Parodontologie von A bis Z. Peter Eickholz
bezeichnet (Abb. 2). Zu dieser Veränderung kommt es infolge kleiner Gewebstraumen als übermäßige entzündliche Entwicklung von Granulationsgewebe. Vaskuläre Epuliden treten aber nicht nur im Rahmen einer Schwangerschaft auf und können neben einer gingivalen Lokalisation auch an der Zunge, Lippe, der Wangenschleimhaut, dem Gaumen, dem Vestibulum und an Frenula beobachtet werden.
Abb. 2 Pyogenes Granulom, das während der Schwangerschaft auftrat.
Die Epulis vascularis ist eine zumeist interdental gestielte, im Vergleich zu anderen Wucherungen streng lokalisierte Gewebevergrößerung, die innerhalb weniger Monate ihre volle Größe entwickelt (meist < 20 mm)4. Die Oberfläche des Granuloms ist rötlich und häufig ulzeriert bzw. fibrinbedeckt, und sie neigt stark zu Spontanblutungen. Die Inzidenz für eine Epulis vascularis während der Schwangerschaft wird mit 0,5 bis 5 % angegeben5. Eine operative Entfernung ist nur sinnvoll, wenn es durch das Granulom zu Störungen beim Essen oder Sprechen kommt. Ansonsten bildet sich sowohl die lokalisierte als auch die generalisierte Gingivawucherung nach der Geburt auch ohne chirurgische Intervention zumeist zurück.
Neben der Epulis vascularis existieren noch zwei weitere lokal begrenzte gingivale Gewebevergrößerungen, die Epulis fibrosa (peripheres Fibrom) und das periphere Riesenzellgranulom3. Sie werden der Vollständigkeit halber kurz beschrieben.
Die Epulis fibrosa (peripheres Fibrom) zählt zu den fibrösen Gingivawucherungen. Sie besitzt im Gegensatz zur Epulis vascularis eine derbere Konsistenz und eine blasse bis rosafarbene, nicht entzündlich veränderte Oberfläche. Das Bindegewebe zeigt eine faserreiche extrazelluläre Matrix, in der die Kollagenbündel ähnlich den dento- und alveologingivalen Fasern verlaufen.
Das periphere Riesenzellgranulom ist häufig die Manifestation eines zentralen Riesenzellgranuloms. Dieser gutartige Tumor kann sowohl in bezahnten als auch in unbezahnten Kieferabschnitten vorkommen, ist im Unterkiefer häufiger als im Oberkiefer zu beobachten und kann in den benachbarten Knochen eindringen. Die Wucherung ist schmerzlos und weist meist eine dunkelrote Farbe sowie eine entzündlich ulzerierte Oberfläche auf, die leicht blutet. Die genaue Ätiologie der Veränderungen ist nicht vollständig geklärt; als auslösender Faktor werden traumatische Gewebeschädigungen diskutiert.
Gingivavergrößerungen bei Bluterkrankungen
Über eine Vergrößerung der Gingiva wird auch bei leukämischen Erkrankungen berichtet. Infolge der Verminderung funktionstüchtiger Leukozyten kann es zu starken Entzündungsreaktionen und durch das leukozytäre Infiltrat zur Verdickung der Gingiva kommen3. Die häufig schmerzhafte Wucherung der Gingiva entsteht in relativ kurzer Zeit, und die Patienten berichten über ein eingeschränktes Wohlbefinden, Fieber oder Abgeschlagenheit. Bei dem Verdacht einer allgemeinmedizinischen Genese der Gingivawucherung sollte unverzüglich die Überweisung an einen Internisten zur weiteren Abklärung erfolgen.
Medikamentös induzierte Gingivawucherungen
Mit medikamentös verursachten Gingivawucherungen werden vor allem Cyclosporin A (Immunsuppressivum bei Transplantationen oder Autoimmunerkrankungen), Kalziumkanalblocker (Nifedipin, Diltiazem, Verapamil) und Phenytoin (Antikonvulsivum) in Verbindung gebracht (Tab. 2). Trotz der pharmazeutisch unterschiedlichen Wirkstoffe sind sich die histologischen und klinischen Befunde ähnlich.
Tab. 2 Medikamente bzw. Wirkstoffe, die mit einer Gingivawucherung assoziiert sein können6.
