Eisnächte. Ditte Birkemose
und hatte mein Telefon im Hotel vergessen«, fügte er hinzu und verstummte. Einige Sekunden lang sah er mich nachdenklich an. »Es schien wichtig zu sein«, setzte er dann noch hinzu.
»Wann hast du sie zurückgerufen?«
»Schon am selben Abend, so gegen halb neun.«
Ich überlegte. »Kann ich dich bitten, festzustellen, an welchem Tag sie angerufen hat ... so ganz genau?«, fragte ich und griff nach meinem Block.
Er blickte mich verständnislos an.
»Damit ich weiß, wann es zuletzt ein Lebenszeichen von ihr gegeben hat«, erklärte ich und malte mit dem Kugelschreiber Kringel, damit er endlich schrieb. »Und ich hätte auch gern die neue Nummer ...«
»Natürlich.« Er stand auf, verschwand im Arbeitszimmer und kehrte mit einem Mobiltelefon in der Hand zurück. »Es war ein Samstag«, sagte er. »Samstag, der zwölfte Juli.«
Ich biss mir auf die Lippe. »Hast du einen Stift für mich?«
Er reichte mir einen Kugelschreiber. »Was ist mit ihrem Freund? Habt ihr euch erkundigt, ob sie bei ihm ist?«
»Du meinst Carel?«
»Gibt es noch andere?« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Wir haben seine Adresse nicht herausfinden können.« Ich musterte ihn forschend. »Aber die hast du vielleicht?«
»Leider nein.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass er in Amsterdam wohnt. Aber ehrlich gesagt, wäre es denn die Mühe nicht wert? Ich meine, die Wahrscheinlichkeit spricht doch für ...«
»Ihr Vater hatte vor zwei Wochen einen runden Geburtstag«, fiel ich ihm ins Wort. »Er ist sechzig geworden, es gab ein großes Fest und überhaupt. Aber sie hat sich nicht gemeldet.« Ich legte den Kugelschreiber beiseite.
Für einen Moment schwiegen wir beide.
»Das klingt seltsam, das muss ich zugeben.« Er senkte den Kopf und betrachtete seine Handflächen. »Klingt wirklich seltsam«, wiederholte er.
»Ja, ihre Eltern meinen, dass ihr das überhaupt nicht ähnlich sieht.«
»Nein, nein«, sagte er rasch und streckte beide Beine aus. »So ist Julie nicht.« Er schenkte sich Kaffee ein und blickte mich fragend an.
Ich nickte. »Ja, bitte.«
Unten auf der Straße ertönte eine Autohupe.
Ich sah ihn an. »Glaubst du, es kann da irgendeinen Zusammenhang mit eurer Reise nach Grönland geben?«
Er runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Ihr Vater sagt, dass sie nach der Reise mit irgendetwas beschäftigt war. Hast du eine Ahnung, was das gewesen sein kann?«
»Nicht die geringste.«
»Was habt ihr eigentlich in Grönland gemacht?«
»Das ist eine längere Geschichte«, sagte er kurz und erhob sich. Vielleicht irrte ich mich, aber es kam mir vor, als versuche er, etwas zu verbergen. Jedenfalls erzählte er mir nicht alles.
Er verschwand in seinem Arbeitszimmer, und zu meiner großen Überraschung kam er bald darauf mit einer Packung Lucky Strike und einem Aschenbecher zurück. Auf den ersten Blick war er nicht der Typ, der rauchte.
Er öffnete das Fenster, dann holte er eine Zigarette aus der Packung, gab sich Feuer und tat einen tiefen Zug.
»Julies Eltern haben mir ihren Wohnungsschlüssel gegeben«, sagte ich und wühlte in meiner Tasche. »Ich war vor ein paar Tagen dort.«
»Ja?« Er blickte mich abwartend an.
