Erik der Rote - Schiff und Schwert. Preben Mørkbak
niedergeschrieben
„Gehen soll man,
nicht als Gast
angewurzelt sitzen bleiben
im selben Haus,
wenn man vergisst
aufzubrechen aus
dem Heim eines anderen.“
Hávamál, Island, 10. Jahrhundert
Im 13. Jahrhundert niedergeschrieben
Es wurde ein grimmiger Winter.
Alles zeigte sich anders als Erik es erwartet hatte. Das Land, die Leute, der Hof, sein Vater und das Meer. Die See fror zu. Sein Vater wurde krank. Der Hof bot ihm Schutz. Die Leute verrohten. Das Land gefiel ihm.
Bereits als der Winter auf die Wiese hinaufgekrochen kam und sowohl die Geräusche wie auch die Geschäftigkeit dämpfte, hatte sich sein Vater niedergelegt. Viele Tage lang hatte er im Fieber vor sich hin gedöst, während alle mechanisch umherliefen und das Schlimmste befürchteten.
Zwei dunkelhäutige Mädchen hatten abwechselnd bei ihm gesessen. Ihr Wohlwollen für diese Tat wurde nicht bezweifelt, obwohl Torvalds Güte ihnen gegenüber kaum ausgeprägt gewesen war.
Nach dem Fieber hatte der große Mann bleich und erschöpft auf dem Stroh gelegen und in die Nische der Bettstatt gestarrt. Er lag in dem, was er inzwischen sein neues Haus nennen durfte. Er sprach ausschließlich mit Ulf und nur über Haus und Hof. Er wollte nicht, dass das Fieber wiederkam.
Dafür hätte es viele Gründe gegeben. Dem ehemals so stattlichen Großbauern aus Jæren ging es schlecht damit, auf dem Stroh zu liegen und alles seinem Verwalter zu überlassen. Auch ging es ihm schlecht damit, dass der Nachbar, Schild-Bjarne, eben diesem Verwalter neue Ideen in den Kopf gesetzt hatte. Zudem machte es ihm Sorgen, dass nun alle auf dem Hof wussten, dass er friedlos war und nur seinen Verwalter hinter sich hatte. Und schließlich quälte ihn noch, dass der Verwalter allein dem ungestümen Wesen seines Sohnes ausgesetzt war.
Dennoch war es ständig Ulf, der Befehle von der fiebererfüllten Schlafbank bekam, und jeden Tag trat er hinaus ins Helle, um zu verkünden, welche Order drinnen im Dunkeln geäußert wurde.
Erik verhielt sich schweigsam. Das Wichtigste für ihn war die Neuigkeit, dass sein Vater eine mögliche Übersiedlung in die Gegend nördlich der sieben Klippen akzeptiert hatte. Die Krankheit bekümmerte ihn natürlich, doch in seinen Knochen und in seinem Brustkorb spürte er, dass sein Vater eines Tages wieder aufstehen würde. So war es immer in ihrer Familie gewesen. Alle standen wieder auf. Und was seinen Vater anbelangte, kam es Erik vor, als wäre dieser unsterblich.
Torhal war indes tief besorgt gewesen. Er hatte alles Mögliche über die Ungnade von Thor vorgebracht, das durch das Gerede, neues Feuer zu entfachen, entstanden sei. Und er hatte seine Unsicherheit darüber geäußert, in allen Dingen auf Schild-Bjarne zu hören. Außerdem war er über die Aussicht auf eine Übersiedlung besorgt, bei der nur Ulf Befehle erteilte, die obendrein aus dem Inneren eines dunklen und bedrückenden Raums kamen.
Erik hatte das Ganze nicht ernst genommen. Er war sich seiner Sache sicher: Sie sollten den kompletten Hof nach Norden verlegen. Wie sie genau vorgehen sollten, wusste er nicht. Aber sicher war er. Erik hatte vorläufig nichts weiter unternommen, um seinen neu gewonnenen Verbündeten auszuhorchen. Er war versucht, mit Ulf ein eingehendes Gespräch zu führen, doch seine gebrochene Nase hatte ihm gesagt, dass es klüger wäre, abzuwarten.
Er hatte Ulf unten am Strand auf einem Stein sitzen sehen, der einem Mast in einem Land voll Eis ähnelte. Er war bereits auf dem Weg zu ihm gewesen, hatte aber geahnt, dass dabei nichts Gutes herauskommen würde. Gleichzeitig hatte er eine Art Mitgefühl für den vormals so derben Verwalter empfunden, der nun dasaß und überlegte, wie er alles zusammenhalten und Erik und Torhal auf Abstand halten konnte.
Erik war äußerst zufrieden damit, dass er und Torhal an sich gehalten hatten und dieselben Tätigkeiten ausübten, die die anderen Kerle ausschlugen. Ab und zu brachen sie für einige Tage auf, kehrten aber immer mit Jagdbeute zurück. Deshalb hatte Ulf nie nach ihrem Tun und Handeln gefragt. Torvald lag still auf seinem Krankenlager, und Erik wusste, dass Ulf seinen Hausherrn nicht über seine Ausflüge unterrichtete. Die Leute auf dem Hof betrachteten das Ganze mit Verwunderung und Verwirrung.
