht einsetzen, weil die Wachstumsfuge beschädigt ist. Sie haben Franco vor einer Stunde in den OP geschoben. Bis jetzt haben wir noch nichts gehört. Aber setzt euch doch zu uns.«
Frankys Vater nickte den dreien freundlich, jedoch etwas abwesend zu, als sie sich nun ebenfalls an dem Tisch niederließen. Er hielt sein Handy in der Hand und tippte irgendwas.
»Ist es sehr schlimm?«, fragte Emma.
Frankys Mutter zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht wirklich. Aber sie haben hier eine Spezialistin, die operiert ihn gerade. Er ist also wohl in guten Händen.«
Germano sah auf. »Ich hoffe, dass sie wissen, was sie tun. Warum musse das gerade passieren jetzt, warum?« Er gestikulierte wild mit der rechten Hand, während er sprach.
Darauf wusste niemand eine Antwort, deshalb verstummte das Gespräch für eine Weile. Zu hören waren nur die Geräusche aus dem Flur und die Tastengeräusche von Germanos Handy. So saßen sie, bis es zweimal kräftig klopfte.
Sofort richteten sich alle Blicke auf die Tür. Eine attraktive ältere Ärztin trat ein, sie trug lilafarbene Operationskleidung unter ihrem weißen Kittel.
»Dr. Dragumir«, rief Frankys Mutter und stand auf.
Germano ließ das Handy sinken.
»Aber, bitte, bleiben Sie doch sitzen«, meinte Dr. Dragumir und trat an den Tisch.
Elvira setzte sich langsam wieder, während die Ärztin die drei Freunde prüfend ansah.
»Das sind Francos Freunde«, erklärte Elvira hastig und stellte sie vor: »Jaron Rahn, Emma Weiß und Antonia Reihmann.«
Die Ärztin schien zufrieden und nickte. »Wie schön«, sagte Sie knapp, aber nicht unfreundlich. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich. »Ich habe eine gute Nachricht für sie, wenn auch mit einer gewissen Einschränkung: Wir sind mit der Operation fertig. Der Eingriff selbst ist gut verlaufen, ich konnte den Draht optimal platzieren und der Knochen liegt jetzt wieder in der richtigen Position.«
Langsam stützte Dr. Dragumir nun die Arme auf die Tischplatte und legte die Fingerspitzen zusammen. Sie blickte Elvira in die Augen, während sie fortfuhr: »Allerdings gab