Eisnächte. Ditte Birkemose
zögerte. »Eigentlich nicht. Aber ich möchte Ihnen etwas erzählen ...« Im Hintergrund war irgendein Lärm, und sie verstummte abrupt.
Ich schaute auf die Uhr. »Ich bin gerade in Vanløse, aber ich kann in zehn Minuten bei Ihnen sein, falls ...«
»Sagen wir einfach, wir treffen uns in einer halben Stunde im Café Luna?«
Der Duft von Kaffee und Zimt schlug mir entgegen, als ich die Tür öffnete und das Café betrat. Es ging auf die Essenszeit und die ersten Fernsehnachrichten zu, und abgesehen von Kirsten, die an einem Tisch beim Fenster saß und winkte, waren nur wenige Menschen im Lokal.
»Schön, dass Sie so schnell kommen konnten.« Sie war aufgesprungen und stand jetzt mit dem Portemonnaie in der Hand vor mir. »Was möchten Sie trinken? Ein Glas Wein?«
Für einen Moment klang das verlockend, aber dann überlegte ich es mir anders. »Nein, danke, ich brauche dringender eine Tasse Kaffee«, sagte ich und setzte mich.
Die Cappuccinomaschine fauchte, irgendwer lachte, und ganz hinten im Lokal ertönte eine lärmende Mobiltelefonfanfare. Ich ließ mich im Sessel zurücksinken und streifte die Schuhe ab. Beim Aussteigen war ich in eine Pfütze getreten, und meine Strümpfe waren ziemlich nass geworden.
Kirsten kam zurück und stellte eine Tasse vor mich hin. »Wie schön, dass Sie ... dass du kommen konntest«, wiederholte sie, und ich dachte, das sei ja im Grunde im Preis inbegriffen, sagte aber nichts.
Der Schatten eines Lächelns huschte ihr übers Gesicht. Sie nippte an ihrem Wein. Für einen Moment schloss sie die Augen. Auf eine seltsame Weise wirkte sie bleich hinter ihrer Sonnenbräune, und aus irgendeinem Grund mochte sie meinem Blick nicht standhalten.
»Ich weiß kaum, wie ich es sagen soll«, begann sie leise. Sie senkte den Kopf, schwieg dann wieder und zeichnete mit dem Zeigefinger ein unsichtbares Muster auf den Tisch. »Ich habe dich belogen«, fügte sie endlich flüsternd hinzu.
Die Cafétür wurde aufgerissen, ein frischer Luftzug wirbelte durch das Lokal, und ein junger Mann mit Borsalino und schwarzer Jacke kam herein. Er begrüßte die Frau hinter dem Tresen mit lauter Stimme.
»Worüber hast du gelogen?«, fragte ich gelassen.
Sie machte eine Bewegung. Das Puppengesicht bekam Risse, und mir gegenüber saß eine zutiefst unglückliche Frau.
»Ich ... ich habe Julie an dem Sonntag nicht getroffen, es war nur ...« Ihre Stimme gab nach. »Das habe ich lediglich behauptet.« Sie saugte die Unterlippe in den Mund, und für einen Augenblick glaubte ich, sie würde in Tränen ausbrechen. Aber dann riss sie sich zusammen. »Ich habe jemand anderen getroffen.«
Ich runzelte die Stirn. »Jemand anderen?«
»Ja.« Sie sah mich unsicher an. »Einen anderen Mann.«
Endlich begriff ich, wovon sie da redete. »Aha.«
Wir schwiegen.
»Was denkst du?« Sie spielte nervös an ihrer Halskette herum.
Ich zögerte.
Sie beugte sich über den Tisch vor. »Du darfst mich jetzt nicht zu hart verurteilen.«
»Ich verurteile überhaupt nicht«, erwiderte ich und meinte es auch so. Sicher hatte sie ihre Gründe, sonst wäre es sicher nicht passiert. Dass ich dennoch total überrascht war, war etwas anderes. Ohne romantisch sein zu wollen, hatte ich den Eindruck gehabt, dass ihre Beziehung zu Bo sehr gut war. Aber natürlich konnte man nie wissen, was sich hinter den verschlossenen Türen einer Ehe abspielte, und im Grunde interessierte es mich auch nicht. Das Einzige, was mir jetzt wichtig war, war Julie.
Kirsten griff nach ihrem Glas und trank erneut einen Schluck Wein. Ich sah, dass ihr Nagellack abzublättern begann.
»Bo glaubt, dass ich mich mit Julie getroffen habe«, erklärte sie.
Ich nickte. Inzwischen hatte ich den Zusammenhang durchschaut.