Alle schienen sich darüber bewusst zu sein, dass Ulf sich aus Vorsicht auf Abstand hielt und es für ihn eine demütigende Sache gewesen wäre, wenn Erik mit List und Drohungen seinen Willen bekommen hätte. Auf dem Gehöft wussten alle, dass Versöhnung nicht die Sache des Verwalters war, aber sie wussten auch, dass er niemals Torvald im Stich lassen würde, mit dem ihn sein Schicksal verband.
Just an diesem Abend beobachtete Erik aus der Entfernung Ulf, wie er allein dasaß. Unbeirrt näherte sich Steilbart und stellte sich neben Erik. Steilbart war, wie so viele andere aus dem nördlichen Norwegen, ein kräftig gebauter Mann. Er hatte viele Jahre lang treu auf Torvalds Hof gedient. Keiner wusste, wie sein richtiger Name war, daher wurde er wegen seines langen, herabhängenden Bartes eher recht als schlecht Steilbart genannt. Erik war überrascht, als sich der große Mann an ihn wandte. Steilbart war als zurückhaltend bekannt.
- Nun sitzt Ulf dort und denkt darüber nach, dass er auf Gedeih und Verderb mit dir leben muss, Erik. Torvalds unbändigem Sohn. Er kann sich nicht von dir trennen, so wie ein Widder mit seinen Zecken leben muss.
Erik drehte sich verwundert zu dem sonst so schweigsamen Steilbart um, der sich plötzlich aufführte, als sei er sein Vater.
- Ulf bereitet sich auf jenen Tag vor, an dem Torvald Asvaldsson nicht länger Hausherr ist. Ich habe dem Verwalter deines Vaters oft beim Arbeiten zugesehen, daher weiß ich, dass seine Hände nicht friedfertig herumfummeln können. Du musst damit rechnen, ihm in die Augen zu blicken, wenn jener Tag kommt, denn er ist ein Mann der Tat. Das Nachdenken hat er immer deinem Vater überlassen. Jetzt ist alles neu und ungewohnt für ihn.
- Bist du böse auf ihn, Steilbart, weil so viele Worte aus deinem Mund kommen?
- Es liegt nicht an mir, und ich glaube, das weißt du. Ich weiß aber auch, dass Ulf Thor um Rat gebeten hat. Dein Vater steht ja mit dem Rotbärtigen auf gutem Fuß, doch glaube ich nicht, dass Ulf das vermag. Dafür ist er zu schweigsam und stürzt sich stattdessen kopfüber in die Arbeit. Ohne Torvalds Befehle ist er verwirrt.
- Du klingst, als hättest du schon meinen Vater aufgegeben. Das könnte ich beinah als bösen Gedanken auffassen. Aber ich bin mir sicher, dass sich mein Vater erholt, und genauso sicher bin ich, dass das meiste besser wird, wenn wir auf das Gelände im Norden umsiedeln.
Sie schauten beide schweigsam zu Ulf hinunter, der sich immer noch nicht bewegte. Es war, als bräuchte Steilbart einen langen Anlauf, bevor er wieder seinen Mund aufmachen konnte.
- Wer wird die Umsiedlung anführen, Erik? Wenn das Wort deines Vaters uns weiterhin im Unklaren lässt, wird dann Ulf diese Entscheidung treffen, so als wäre sie seine eigene? Was würde dein Vater dazu sagen? Was würdest du sagen, wenn Ulf deine Idee nicht ausführt?
- Schlimmer wäre das auch nicht, Steilbart. Ich kann die Umsiedlung anführen.
- Ja, das vermagst du vielleicht. Wenn du auf gutem Fuße mit deinem Vater stehst. Das wirst du am besten wissen. Wenn du nicht ganz sicher bist, kannst du ja darüber nachdenken, ob es vielleicht Ulf ist, der dich beschützen wird. Wenn die Umsiedlung gegen den Willen deines Vaters geschieht, dann wissen Ulf und wir anderen, dass das zum offenen Zwist zwischen dir und deinem Vater führen kann.
Steilbart scharrte mit seinen Schuhen im Gras, als wollte er Kuhdung von seinen Sohlen entfernen. Erik spürte unterdessen jedoch, dass der große Mann sehr gut eine Antwort auf seine vielen Worte gebrauchen konnte.
- Wenn Ulf so sehr im Unklaren ist, wie du sagst, dann vermag er mir das wohl zu sagen.
- Nein. Das ist das, was er nicht kann. Er ist durch einen Eid an Torvald Asvaldsson gebunden. Es wäre Verrat, mit dir über diese Dinge zu flüstern. Es wäre, als entzündete man einen kleinen Funken Zweifel im Verhältnis zwischen dir und deinem Vater. Und diese