Erik der Rote - Schiff und Schwert. Preben Mørkbak

Erik der Rote - Schiff und Schwert - Preben Mørkbak


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wartete nicht auf eine Antwort. Er drehte sich um und ließ einen leicht verdutzten Erik zurück, der reichlich zum Nachdenken bekommen hatte. Die folgenden Tage schwirrten Steilbarts viele Worte durch seinen Kopf und er dachte darüber nach, ob sich die Leute auf dem Hof die gleichen Gedanken machten. Und ob sie auch fühlten, dass sie an den Platz gebunden waren, mit dessen krankem Hausherrn, seinem schwierigen Sohn und dem nörgelnden Verwalter.

      Erik wusste so gut wie jeder andere, dass keiner den Ort verlassen konnte. Es war unmöglich wegen des Eises, der Klippen, der Kälte und der Gefahren in der Fremde. Andererseits kannte er jedoch nicht die Gedanken, die sich die kleine Schar machte, und das ließ ihn nur noch intensiver nachdenken.

      Völlig unerwartet tauchte in ihm der Gedanke auf, dass er gewünscht hätte, mit seinem Vater reden zu können.

      Ohne dass Erik etwas dafür tun musste, machte sich eine Verstimmung breit. Die Pfeiler des Hochsitzes waren aufgestellt, aber deren Bemalung wirkte matt. Vielleicht, weil der Tag kurz und das Licht schwach war. Vielleicht wegen der bescheidenen Zukunft, die sich für Torvald abzeichnete. Ulf hatte zwar die Tage bis zur Wintersonnenwende als auch bis zur Mittwinternacht gezählt, doch deshalb wurden noch keine Vorbereitungen für das Julfest unternommen.

      In diesem Entschluss sahen sich all diejenigen bestätigt, die eine Art böses Schicksal an Torvald geknüpft sahen, und einige von ihnen begannen zu bereuen, dass sie an ihn gebunden waren. Nur notgedrungen überließen sie sich ihrem Los, behielten sich jedoch zumindest das Recht vor, ihren Unwillen zu zeigen.

      Genau zu dieser Zeit begann die üble Nachrede.

      Gerüchte über Torvalds mögliches Verbrechen und die Flucht vor seinen Feinden in Norwegen wanderten von Hütte zu Hütte und von Zelt zu Zelt. In den Nächten konnte man ein zischendes Geräusch hören. Es war der Laut von vielen, die durch die Schneidezähne redeten. Ein Geräusch, das keine Zweifel aufkommen ließ, drang aus den Hütten und durch die Zeltwände und mischte sich mit dem Wind und wurde von ihm fortgetragen. Es erzählte jedem, dass auf dem Gehöft in diesem Winter die Zeit für unheilvolle Vermutungen günstig war.

      Die Schafe waren in dem großen Zelt eingepfercht, in dem die Knorr auf Stangen den Winter über lag. Die Zeit vor dem ersten Schnee war zu knapp gewesen, um einen Verschlag für die Schafe zu bauen. Und nun versammelten sich die meisten Tiere auf dem engen Platz unter dem Kiel des Schiffes, wo sie jedoch selten allein waren. Wenn die Nacht hereinbrach, konnte man dunkle Schatten über die Wiese hasten sehen. Es wirkte wie ein großes nächtliches Gastmahl, zu dem die Tiere mit ihrem warmen Atem und ihren lauwarmen Ausdünstungen einluden.

      Oben am Haus und dem größten der Zelte konnte man andere Schatten sehen. Erik und Torhal wohnten in dem Zelt, und auch sie bekamen Besuch. Nicht selten teilten sie ihren Platz mit Groa, und auch dort drehte es sich meist um den warmen Atem. Aber obgleich bei diesen Gelegenheiten auch leise gesprochen wurde, wechselte man keinerlei böses Wort.

      So ging es auf dem Hof den Winter über zu. Jeder versuchte, sich auf seine Weise zu wärmen. Einige, während sie sich mit vielen anderen versammelten, andere, während sie wenige waren. Ulf, während er allein war, und Torvald mit Mühe und Not.

      Groas lindernde Behandlungen hatten seit der ersten Einreibung, die sie Erik zuteilwerden ließ, eine sichtbare Wirkung auf ihn gehabt. Während Torhal unablässig davon redete, auf welche Weise zauberkundige Frauen Männer an sich binden konnten, widersprach ihm Erik mit solch einer triumphierenden Miene, die nur ein Abhängiger aufsetzten konnte, der immer noch an seine eigene Freiheit glaubte.

      Bereits sehr zeitig im Winter war das Bier aufgebraucht. Dies hatte Auswirkungen auf Ulf, der in Mangelperioden üblicherweise bösartig wurde. Die Leute bekümmerte das, da sie sich davor fürchteten, dass der Verwalter in diesem Winter seine Wut an ihnen auslassen könnte. Es gab viele Vermutungen über die Ursache von Ulfs auffälliger Schweigsamkeit.

      Erik sah, wie sich Ulf während der dunklen Tage wie ein mickriger Schatten von Torvald aufführte. Der Verwalter seines Vaters und Schwurfreund tat nicht das Geringste, ohne sicher zu sein, dass Torvald das auch getan hätte. Daher gab es nicht viel, was Ulf in Gang setzte. Und das wenige, was er tat, wurde mit steifen Bewegungen ausgeführt.