»Eigentlich dachte ich, er hätte es vergessen, aber ...« Sie biss sich auf die Lippe. »Es war wirklich ein Schock, als er es neulich erwähnt hat, aber da konnte ich doch nichts anderes machen? Ich meine ...« Sie verstummte und drehte ihr Glas immer wieder.
»Weißt du noch, wann du wirklich das letzte Mal etwas von Julie gehört hast?«
Sie überlegte eine Weile. »Nein«, sagte sie endlich. »Sie hat eines Tages angerufen, aber ich weiß nicht mehr, wann das war. Nur, dass es lange her ist.« Ihre Lippen zitterten, und ein Hauch von Angst trat in ihre Augen. »Sehr lange her ...«
Ich seufzte. Herrgott, dachte ich und legte meine Hand auf ihre. Allem Anschein nach war David Ballum der Letzte, der von Julie gehört hatte. Sie hatte am Samstag, dem 12. Juli, versucht ihn anzurufen. Seither war sie wie vom Erdboden verschluckt ...
Als Kirsten und ich uns vor dem Café voneinander verabschiedet hatten und ich gerade gehen wollte, konnte ich ihr ansehen, dass sie mir noch etwas sagen wollte. Unschlüssig blieb sie stehen und hielt meinen Blick fest.
»Also«, sagte sie dann und schnitt eine Grimasse. »Ich weiß ja, dass ich das vielleicht nicht zu sagen brauche, aber ...« Sie holte tief Luft.
Ich blickte sie abwartend an.
Sie packte meinen Arm. »Du musst mir versprechen, dir Bo gegenüber nichts anmerken zu lassen«, bat sie und verhaspelte sich dabei immer wieder.
»Natürlich«, antwortete ich und verspürte tausend Jahre Müdigkeit.
Auf dem Campingplatz herrschte Abendstimmung. Überall standen Menschen herum und plauderten, und in der Dämmerung ahnte man hier und da Gestalten in Bademantel, die mit dem Kulturbeutel unter dem Arm auf dem Weg zum Waschhaus waren. Vor einem der wenigen noch verbliebenen Zelte spielten Kinder Ball, und im schwachen Lichtschein eines Wohnwagens machte ein Mann im Trainingsanzug Dehnübungen. Er hob die Hand und grüßte zwei Frauen, die gerade vorübergingen. Die eine trug ein Kind auf dem Arm und ein Handtuch über der Schulter, die andere eine Wanne mit schmutzigem Geschirr.
Harry saß vor dem Fernseher und schaute Fußball, während er ein Bauernfrühstück verzehrte. Er war weit weg und antwortete nur einsilbig.
»Danke fürs Leihen«, sagte ich und legte die Wagenschlüssel auf den Tisch.
Er nickte, brummte irgendwas und griff nach der Flasche mit der Worcestersoße.
»Wie geht’s denn sonst?« Ich starrte hungrig seinen Teller an, und mein Magen fing an zu knurren.
»Sehr gut«, antwortete er, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. »Marie war draußen und hat Futter bekommen.«
Ich nickte und griff nach meiner Tasche. »Na, dann geh ich mal rüber.«
Endlich riss er sich los. »Du solltest dich ein bisschen mehr für Fußball interessieren«, meinte er und sah mich an.
»Dazu ist das Leben zu kurz.«
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Was du so redest!« Er zwinkerte mir fröhlich zu. »Kommst du dann morgen und erstattest Bericht?«
Ich lachte. »Da gibt’s zwar nicht sonderlich viel zu erzählen, aber von mir aus.«
Es tropfte von den regennassen Bäumen. Ich saß in meiner bescheidenen Behausung am Tisch, lauschte in die Nacht hinaus, trank Tee und aß Brote. Marie lag zu meinen Füßen und schlief tief. Ich legte ein Stück Rote Bete auf meine Leberwurst und blätterte zerstreut in meiner Lieblingslektüre »Unsere Küche in der Provence«. Ein Kochbuch voller einladender Fotos aus rustikalen Küchen und mit jeder Menge köstlichem Essen. Ich las mehr als gern darin. Angesichts meiner Wohnumstände war es wohl ein bizarres Vergnügen, das ich mir da vor einiger Zeit zugelegt hatte.
Die brennenden Kerzen sorgten für eine ganz besonders intime Behaglichkeit. Ich wackelte mit den Zehen und bereitete in Gedanken einen jungen Hahn in Knoblauch zu, als Julie in meinen Gedanken auftauchte und sofort meine gesamte Aufmerksamkeit von der französischen