Digital lehren. Thomas Hanstein
Selbststeuerung und Handlungsorientierung, die Balance von Schüleraktivierung und Lehrerlenkung, ebenso von Fordern und Fördern, eingeleitet durch gute Inputs, unterstützt durch wechselnde Sozialformen, mit Zeit zur Kooperation und zum eigenständigen Üben und Vertiefen, und immer wieder Feedback.
An dieser Aufzählung wird deutlich, dass guter Unterricht eine Kunst ist. Er gleicht einem guten Klavierstück, das zwar jedes Mal nach denselben Noten vorgetragen wird, das sich aber immer neu und variiert darstellt. Insofern erscheinen wesentliche Leitkategorien – gleichsam als „Gerüst“ – auch für Lehrende in ihrer Aus- und Weiterbildung sinnvoll.
Der Unterrichtsforscher Andreas Helmke fasst seine Untersuchungen in zehn Merkmalen guten Unterrichts zusammen:
1. effiziente Führung der Lerngruppe unter Berücksichtigung der Zeitstruktur,
2. ein lernförderliches Unterrichtsklima,
3. Motivierung auf vielfältige Weise,
4. verlässliche Struktur und Klarheit,
5. Wirksamkeit und Kompetenzorientierung,
6. Schülerorientierung und individuelle Unterstützung – in weiterführender Literatur als Lerncoaching bezeichnet –,
7. Förderung zum selbstständigen Lernen,
8. ein dem Lernziel angemessener Einsatz von Sozialformen und Methoden,
9. Konsolidierung des Inhalts und Übungsphasen sowie
10. das Herstellen von Passungen (vgl. Helmke, 2006).
Abb. 2: Stufenkonzept in Anlehnung an Helmke 2006
Mit anderen Worten: Ein guter Unterricht aktiviert und motiviert die Lernenden. Er lebt von einer Ausgewogenheit von Inhalten, Ritualen, Anleitung und Selbstständigkeit. Er sorgt für die nötige Klarheit und Sicherheit im Bildungsgeschehen und ist methodisch gestützt. Dabei wird hinreichend Zeit für das Erlernen der Methoden eingeplant. Reflexion und Rückmeldung sind selbstverständliche Bestandteile guten Unterrichts. Durchaus: ein „dickes Brett“. Die Herausforderung besteht jedoch in dieser grundsätzlichen Komplexität dessen, was – guter – Unterricht ist und wie er methodisch-didaktisch reflektiert – also vor- und nachbereitet – wird. Die Übertragung auf die virtuelle Lernwelt erscheint vor diesem komplexen Anspruch keine allzu große Hürde zu sein, bedarf allerdings, ebenfalls wie die Frage nach gutem Unterricht, der Anbindung an pädagogische Grundlagen.
Kapitel 1
Methodik oder Didaktik?
Denn oft beginnt es mit dieser grundsätzlichen Unschärfe: Man redet von Didaktik, meint aber eigentlich methodische Fragestellungen. Oder man lässt sich über Methoden aus, ohne ihren Einsatz didaktisch zu reflektieren. Freilich: Beide Fachbegriffe gehören zusammen, doch meinen sie nicht Dasselbe. Deshalb ist vor methodisch-didaktischen Überlegungen diese Klärung wichtig, ohne dabei „schulmeisterlich“ wirken zu wollen. Eine Referendarin äußerte sich nach einer Lehrprobe so:
„Das war so genial vorbereitet, die Schüler waren voll dabei und ich habe fast alle meine Ziele erreicht. Ich verstehe nicht, wieso sie immer wieder auf diesem einen Punkt (ob das auch für die Schüler bedeutsam war) rumgeritten sind. Vermutlich wollten sie es mal wieder nur runterdrücken.“
Eine Unterrichtsstunde ist ein einmaliges Geschehen, das so nie wiederholt werden kann – auch darin besteht der Reiz und die Lebendigkeit des Unterrichtens –, das aber deshalb auch nur bedingt vorzubereiten ist. Viel ist von der Atmosphäre und natürlich auch von dem eigenen Umgang mit der Besucher- und Bewertungssituation abhängig, ebenso wichtig ist aber die klare, von den methodisch-didaktischen Überlegungen gesteuerte Strukturierung. Und diese wird umso präziser, je klarer das Verständnis über Methodik und Didaktik ist. In der Regel zieht sich ansonsten diese Unschärfe – bei allem gründlichen Korrekturlesen als Mentor – durch das Unterrichtsgeschehen, teils in die Formulierung der Arbeitsaufträge, in den Umgang mit unvorhersehbaren „Störungen“ … sowie in die im Prozess sich ergebende Änderung der Zielebene hinein.
