Parodontologie von A bis Z. Peter Eickholz

Parodontologie von A bis Z - Peter Eickholz


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ist direkt mitverantwortlich für zahlreiche Erkrankungen wie Krebs sowie Atemwegs- und Kreislauferkrankungen. Zahlreiche Querschnitts- und longitudinale Studien belegen den Einfluss von Zigarettenrauchen auf die Pathogenese der Parodontitis8. Angesichts der Tatsache, dass etwa 27 % der Bundesbürger rauchen, stellt der Zusammenhang zwischen Nikotinkonsum und Parodontitis ein ernsthaftes gesundheitspolitisches Problem dar. Das Ausmaß parodontaler Zerstörung korreliert mit der Dosis des Nikotinkonsums, der als Packungsjahre (Zahl der pro Tag gerauchten Zigarettenschachteln multipliziert mit der Zahl der Jahre des Rauchens) bestimmt werden kann. Das Risiko, bei einem Raucher Parodontitis anzutreffen, liegt je nach Dosis (Zigaretten pro Tag) um den Faktor 3 bis 6 höher als bei einem Nichtraucher (Abb. 6)8. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Nikotinkonsum im Zigaretten-, Zigarren- bzw. Pfeiferauchen besteht. Etwa die Hälfte der Parodontitiserkrankungen bei Personen, die jünger als 33 Jahre sind, können auf das Rauchen zurückgeführt werden (attributables Risiko 50 %). Rauchen beeinträchtigt die Wundheilung und bei Rauchern sind ungünstigere Therapieergebnisse zu erwarten als bei Nichtrauchern.

      Abb. 6a und b Mann im Alter von 60 bzw. 61 Jahren, starker Raucher, Parodontitis, generalisiertes Stadium IV, Grad C; 1962 bis 1995 20 Zigaretten/Tag, seit 1995 10 Zigaretten/Tag (etwa 44 Packungsjahre): a) Klinische Ansicht im Alter von 61 Jahren; b) Panoramaschichtaufnahme im Alter von 60 Jahren.

      Nikotinkonsum hat verschiedene lokale und systemische Auswirkungen auf die oralen Gewebe. Bei Rauchern besteht im Vergleich zu Nichtrauchern eine schwächere Assoziation zwischen supragingivaler Plaque und Bluten auf Sondieren8. Diese Beobachtung kann durch das Nikotin erklärt werden, das zu einer lokalen Vasokonstriktion und damit verringertem Blutfluss, Ödem und Entzündungszeichen führt. Raucher haben weniger T-Helferzellen, die für die B-Zellfunktion und Antikörperproduktion wichtig sind, und erniedrigte Antikörperspiegel. Tabakbestandteile können die Chemotaxis und/oder Phagozytose neutrophiler Granulozyten beeinträchtigen (Tab. 3)6,8.

Parodontale Mikroflora: Erhöhte Prävalenz und Anzahl von Tannerella forsythia bei Rauchern.
Neutrophile Granulozyten und Antikörper-Clearance: Geschwächte Chemotaxis und Phagozytose, verringerte Spiegel von sekretorischem IgA im Speichel und Serum-IgG gegen Prevotella intermedia und Fusobacterium nucleatum. Gehemmte Freisetzung lysosomaler Enzyme und Superoxidanionenproduktion.
Monozyten und Lymphozyten: Reduziertes T4/T8-Verhältnis korreliert mit den Packungsjahren. Erhöhte Sekretion von Entzündungsmediatoren (IL-1b, PGE2, TNF-a) durch Monozyten als Reaktion auf Lipopolysaccharide. Oxidativer Stress und Nikotin induzieren den entzündlichen Monozytenphänotyp mit verringerter reparativer Kapazität.
Zytokine und Entzündungsmediatoren: Rauchen ist möglicherweise ein wichtiger Reiz für die phänotypische Expression des IL-1-Polymorphismus.
Bindegewebe und Gefäßveränderungen: Geringe gingivale Entzündung und Blutung in Relation zum Schweregrad der Erkrankung. Verstärkter parodontaler Knochenabbau und verstärkte Zerstörung gingivalen Bindegewebes durch Matrix-Metalloproteinasen. Die vasokonstriktive Aktivität des Nikotins verursacht oxidativen Stress.
Klinische Konsequenzen: Fibrotische und hyperkeratotische Gingiva mit verdickten Rändern. Schwache Assoziation zwischen parodontalem Status und mikrobieller Plaque bzw. Zahnstein. Rezessionen im Frontzahnbereich, hoher Anteil tiefer Taschen im Frontzahnbereich und an palatinalen Stellen im Oberkiefer. Erhöhte Misserfolgsrate bei enossalen Implantaten und regenerativer Therapie.

