Ein guter Junge. Lisa Henry

Ein guter Junge - Lisa Henry


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Mann verknallt war. Vielleicht hätte er es beim letzten Mal getan, wenn sie allein gewesen wären. Wenn Acton gefragt hätte.

      Er hätte fragen sollen.

      Vielleicht hatte er das. Lane erinnerte sich nicht.

      „Ich bin so dumm“, gab Lane zu und sah auf den Boden. „Ich bin so durcheinander, seit alles passiert ist. Es ist, als wüsste ich nicht, was ich tue.“ Er blickte auf, als Acton einen Schritt nach vorne machte. „Ich stecke in echten Schwierigkeiten.“

      Acton seufzte und schüttelte den Kopf. „Armes Kind.“ Etwas wie Hoffnung flackerte in Lane auf. Acton klang wieder wie er selbst. Freundlich, aber bestimmt. Kontrolliert. „Du glaubst, du hast jetzt nichts? Was ist in einer Woche oder in einem Monat? Weißt du, wie viel schlimmer es werden kann?“

      Lane zitterte. Acton legte ihm eine Hand auf die Schulter.

      „Sieh dich an, Landon, du bist ein Wrack. Du hättest schon früher zu mir kommen sollen.“

      Lane nickte. Er hatte alles vermasselt – alles – von dem Moment an, als die SEC ihm gesagt hatte, dass es nicht mehr sein Elternhaus war. Es war erst zwei Wochen her, und er starrte schon der Obdachlosigkeit ins Gesicht. Wer war so nutzlos?

      Acton würde ihm helfen. Acton hatte ihm schon so oft geholfen, indem er Lane einfach wahrnahm. Indem er bemerkte und nicht urteilte, denn Lane hasste es, bemerkt zu werden, aber mit Acton war es nicht so schlimm.

      „Hi, Landon. Wie läufts in der Schule?“

      Er war immer so wortkarg in der Nähe von Mr Wagner gewesen. Er war sich immer so sicher, dass Mr Wagner hinter sein Gemurmel und sein Erröten blickte und direkt in seine schmutzigsten Gedanken hineinsehen konnte. Die Art und Weise, wie sein schiefes Lächeln nur für Lane noch ein bisschen breiter wurde – das war, weil er es wusste.

      „Gut, danke, Mr Wagner.“

      „Hast du gute Noten?“

      Lane war errötet und hatte zu seinen Eltern geschaut. Er konnte Mr Wagner nicht anlügen. Acton.

      Stephen hatte lachend einen Arm um seine Schultern gelegt. „Landon macht jetzt Filme. Sein Lehrer sagt, sie sind ziemlich gut.“

      „Ich wette, das sind sie“, hatte Acton gesagt und Lane den Teil seines Lächelns gezeigt, von dem Lane sich vorstellen wollte, dass er nur für ihn bestimmt war.

      Ich könnte es dir zeigen.

      Aber das hatte er nie gesagt, niemals. Er mochte es nicht, wenn man ihn forschend ansah. Er war sich immer so sicher, dass er sowieso beurteilt wurde; er konnte sich nicht freiwillig darauf einlassen. Lane hatte versucht, durchzuhalten. Er hatte sogar einen Kurs über das Filmemachen am College belegt. Zumindest ein Semester lang, bis er nicht mehr konnte. Welche Art von Filmemacher konnte sein eigenes Projekt nicht anpreisen, konnte Kritik nicht abwehren und hasste es, seinen Namen im Abspann zu sehen?

      Die teuren Kameras waren nun weg, zusammen mit allem anderen.

      Die Prüfer von der SEC und die Agenten vom FBI waren nicht wohlwollend gewesen. Scheiße, Lane hatte kein Mitgefühl erwartet, aber die Leute, die zum Haus gekommen waren, hatten Lane behandelt, als wäre er ihnen im Weg, als würde er sie anlügen, wenn er sagte, er würde nicht verstehen, was vor sich ging. Als wäre er ein Krimineller.

      „Es wird beschlagnahmt“, hatte ihm einer von ihnen gesagt, als er die Tür geöffnet hatte.

      „Was?“

      „Alles.“

      Lane hatte in seinem Pyjama auf der Treppe gesessen und den Stapel Papierkram in sich aufgesogen, den sie ihm aufgedrängt hatten, als sie ihm sagten, dass seine Mutter in New York verhaftet worden war. Lane hatte zweimal versucht, seinen Vater anzurufen, aber er ging nicht ran. Als der erste Medienwagen vorfuhr, ging Lane wieder ins Haus. Er hatte eine halbe Stunde Zeit, um zu packen – nur ein paar Sachen. Sie ließen ihn weder seine Uhr noch seinen Burberry-Mantel mitnehmen. Ein FBI-Agent hatte ihn beaufsichtigt und ließ ihn dann durch die Hintertür gehen.

