Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2. Kersten Reich

Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2 - Kersten Reich


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er tun sollte und zu unterlassen hat.

       Für zukünftige Generationen ist die Welt zersiedelt, verdichtet, besetzt

      Wer Privatbesitz an Raum und Immobilien hat, der kann, so lautet die Regel der Moderne bis heute, immer auf Zeit setzen. Die Erfahrung zeigt, dass durch die Verknappung des Raums weltweit, der durch die Zunahme der Bevölkerung entsteht, die Nachfrage steigt und das Angebot sinkt. Gewinne lassen sich heute durch Warten erzielen; die gegenwärtigen Immobilienblasen sind nur der letzte Ausdruck einer solchen Entwicklung. Für das Leben zukünftiger Generationen ist die Welt zersiedelt, verdichtet, besetzt. Dies verändert auch die Lebensräume von Tieren und Pflanzen, es führt zu einer Begrenzung der Artenvielfalt und problematischen Bodenverhältnissen, aber für den Menschen auch zu vererbtem Besitz und damit zu einer Vorverteilung von verfügbarer Welt und Lebenschancen.

      Der persönliche Erfolg bestimmt sich durch den Raum, den eine Person, eine Familie im gesellschaftlichen Ganzen einnehmen kann. Der Raum, als Ertragsboden der Landwirtschaft zuvor durch feudale, ererbte Besitzverhältnisse aufgeteilt, wird in eine Ware verwandelt, was nach und nach eine Umverteilung ermöglicht. Der Raum wird zum Grundstück, der Besitz zur Immobilie, das Privateigentum führt in eine Raumaufteilung nach privat und öffentlich. Wer in der ursprünglichen Akkumulation solchen Besitz, der sich durch Beleihung immer auch in Kapital, etwa für die Errichtung von Produktionsstätten, verwandeln ließ, zu eigen wusste, der kann über Generationen hinweg – so zeigt es Piketty (2014) – einen Reichtum anhäufen, den man im späteren Kapitalismus aus eigener Kraft nur selten übertreffen kann. Dies bedingt insgesamt eine Parzellierung der Welt, eine Unzugänglichkeit vieler Orte, der Errichtung von Barrieren und Mobilitätsschranken, vor allem auch die Errichtung sozialer Schranken und Grenzen, die heute verteilungsgerechten Konzepten nach Besitz und gemeinschaftlichen Flächen entgegenstehen.

      Der öffentliche Raum, der die Macht und Herrschaft einer Nation bebildern hilft, zeigt sich in der Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft besonders anschaulich in großen Plätzen und monumentalen Bauten, die nicht mehr solitäre Schlösser und Festungen bleiben, sondern ein Ensemble des Erfolgs der verschiedenen Akteure präsentieren. Die moderne Stadt entsteht mit Gebäuden der Administration, Geschäften, Wohnhäusern. Die größten und attraktivsten dieser Städte werden zu den global cities der flüssigen Moderne (vgl. Sassen 2001), in denen die Regierungen sitzen, die Gesellschaft verwaltet wird, das Kapital an die Börse geht, die Ideen und Konzepte der Innovation, der Werbung, des Entertainments entstehen,und wo alle Trends gesetzt werden.

      Die Arbeitsverhältnisse bilden immer einen Kern der ökonomischen Bedingungen und Entwicklungen. Die Arbeitsverhältnisse sind besonders prägend für die Bewusstseinsbildung der Menschen und damit auch bestimmend für die Möglichkeiten von Nachhaltigkeit. Dabei sind die Arbeitsverhältnisse der Gegenwart mit zahlreichen Lasten aus der Vergangenheit beschwert, wie ich näher im Blick auch auf die Nachhaltigkeit zeigen will.

       Arbeitsverhältnisse als Kern der Lebensverhältnisse

      Im Alltag der Menschen, in ihrer Lebenswelt, in der Kultur, in den Familien, der Erziehung und Bildung, beim Lernen wie allen Praktiken, Routinen und Institutionen des gesellschaftlichen und individuellen Lebens, gelten eine Irreversibilität der Zeit und ein zunehmend erschlossener Wirtschafts- und Lebensraum, der sich von den kleinen lokalen Einheiten des täglichen Lebens und Arbeitens bis in die fernen globalen und teils auch nur imaginierten Räume einer Fremde öffnen. Die Vorstellungen einer linearen Zeit mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bei gleichzeitiger Möglichkeit, eine allgemeine Zeitrechnung für die Koordination der menschlichen Handlungen durch die Routinen der Zeitabläufe und die Messungen der Zeit mittels Uhren und Zeitplänen zu ermöglichen, sind Grundbedingungen für die Nutzungsmöglichkeiten der Arbeit im Kapitalismus.