      Tabelle 4 fasst weitere systemische Risikofaktoren/-indikatoren zusammen.

ExogenEndogen
Nikotinkonsumgenetisch bedingte Faktoren
psychosozialer Stressz. B. Zytokinpolymorphismen
(Osteopenie)erworben
Diabetes mellitus
(HIV-Infektion)

      Lokale Risikofaktoren

      Eines der Charakteristika der parodontalen Destruktion ist ihre Stellenspezifität, d. h. innerhalb einer Dentition bzw. an einem einzelnen Zahn können verschiedene Stadien parodontaler Destruktion auftreten (s. Abb. 1). Dies kann durch die Besiedlung verschiedener parodontaler Taschen mit unterschiedlich virulenten Keimen6 oder durch unterschiedliches Auftreten bzw. Ausprägung lokaler Faktoren bedingt sein. Zu diesen lokalen Faktoren, die die mikroökologischen Verhältnisse in der Mundhöhle beeinflussen und damit Entstehung sowie Progression der Parodontitis begünstigen können, gehören Zahnstellung (Schachtelstellung von Frontzähnen, Mesialkippung von Molaren) und -morphologie. Insbesondere in den Furkationen mehrwurzliger Zähne finden sich anatomische Besonderheiten wie Schmelzparaplasien (Schmelzsporne, -inseln, -tropfen und -perlen) (Abb. 7a), Wurzelzementkämme und blind endende Öffnungen6. Im Bereich der teilweise weit in die Furkation reichenden Schmelzsporne besteht kein bindegewebiges, sondern nur ein epitheliales Attachment. Während das bindegewebige Attachment erst im Stadium der fortgeschrittenen Läsion zerstört wird, geht nach bakterieller Exposition und Entstehung einer Gingivitis das epitheliale Attachment bereits beim Übergang von der frühen zur etablierten Läsion (Gingivitis) verloren. Auch Furchen in der Wurzeloberfläche (z. B. palatinale Furche seitlicher Oberkieferschneidezähne) gehören zu diesen lokalen Kofaktoren der Parodontitis, aber auch iatrogen bedingte Situationen wie überhängende oder subgingival gelegte Restaurationsränder, die die Besiedlung der betroffenen Zahnoberflächen insbesondere mit pathogenen Keimen begünstigen (Abb. 7b)6.

      Abb. 7a und b Lokale Parodontitis-Risikofaktoren: a) Zahn 36 nach Tunnelierung mit breitem und weit in den Furkationsfornix reichenden bukkalen Schmelzsporn; b) Panoramaschichtaufnahme einer Frau im Alter von 35 Jahren (1995): Parodontitis, generalisiert Stadium III, Grad C. Der Zahnersatz mit zum Teil stark überhängenden Kronenrändern wurde im Jahr 1994 eingegliedert.

      Einen weiteren lokalen Risikofaktor stellt das okklusale Trauma dar. Hierbei liegen entweder exzessive okklusale Kräfte (z. B. durch einen Suprakontakt) bei normalen parodontalen Verhältnissen vor (primäres okklusales Trauma) oder normale bzw. exzessive okklusale Kräfte führen bei reduziertem Parodont zu einer Traumatisierung der parodontalen Strukturen (sekundäres okklusales Trauma). Das okklusale Trauma kann zwar zu erhöhter Zahnbeweglichkeit führen, resultiert aber ohne bakterielle Exposition nicht in einer entzündlichen Zerstörung parodontaler Gewebe. Bei Vorliegen von bakterieller Plaque und Gingivitis scheint diese erhöhte Zahnbeweglichkeit aber das lokale Risiko für Attachmentverluste zu erhöhen8.

      Ist es zu Taschenbildung, Attachmentverlust und Knochenabbau gekommen, können die so entstandenen Defekte wiederum die bakterielle Besiedlung (Biofilm) begünstigen und damit die mikrobielle Exposition (Dysbiose) erhöhen (s. Abb. 3 und 4). Bei Patienten mit unbehandelter Parodontitis haben Zähne mit Knochentaschen


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