Die Kunst zu lehren
Im Gespräch mit einer virtuell Studierenden wurde deutlich, wie sehr die Aneignung des persönlichen Bildungsziels und die tagtägliche Verwirklichung im Unterrichtsgeschehen eine tragende Rolle spielen:
„Das Lernziel sei das und das und das (…) es ist für mich das persönliche Lernziel ein anderes, würde ich sagen. Das hat weniger nur mit Nachahmen zu tun, sondern einfach auch damit, was man über sich selber lernen möchte“ (Lanig, 2019, Anhangband 3, S. 29).
Interessant ist daran, auf welche Weise die Studierende eine Abgrenzung der Aneignung zum „Nachahmen“ zieht. Dass diese Subjektivierung in der virtuellen Lehre eine ganz neue Sicht auf die im Grunde alte Forderung der Individualisierung von Unterricht wirft, zeigt sich im Distanzlernen ganz besonders. Dieser Bogen in der Historie der Didaktik soll an dieser Stelle geöffnet werden:
Didaktik als Wissenschaft des Lehren und Lernens entstammt dem griechischen Wort – für „Lehren“ – didáskein. Dieser Ursprung verweist darauf, dass es bereits in der antiken Bildung selbstverständlich war, sich differenziert Gedanken darüber zu machen, was Lehre bedeutet und wie Lernen funktionieren – oder um es weniger mechanistisch zu formulieren: glücken – kann. Dieses Erbe sehen wir als Verpflichtung. Denn jeder Praktikant, Referendar und auch noch Junglehrer kennt das Phänomen, tagelang nach „geeignetem Material“ Ausschau zu halten, Arbeitsblätter zu bunkern, zum pädagogischen „Jäger und Sammler“ zu werden – um darüber diese Grundfrage leider aus dem Auge zu verlieren. Nimmt man – beispielhaft – die Leitfrage von Hilbert Meyer und Werner Jank zugrunde, so wird die Einschränkung dieser oft tagelangen Suche und (vermeintlichen) Optimierung deutlich:
Wer soll was, wann, von wem, mit wem, wo, wie, womit und wozu lernen?
So lässt sich nach den beiden Schulpädagogen Didaktik in einem Satz fassen (vgl. Meyer/Jank, 1994, S. 17). Sowohl für den klassischen Lehrer in Ausbildung als auch – in diesem Kontext – für den ins Virtuelle einsteigenden Kollegen kann diese Leitfrage die Struktur und Priorisierung vorgeben. Beispielhaft lag in der angeführten Bemerkung die – klassische – Verengung auf das „Was“ vor, das Diktum von Hilbert Meyer und Werner Jank indes kann den Blick zuallererst auf die Gruppe – das „Wer“ – lenken. Denn mit dieser „Adressatenanalyse“ sollte jede gute Planung beginnen. Die zitierte Kollegin in Ausbildung hatte ihren Unterricht für die konkrete Klasse zu „steil“ angelegt. Die Schüler gingen – um nicht zu sagen: „spielten“ – zwar mit, aber ihre Antworten waren nicht authentisch.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass der Unterschied zwischen Methodik und Didaktik damit noch nicht beantwortet ist. Seit Comenius – der als „Vater der modernen Didaktik“ gilt (und die Kunst des Lehrens übrigens auch noch von der Kunst des Lernens – „Mathetik“ – abgegrenzt hat), haben sich viele „Didaktiken“, didaktische Schulen und Modelle entwickelt. Obwohl dies pädagogisch bedeutsam war, hat das aber auch einen Haken: Unübersichtlichkeit. Ein Lehramtsstudent sagte am Ende seines Schulpraktikums:
„Vielen Dank, ich habe bei Ihnen so viele Methoden kennengelernt. Das lief immer wie von selbst bei Ihren Schülern. Und die Methoden haben immer auch zu klasse Ergebnissen an der Tafel geführt. Ich denke, ich habe meine Didaktik genial verbessert. So kann ich gut in’s Ref. einsteigen und werde es sicher auch top hinkriegen.“
Diese Begeisterung für Methoden bestätigte ein Studienleiter wie folgt:
„Es gab Jahre, da haben Referendare einen wahren Methodenzauber veranstaltet. Ich muss zugeben, es hat auch so manchem imponiert und man war auch als gestandener Lehrer und Ausbilder ein wenig abgelenkt und hat sich dann vielleicht nicht immer auf alle Prinzipien bei seiner Analyse konzentriert.“
Um den – auch didaktisch wichtigen – Spannungsbogen nicht überzustrapazieren: Was oben das „Was“ war, ist hier das „Wie“. Und da diese Vermengung gerade am Anfang von