Ich schob mir ein Stück Nikotinkaugummi in den Mund. »Ihre Nachbarin hat erzählt, dass ein Mann mit halblangen blonden Haaren und Schnurrbart ihre Wohnungstür aufgeschlossen hat. Er war so gegen Ende dreißig. Weißt du, wer das sein könnte?«
Seine Augen funkelten. »Ein Typ von Ende dreißig mit halblangen blonden Haaren und Schnurrbart«, wiederholte er. »Das ist ja eine ungewöhnlich prägnante Beschreibung.« Er zog an seiner Zigarette und schüttelte den Kopf. »Das kann so gut wie jeder gewesen sein, und nein, ich glaube nicht, dass ich ihn kenne.«
Ich lächelte ihn über mein Kaffeeglas hinweg an. »Hätte ja sein können. Aber vielleicht sagt dir der Name Reddington etwas?«
»Nee.« Er kniff die Augen zusammen. »Sollte er das?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls hatte Julie offenbar mit dem zu tun. Sie hatte den Namen auf einem Block neben ihrem Telefon notiert.«
Er beugte sich vor, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und starrte nachdenklich auf den Boden. »Reddington«, murmelte er. Dann richtete er sich auf und erwiderte meinen Blick. »Nein.« Er grinste und schüttelte den Kopf. »Da klingelt bei mir gar nichts.«
Ich ging über den Kongens Nytorv, brachte die vielen Geschäfte auf der Strøget mit ihren mehr oder weniger verlockenden Angeboten hinter mich und erreichte den Rådhusplads, als gerade eine Demonstration von jungen Umweltaktivisten ihre Transparente entrollte: »Weg mit dem Dreck! Für eine Zukunft ohne CO2!«
Unter einem gigantischen Plakat mit dem Foto der Umweltministerin Karen Døssing mit verbundenen Augen stand: »Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.«
Ein gepierctes Wesen in schwarzen Klamotten und mit Militärstiefeln reichte mir eine Broschüre.
»Was für ein schöner Anblick, dass die jungen Leute sich engagieren«, meinte eine ältere Frau mit hellroten Lippen und schottisch kariertem Hackenporsche. »Es wird ja auch höchste Zeit, dass jemand etwas unternimmt.«
Ich nickte und lächelte zerstreut. Meine Gedanken kreisten um mein Gespräch mit David Ballum. Eigentlich wusste ich nicht, was ich erwartet hatte, aber das Ergebnis war eine Enttäuschung. Und obwohl es noch mehrere gab, mit denen ich noch nicht gesprochen hatte, wie zum Beispiel mit Julies bester Freundin, Mette Lundtoft, so stand ich doch weiterhin mit leeren Händen da.
Am nächsten Morgen war ich deprimiert, als ich die Augen aufschlug, und das ganz ohne Grund. Und doch ... seufzend kletterte ich die Leiter hinunter, setzte Kaffeewasser auf und schaute mich um. Großer Gott im Nachthemd! Hier lebte ich in meinen zehn Quadratmetern und versuchte, höchst idiotisch, guten Mutes zu bleiben. Aber das war wirklich schwer. Und manchmal wurde es einfach zu viel. Viel zu viel. Ich schniefte und schlug die Hände vors Gesicht.
Dann spürte ich an meinem Bein eine warme weiche Zunge. Marie schaute mich an und wedelte mit dem Schwanz, sie freute sich auf ihr Käsebrot. »Meine Liebe, was willst du noch mehr«, murmelte ich und öffnete den Kühlschrank.
»Nokken.« Harry zog mit einem hohlen Geräusch den Daumen aus dem Flaschenhals.
Ich sah ihn verwirrt an. »Nokken?«
»Ja, ich bin gestern da vorbeigefahren, und es sieht wirklich gemütlich aus.« Er trank einen Schluck Bier. »Es gibt Wohnwagen und Schrebergärten mit Lauben. Es ist viel hübscher als Christiana, und ich glaube wirklich, es wäre was für dich.«
»Warum sagst du das?«
»Sage ich was?«
»Dass es was für mich wäre?«
»Weil ich das glaube«, antwortete er unschuldig. »Vielleicht solltest du dir so ein kleines gelbes Holzhaus mit Kletterrosen zulegen ...«
»Meinst du?« Ich senkte den Kopf, zupfte am Etikett meiner Bierflasche herum und dachte, er hatte mich offenbar durchschaut, diese Schlange. Dann ließ ich meinen Blick umherwandern und kicherte. Das war vielleicht ja gar nicht so schwer ...
Wir saßen vor meinem Wohnmobil, und im Gras verteilt waren fast alle meine wenigen Habseligkeiten, die ich rausgeworfen hatte, in dem verzweifelten Versuch, aufzuräumen und Ordnung zu schaffen.
»Wie kommt man da eigentlich rein?«
»Bei Nokken?«