Wirkstoff | Präparat (Beispiele) | Prävalenz von Gingivawucherungen | |
Immunsuppressiva | Cyclosporine | Sandimmun, Neoral | Erwachsene 25–30 % Kinder > 70 % |
Antikonvulsiva | Phenytoin | Epanutin, Phenhydan | 50 %7 |
Carbamazepine | Tegretal | nicht beschrieben | |
Vigabatrin | Sabril | selten | |
Phenobarbital | Luminal | < 5 % | |
Valproinsäure | Convulex | selten | |
Kalziumkanalblocker | Nifedipin | Adalat, Aprical, Corinfar, Duranifin | 24 %8–44 %9 |
Diltiazem | Dilsal, Dilta, Corazet | 5–20 % | |
Verapamil | Azupamil, Cordichin, Falicard, Isoptin, Vera | < 5 %10 | |
Felodipin | Felobet, Felocor, Munobal | selten | |
Amlodipin | Norvasc | selten11 | |
Isradipin | Lomir, Vacsal | nicht beschrieben |
Nach Beginn der medikamentösen Therapie kommt es bevorzugt im Bereich der Papillen zu einer generalisierten oder lokalisierten Dickenzunahme der Gingiva12. Dabei ist die Prävalenz der Veränderung bei Kindern und Jugendlichen meist höher als bei Erwachsenen. Durch die Vergrößerung entstehen Pseudotaschen, die von den Patienten kaum zu reinigen sind. Die primär fibröse Wucherung kann dadurch sekundär entzündlich überlagert und deutlich verstärkt werden. Die Patienten fühlen sich meist nicht nur in ihrer Ästhetik beeinträchtigt, sondern es kann auch zu Problemen beim Essen, Sprechen und bei Kindern im Rahmen des Zahndurchbruchs kommen. Durch den Druck des wuchernden Gewebes können sogar Zahnstellungsänderungen hervorgerufen werden, die nach einer erfolgreichen Therapie reversibel sind.
Wirkmechanismus
Cyclosporin, Kalziumkanalblocker und Phenytoin bzw. deren Abbauprodukte greifen an unterschiedlichen Punkten in den zellulären Kalziumstoffwechsel ein. Der genaue pathogenetische Einfluss auf die parodontalen Zellen und die Homöostase der extrazellulären Matrix ist bisher aber nicht vollkommen geklärt und ist unter Umständen für die verschiedenen Präparate unterschiedlich.
Im Gegensatz zu entzündlichen Parodontalerkrankungen, bei denen es zu einem Abbau von gingivalem Bindegewebe kommt, findet bei Gingivawucherungen eine Zunahme von Fibroblasten, der extrazellulären Matrix und häufig auch eine Verdickung des Epithels statt.
Die Zunahme der extrazellulären Matrix des gingivalen Bindegewebes kann durch eine vermehrte Synthese aber auch durch eine reduzierte Bildung von Kollagenasen, die für den enzymatischen Abbau der Matrix verantwortlich sind, verursacht werden. Daneben wird auch diskutiert, ob die Medikamente eine veränderte Gewebereaktion auf bakterielle Plaque verursachen.
Medikamente
Cyclosporin A
Cyclosporin wird nach Organtransplantation alleine oder in Kombination mit Kortikosteroiden zur Suppression der Immunreaktion angewendet. Daneben werden auch Erkrankungen, die in Zusammenhang mit einer Dysfunktion des körpereigenen Abwehrsystems stehen (u. a. Psoriasis, Pemphigus vulgaris und rheumatische Arthritis), mit diesem Wirkstoff therapiert.
Gingivawucherungen treten mit einer Häufigkeit von etwa 25 bis 30 % auf6 und manifestieren sich meist innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der medikamentösen Behandlung (Maximum nach 6 Monaten; Abb. 3).
Abb. 3 Cyclosporin-A-induzierte Gingivawucherung bei einem Patienten nach Nierentransplantation.
Da es nach Nierentransplantation zu einer Erhöhung des Bluthochdrucks (renal verstärkt) kommen kann, werden den Patienten häufig Kalziumkanalblocker verordnet. Dadurch verstärkt sich der Effekt der beiden Medikamente, und die Häufigkeit von Gingivawucherungen nimmt zu.
Das Auftreten und das Ausmaß der Gingivawucherungen wird von mehreren Kofaktoren beeinflusst. Neben dem Alter der Patienten, der Dosierung und Dauer der Medikation spielt vor allem die individuelle Plaquekontrolle