Erik der Rote - Schiff und Schwert. Preben Mørkbak
sie redete, wurde die Wand des Zelts erneut aufgeklappt. Sie sahen einen dunklen Umriss. Keiner von ihnen atmete. Sie sahen, dass es ein Mann war. Im schummrigen Licht machten sie Torhal aus.
- Ist mein Freund Erik bereits tot oder nur schwer verwundet?
- Es heißt, dass ich kaum länger der Sohn meines Vaters bin. In dieser Hinsicht bin ich wohl tot.
- Ja, aber so wie ich die Welt kenne, ist man entweder tot oder nicht. Und du bist nur verletzt!
- Mein Vater findet, dass dieses Gelände zu klein ist, um uns beide zu beherbergen, daher bat er mich, meinen Platz hier zu räumen. Außerdem gab er mir zu verstehen, dass er mir dafür kein ausgesprochenes Gelingen wünscht.
- Wie schnell sollst du abziehen?
- Sobald es das Frühjahr zulässt.
- Ja, ja. So etwas in dieser Art konnte man ja erwarten. Aber, aber, aber, man hat dich nicht darum gebeten, dich in die Berge zu verziehen oder dich vollständig zu verkriechen. Das ist alles denkbar. Nicht wahr?
- Vielleicht. Er hat mich nicht darum gebeten, in die Berge zu ziehen, nein. Aber vielleicht ist es genau das, was ich tun sollte, Torhal. Ich sage dir: Ich habe die Landspitze im Norden umrundet und dort habe ich eine Wiese, einen Liegeplatz, eine Aue und Hänge gesehen, die weit bessere Möglichkeiten bieten als dieser Ort hier.
Erik machte beim Reden eine kurze Pause. Sein Kopf schmerzte noch immer, doch besser als irgendwelche liebevollen Streicheleinheiten war das träumerische Gerede, mit der er Torhals Gehör locken konnte. Mit trockenen Lippen fuhr er fort, seine Erlebnisse auszuschütten.
- Die Klippen sind ein gutes Omen. Sie stehen in einer Reihe von Sieben vor der Küste, und eben aus diesem Grund habe ich diesen Platz bereits Drangar genannt.
- Also dann war es bereits deine Absicht, dich dorthin zu begeben?
- Ich wollte meinem Vater die Neuigkeiten überbringen und ihn bitten, in der Bucht Land zu nehmen. Aber wie du gesehen hast, wurde aus diesem Vorschlag nichts. Nun kann ich wahrhaftig überlegen, das selbst zu tun. Du könntest ja mitkommen?
- Du vergisst, was freie Männer dürfen und was uns unfreien Sklaven befohlen wird.
Torhals Bemerkung kam zögerlich heraus. Sie war ohne Zurechtweisung und Bitterkeit, doch hing sie noch lange in der Luft.
- Du bist mein Freund, fast wie ein Blutsbruder. Wir sind zusammen aufgewachsen, und ich glaube nicht, dass mein Vater, so wütend er auch sein mag, sich selbst auferlegt, dass du hier an diesem Ort gegen meinen Willen bleibst.
- Deinem Vater fehlt es an helfenden Händen auf dem Hof. Mit deinem Vorhaben wäre sein Mangel noch größer.
- Aber es soll sein, wie ich es dir gesagt habe. Das ist es, was ich mir wünsche. Und das ist es, was ich versuchen werde. Und jetzt musst du mir sagen, ob es auch das ist, was du begehrst. Oder ob es das nicht ist.
- Selbst wenn ich nicht sehen kann, wie sich das anstellen ließe, wird es jederzeit mein Wunsch sein, dir zu folgen, Erik. So wird es wohl bis in alle Ewigkeit sein.
Während sie redeten, hatte Groa kniend neben Eriks Kopf gesessen und eine dickflüssige Tunke auf seinen Nacken geschmiert.
- Was tust du da, Weib?
- Sie wendet wohl ihre Zauberkünste an, die diese dunklen Frauen können. Du wirst sie nach und nach kennen lernen. Bist du nicht gerade von Schild-Bjarnes dunkler Murid zurückgekehrt, die dir dein Gesicht wieder so fein gerichtet hat?
Im Dunkeln konnte Erik Torhals Gesichtsausdruck nicht erkennen, doch er spürte indes deutlich die Wirkung der Tunke. Ein durchdringender, süßer Duft breitete sich in seinen Nasenlöchern aus, und er konnte spüren, wie die Luft im Handumdrehen klarer wurde. Bei dem Gedanken, wieder seinen Geruchssinn nutzen zu können, wurde ihm warm. Obendrein war die prickelnde Wirkung der Tunke auf der Haut nicht unbehaglich. Sie tat wohl, im Gegensatz zu dem klopfenden Schmerz, der seine Nackenmuskeln heimsuchte.
Erik erinnerte sich plötzlich an das Sausen hinter dem Ohr.