      Wie war es vorher? Die Arbeitsverhältnisse in den feudalen Strukturen organisierten alle Arbeitszeiten saisonal nach den nutzbaren Tagen, wobei Zeiten frei von Arbeit religiös und ritualisiert legitimiert waren. Das Überleben hing sowohl von den Naturgewalten, der Fruchtbarkeit der Böden, der eigenen Gesundheit und Leistungsfähigkeit als auch von den zu leistenden Abgaben in den feudalen Herrschaftsverhältnissen ab. Obwohl der Mensch nicht im Einklang mit seiner sozialen Lage leben konnte, obwohl Not, Unterdrückung und Fremdbestimmung dominierten, so lebte er halbwegs im Einklang mit der Natur. Er war nur bedingt mächtig, in sie einzugreifen.

      Mit der Moderne beginnt sich nach und nach ein neues Natur-, Zeit- und Raumverständnis zu etablieren. Dazu gehören zunächst vor allem folgende Aspekte:

      Das aufstrebende Bürgertum hatte im 19. Jahrhundert steigende Bildungsbedürfnisse, die über elementare religiöse Disziplinierung und Einordnung in die Pflichten des Lebens hinausgingen. Nicht nur die Erhöhung der Produktivität der Arbeit bedurfte der Innovationen, sondern auch die Verwaltung der expandierenden Aufgaben eines Warenverkehrs, einer Administration der gesellschaftlichen Organisation auch im Rahmen der Zunahme der Bevölkerung und der Verdichtung der Arbeit in wachsenden Städten, der Entstehung und Entwicklung eines Gesundheits- und Erziehungssystems, dem Aufbau einer Finanzverwaltung, der Polizei und des Militärs. Zugleich entstanden geistige Bedürfnisse, an der Entwicklung eines modernen, aufgeklärten Zeitalters teilzunehmen, wie sie etwa von Wilhelm von Humboldt als Bildungstheorie thematisiert wurden. Dabei blieben die allgemeinen Bildungsvorstellungen allerdings klar klassenbezogen, und es setzte eine Bildungsgeschichte ein, die seither gebildete und bildungsbenachteiligte Gruppen von Menschen unterscheidet.

       Zunehmender Wohlstand erzeugt zunehmende Unterschiede

      Die Arbeit als Antrieb schafft nicht nur den Reichtum der Gesellschaften, sie erzeugt auch wesentliche Unterschiede. Es setzt ein gesellschaftlicher Differenzierungsprozess ein, der zunächst sowohl die Zeiten nach den Geschlechtern in die Arbeitszeit der Männer und die Familien- und Erziehungszeit der Frauen scheidet, sofern das Überleben nicht beide Geschlechter in einer Arbeit zum Überleben gefangen hält. Zugleich wird die körperliche von der geistigen Arbeit unterschieden: Der körperlichen Arbeit werden die eher einfachen, leichter zu intensivierenden Tätigkeiten zugeordnet, der geistigen Arbeit eine Fülle an qualitätvoll unterschiedlichen Tätigkeiten, deren Wertigkeiten abgestuft werden. Hier wirken vor allem Angebot und Nachfrage mit Erwartungen an die Qualität der Arbeit zusammen.

      Begleitet wird die verstärkte Unterscheidung von körperlicher und geistiger, von Männer-, Frauen- und Kinderarbeit mit einer in der Moderne zunehmenden Arbeitsteilung in verschiedene Berufsbilder. Das Berufsbild der Nachhaltigkeit fehlt von vornherein und lässt sich auch bis heute eher als Tätigkeit finden, die die Produktivitätsgrenzen weiter ausreizen soll und die Folgen für die Menschen und die Umwelt eher zurückhaltend erfasst, weil Nachhaltigkeit für eine ferne Zukunft stets sehr unproduktive Kosten in einer auf Gewinne orientierten Gegenwart erzeugt.

      Die positiven Erzählungen gehen anders. Sie lauten so: Mit dem Erstarken eines Bürgertums, mit Handwerk, ersten Manufakturen und später Fabriken in einer zunehmenden Industrialisierung entsteht eine Lohnarbeit, die – wie Marx es in seiner Schrift über das Kapital herausarbeitete – doppelt freigesetzt wurde: Einerseits entstammte sie den feudalen Banden einer Herrschaft und Abhängigkeit, andererseits eröffnete sie aber damit auch mehr Teilhabe an der Gesellschaft in dieser neuen Freiheit bis hin zu demokratischen Lebensverhältnissen, wobei die Freiheitsgrade in langen gesellschaftlichen Kämpfen erstritten werden mussten. Die Freiheit wurde zu einem höchsten Wert dieser gesellschaftlichen Entwicklung.

      Aber zugleich wurden die nun freien Lohnarbeiter auch von ihrem (meist sehr kleinem) Besitz an Land oder aus ihrer Zugehörigkeit zu Familien, Orten oder Gemeinden »befreit«. Damit standen sie für Arbeiten zur freien Verfügung, die mit einem Vertrag für eine bestimmte Zeit gegen Lohn angeboten wurden. Diese Freiheit war von Beginn an schwierig: Einerseits konnte auf dem nun entstehenden Arbeitsmarkt die Arbeit wie eine Ware angeboten werden, andererseits war es eine Frage von Angebot und Nachfrage, wer diese


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