      Jedes Gespräch zwischen Erik und Ulf mutete aussichtslos an. So verhielt es sich auch an jenem Tag, als Erik mitten während der Arbeit alle zu einer Versammlung mitten auf dem Platz vor dem Haus zusammenrief. Wie die anderen trottete Ulf neugierig zur Stelle hinauf, wo Erik vor dem Eingang zum Haus seines Vaters stand. Und wie bei allen anderen der bleichen Gesichter war seines von erstaunter Bewunderung erfasst, als Erik redete.

      Erik sprach darüber, wie weit angenehmer die Freude sei, wenn sie den Erschöpften nach bitteren Erfahrungen erreiche. Er neigte das Feuer zu den Gesichtern hinab und fuhr mit seiner Achtung gebietenden Rede fort, dass ein paar wenige treu Ergebene eine größere Bedeutung für einen Hof hätten als eine große Ansammlung von Doppelsinnigen. Er stampfte ermahnend auf die Erde und erinnerte sie daran, dass der Wolf nahe sei, wenn man seine Ohren sehe, und dass ein Wolf in einer Schafherde gefährlich sei. Er schärfte ihnen drohend ein, dass Lügen ein Land verwüsten könnten und dass nur derjenige, der immer Angst habe, beständig schlechte Neuigkeiten vorhersage.

      Nach dem langen, gewaltigen Echo der Stille, die auf die völlig unerwartete Sammlung wohlformulierter Sprüche und Floskeln folgte, legte Erik sein bescheidenstes und wohlwollendes Lächeln auf. Überzeugend und listig erklärte er ihnen, dass er ihnen nun seinen großen Traum darlegen wollte, der alle zu großem Nachdenken und Zufriedenheit anregen werde.

      Er behandelte die Schar wie eine erfahrene Buttermagd, die mit neu geschlagener Butter hantierte, als läge in ihrem Tun ein Zauber, bevor sich schließlich alles in eine dichte, zusammenhängende Masse verwandelte. Und trieb auf diese Weise die letzten verbliebenen Tropfen der Flüssigkeit aus ihr hinaus.

      Dann erzählte er ihnen von Drangar.

      Von dem Ort auf der anderen Seite der Landzunge. Über das Zeichen der sieben verwitterten Klippen im Meer und über Drangar, das ein geschützter Anlegeplatz war. Er hatte die Vorzüge der Hänge und des Wasserfalls aufgezählt, der aus dem Felsen kam. Er zeigte ihnen mehrere Proben des Grases von verschiedenen Stellen, so dass selbst die letzten Zweifler mit offenem Mund staunend nachgeben mussten.

      Torhal führte er als Zeugen an, dass sie gemeinsam mit Knechten von Schild-Bjarnes Hof mit dem Bau des ersten Tierstalls begonnen und eine Möglichkeit gefunden hätten, eine Schmiede zu errichten. Deshalb hätten er und Torhal die vielen Ausflüge um die Landspitze herum gemacht. Nach einer wohlüberlegten Denkpause, in der sich das Wasser im Mund wieder sammeln konnte, erinnerte er sie daran, dass jeder Mann durch seine Taten seine Abstammung zeige und durch seine Worte den Grundstock für das Tagewerk liefere und dass er aus dem Geschlecht von Torvald Asvaldsson abstamme.

      Jeder konnte sehen, wie sich sein Mund bei diesem Wortschwall mit Wohlbehagen formte. Er gab zu verstehen, dass es kein Zufall sei, dass er es war, Erik, der entschlossen handele. Sie würden schon sehen, dass er Recht habe, und sie würde einsehen, dass keinem damit gedient sei, wenn ein Hof ohne Hausherr sei.

      Hiernach erklärte er, es sei sein Wunsch, dass sie die Tagewerke aufteilten. Die Hälfte der Leute vom Hof sollte sich in den helleren Stunden mit dem Aufbau auf Drangar beschäftigen, während sich der Rest etwas ausdauernder um das Notwendige auf dem Hof kümmern sollte.

      Auf die vielen Worte Eriks folgte Stille, durch die jedoch Erwartung hervorlugte. Seit langem hatten sie nicht solch einen Gesichtsausdruck gesehen, und nun sah es in ihrer Welt wieder freundlich aus.

      Die Leute zögerten, auseinanderzugehen. Der außergewöhnliche Wortschwall hatte sich in ihnen ausgebreitet wie Wärme in einem Haus, das mehrere Feuerstellen hatte. Ihre Sorgenfalten waren verschwunden und sie hatten nun wieder etwas von dem Glanz in ihren Augen zurückbekommen.

      Erik spürte den unausgesprochenen Wunsch der Menge nach ein paar zusätzlichen Worten und verwies auf die Chance, dass eine von vielen eifrigen Händen ausgeführte Tat vielleicht Thor besänftigen könnte. Er selbst habe versucht, mit Thor Zwiesprache zu halten, jedoch erfolglos. In dieser Hinsicht sei sein kranker Vater unübertroffen. Daher könnten sie damit rechnen, dass


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