      Er hatte gedacht, dass es höchstens ein oder zwei Tage dauern würde und dass die zweihundert Dollar in seiner Brieftasche ihn durchbringen würden. Er hatte mit den Anwälten seiner Eltern telefoniert und versucht zu verstehen, was sie ihm gesagt hatten, und dann hatte er es wieder bei seinem Vater versucht. Und wieder. Und wieder.

      Im Laufe der Tage war ihm immer klarer geworden, dass dies keine winzige Panne in Lanes faulem Sommer war. Es war real, und er steckte in echten Schwierigkeiten. Er hatte das Geld in seiner Brieftasche verschleudert, und es gab keine Möglichkeit, mehr zu bekommen, da alle seine Karten gesperrt waren.

      Das war der Moment, in dem er in Panik geriet. Er hatte seine Klamotten in einem Gebrauchtwarenladen verkauft, ein Ort, den er nie betreten hatte, aber er erinnerte sich, dass die Freundin seines Mitbewohners einmal davon gesprochen hatte. Wäre er mutiger gewesen, hätte er vielleicht widersprochen, als sie ihm Preise anboten, die ihm für gut erhaltene Armani- und Louis-Vuitton-Kleider viel zu niedrig erschienen. Aber er hatte das Geschäft stumm akzeptiert und war mit genug Geld in der Brieftasche wieder gegangen, um noch ein paar Tage durchzuhalten.

      Er hatte sich so dumm gefühlt, als er versucht hatte, das Schließfach zu öffnen. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er einen Schlüssel brauchte. Er hatte angenommen, es sei wie bei seinem Bankkonto – wenn er mit seinem Ausweis auftauchte, würde man ihm Zugang gewähren.

      Nicht, dass es wichtig gewesen wäre, wenn er den Schlüssel gehabt hätte. Sobald er sich identifiziert hatte, war es vorbei. Und anscheinend hatte ihn sein Versuch, auf das Schließfach zuzugreifen, nur noch verdächtiger erscheinen lassen. Die FBI-Agenten hatten ihn gestern gefragt, was in der Kiste war, warum er versucht hatte, sie zu öffnen, und wo er den Schlüssel hatte. Lane war es zu peinlich gewesen, ihnen zu sagen, dass er nicht gewusst hatte, dass er einen Schlüssel brauchte.

      Wie kann man bei der Finanzfirma seiner Eltern ein Praktikum machen und nicht mal wissen, wie ein verdammtes Schließfach funktioniert?

      Nur dass er kaum lange genug dort war, um sich mit den Kaffeebestellungen auszukennen, geschweige denn mit dem eigentlichen Geschäft.

      „Du kennst doch College-Kids.“ Sein Vater hatte gelacht und Lanes Haare zerzaust. „Zu viele lange Nächte und wilde Partys.“ Denn irgendwie war das besser, als vor seinen Kunden die Wahrheit zuzugeben: Lane war nicht faul oder verkatert; er verstand einfach nicht, was er da tun sollte.

      Seine Eltern hatten ihm vor Jahren erzählt, dass sie eine Bargeldreserve in dem Schließfach aufbewahrten, und dass diese nur für Notfälle gedacht war. Sie hatten ihm nie gesagt, an was für einen Notfall sie dachten, oder wie man auf das Fach zugreifen konnte, oder wie viel es enthielt. Oder woher das Geld stammte. Lane war sich nicht sicher, was das FBI dachte – dass die Kiste gestohlenes Geld enthielt? Gott, vielleicht war es das. In diesem Fall hatte das FBI es wahrscheinlich schon mit einem ihrer schicken Durchsuchungsbefehle ausgeräumt. Wenn ja, hatten sie Lane nicht gesagt, was darin war, und Lane hatte ihnen nicht gesagt, dass er es nicht wusste. Denn wer würde das schon glauben?

      „Hat dein Vater dir gesagt, du sollst auf die Box zugreifen?“

      Kein Kommentar, kein Kommentar, kein Kommentar.

      Scheiße, wenn er gewusst hätte, wie schlimm es werden würde, hätte er sofort Acton angerufen.

      „Wenn du nicht angerufen hättest, hätte ich dich kontaktiert.“

      Er sah Acton jetzt an. Da war keine Spur von dieser Kälte, diesem Hass. Vielleicht hatte Lane sich das eingebildet.

      „Dummer Junge.“ Acton lächelte sein vertrautes schiefes Lächeln. „Geh nach oben. Warte im Arbeitszimmer auf mich, und wir werden sehen, was wir wegen des Schecks für das Schulgeld tun können, hm?“

      Er drehte sich um, ging weg und verschwand tiefer im Haus. Er wartete nicht einmal lange genug, um sich zu vergewissern, dass Lane, dessen Gesicht brannte, ihm folgte.

      Quietsch, quietsch, quietsch, die Treppe hoch.


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