- Was geschah dort am Ufer?
Er schaute an Groa hoch, doch die Frage richtete sich an Torhal.
- Der Verwalter deines Vaters gebrauchte sein Schwert, doch es war dein Glück, dass er es in der Scheide beließ, als er zuschlug.
- Wenn ich mich recht entsinne, ist die Mannbuße doppelt, wenn der Schlag hinterrücks erfolgt.
Eriks tiefe Tonlage war zurückgekehrt, und sie führte eine lauernde Gefahr mit sich. Torhal ließ sich von diesem Klang oft beeindrucken, aber diesmal nicht. Er seufzte beruhigend und schaute Erik an.
- Verprügelter Stolz lässt sich wohl mit einem toten Hund aufwiegen.
- Du hast vielleicht Recht, Torhal. Mein Vater hat gewiss seinen besten Hund verloren. Aber möglicherweise denkt er darüber nach, ob er nicht mehr als das verloren hat. Meine Sorge ist, dass ich nie ganz herausfinden werde, was ich selbst verloren habe. Und ich bin sehr verwirrt darüber, dass mein Vater nicht im Geringsten Lust hatte, etwas über den Besuch bei Schild-Bjarne zu hören, obwohl ich alles mögliche Gute im Gepäck hatte. Das ist viel mehr wert als mein kuriertes Gesicht.
- Und was sollte das sein, das dein hochgeschätztes und erneuertes Äußeres aufzuwiegen vermag?
- Wenn du dich für meinen Freund hältst, dann sorgst du dafür, dass Ulf den Weg in das Zelt hier findet. Wenn das gelingt, wirst du erfahren, was ich mitgebracht habe.
- Wie üblich bist du selbstsicher, aber denk daran, wer dir in den Rücken gefallen ist. Und denk daran, was Ulf riskieren wird, wenn er es wieder versäumt, den Befehlen deines Vaters nachzukommen.
- Hat mein Vater Ulf befohlen, dass er nicht mit mir sprechen darf?
- Nein. Nein – das hat er wohl nicht. Nicht auf diese Weise.
Torhal war dabei, das Gesagte zu überdenken. Denn er wusste nicht genau, wie er sich verhalten sollte. Er spürte, dass an dem Vorschlag etwas verkehrt war, doch gleichzeitig konnte er in Eriks Tonfall hören, dass dieser seinen Willen durchsetzen wollte. Sie hatten zwischenzeitlich beide vergessen, dass Groa immer noch zusammengekauert im Halbdunkeln dasaß. Im gleichen Augenblick wussten sie, dass sie sie vergessen hatten. Und ihnen war bewusst, welches Wissen sie nun mit ihr teilten. Torhal ließ wie üblich Erik ausführen, was dies bedeutete und was sie damit anfangen sollten.
- Groa möchte nicht hier an diesem Ort bleiben. Daher wird sie ihre Stimme nicht darüber erheben, was im Zelt passiert ist. Nicht wahr, Groa?
Im Halbdunkel sahen sie ihre aufgerissenen Augen und das eifrige Kopfnicken.
- Du nimmst mich mit. Nicht wahr? Guter, kühner, roter Erik.
- Wir werden sehen. Denk dran, dass du Sklavin bist. Vorläufig hältst du deinen Mund. Und Torhal, du schaffst mir Ulf herbei.
Torhal wirkte kein bisschen überzeugt, als er den Rücken umdrehte und aus dem Zelt krabbelte. Kaum hatte das grelle Sonnenlicht ihn verschluckt, als Groas heilende Hände wieder bei Erik waren. Sie setzte die Behandlung seines Nackens fort, auf dem die Salbe immer noch prickelte. Ein vages Wohlbefinden breitete sich in ihm aus und er ließ sich hinabsinken, als würde er durch die Unterlage hindurchfallen. Groa bewegte ihre Hände in langsamen, kreisenden Bewegungen über seinen Körper. Dabei summte sie ein kurzes Lied vor sich hin, das er nicht kannte. Ihre Hände glitten den Brustkorb hinab, bis sie seinen Unterleib und seine Oberschenkel erreichten.
Erik war ganz bei ihrer zarten, summenden Stimme, doch nicht so weggetreten, als dass er nicht seine Augen hätte öffnen können. Er begegnete ihrem Lächeln, das winzigen Fältchen an der Nase hervortreten ließ. Ihr Lächeln war von Zufriedenheit erfüllt. Sie spürten beide das Ergebnis ihrer zarten Behandlung. Eine ihrer Hände lag auf seinem Glied, während die andere ruhig auf seinem Brustkasten lag. Sie drückte ihn nicht hinunter, beruhigte aber seinen erhöhten Pulsschlag. So lange, bis sich seine Lebenskraft in einem kurzen Atemzug auf die Felle ergoss und er trotz seines schmerzenden Nackens den Kopf zurückwarf.