Parodontologie von A bis Z. Peter Eickholz
Antikonvulsiva
Von verschiedenen Stoffen, die zur Therapie von Epilepsie eingesetzt werden, beeinflusst nur Phenytoin (Diphenylhydantoin) das parodontale Gewebe direkt. Daneben kommt Phenytoin auch bei der Behandlung bestimmter Herzrhythmusstörungen zur Anwendung. Die klinische Symptomatik tritt bei etwa 50 % der Patienten auf7. Es scheint keinen Zusammenhang zwischen der phenytoininduzierten Gingvaverdickung und dem Alter, der ethnischen Herkunft oder dem Geschlecht der Patienten zu geben. Wie bei Cyclosporin beginnt die Wucherung meist 3 Monate nach Beginn der Medikamenteneinnahme und ist im ersten Jahr der Behandlung am stärksten. Die ersten Zeichen der Gingivaverdickung treten im Bereich der Interdentalpapillen auf, die oft eine gestippelte Oberfläche aufweisen; bei lang andauernder Medikation kann das Gewebe die klinischen Kronen der Zähne bedecken (Abb. 4). Phenytoininduzierte Gewebewucherungen sind bei zahnlosen Patienten selten. Untersuchungen haben eine positive Korrelation zwischen dem Ausmaß der Wucherung, dem Entzündungsgrad, den Taschentiefen sowie der Prävalenz von weichen und harten Belägen gezeigt. Allerdings kann allein durch eine effektive Plaquekontrolle die Wucherung nicht vollständig eliminiert werden.
Abb. 4 Phenytoininduzierte Gingivawucherung.
Kalziumkanalblocker/-antagonisten
Kalziumkanalblocker werden hauptsächlich zur Therapie von pektangiösen Beschwerden und Bluthochdruck eingesetzt. Neben Verapamil (< 5 %)10, Amlodipin11, Diltiazem etc. wird vor allem Nifedipin8,9 aus der Gruppe der Kalziumkanalblocker mit Gingivawucherungen assoziiert (s. Tab. 2). Die Prävalenz von Gingivawucherungen nach Einnahme von Kalziumkanalblockern ist sehr unterschiedlich und ist mit bis zu 20 % bei Nifedipin und Diltiazem am höchsten.
Die Gingivavergrößerung ähnelt klinisch und histologisch der hydantoininduzierten Wucherung und manifestiert sich am ausgeprägtesten im Bereich der labialen Papillen (Abb. 5). Die Veränderungen bilden sich nach Absetzen des Medikaments häufig wieder zurück. Durch eine regelmäßige Entfernung der Plaque ist es möglich, das Ausmaß der Wucherung deutlich zu reduzieren und oft auch vollständig zu eliminieren.
Abb. 5 Gingivawucherung bei Medikation mit einem Kalziumkanalblocker.
Nicht plaqueinduzierte Gingivavergrößerungen (vererbte Gingivafibrose)
Die nicht plaqueinduzierten Gingivavergrößerungen sind primär nicht bakterieller Genese. Durch Ausbildung von Pseudotaschen und die dadurch erschwerte persönliche Mundhygiene kann es aber sekundär zu entzündlichen Überlagerungen kommen.
Idiopathische Gingivawucherungen können einen genetischen Ursprung haben; die genaue Ätiologie ist bisher allerdings nicht geklärt. Die Erkrankung kann autosomal dominant vererbt werden, der pathogenetische Zusammenhang ist bisher aber nicht bekannt. Die Gingivawucherung kann als alleiniges Symptom auftreten oder in Verbindung mit anderen pathologischen Erscheinungen (z. B. Hypertrichiose). Die gutartige Wucherung besteht meist aus einem dichten, faserreichen (Kollagen), aber zellarmen Bindegewebe (Abb. 6). Treten die Wucherungen symmetrisch, z. B. retromolar im Ober- und/oder Unterkiefer auf, werden sie oft auch als symmetrische, periphere Fibrome bezeichnet.
Abb. 6 Hereditäre Gingivawucherung.
Die klinischen Zeichen der Erkrankung können von Geburt an erscheinen, zeigen sich aber meist erst mit Durchbruch der Milch- bzw. bleibenden Zähne. Eine spontane Remission der fibrösen Verdickung tritt nicht auf. Falls es durch das überschüssige Gewebe zu Tascheninfektionen, funktionellen Störungen oder Behinderung im Zahndurchbruch kommt, muss die Wucherung operativ entfernt werden. Nach der chirurgischen Exzision kommt es allerdings häufig zu Rezidiven.
Literatur
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Peter Eickholz, Filip Klein, Katrin Nickles
Parodontitis als Symptom von Syndromerkrankungen | 6 |
Einleitung
Einige genetisch bedingte Syndromerkrankungen gehen mit früh beginnenden und sehr rasch verlaufenden Parodontitiden einher. Diese Erkrankungen werden in der Klassifikation von 2018 als systemische Erkrankung mit wesentlichem Einfluss auf parodontalen Attachmentverlust durch Einfluss auf parodontale Entzündung (z. B. Papillon-LefèvreSyndrom) oder als systemische Erkrankungen, die unabhängig von Parodontitis parodontalen Attachmentverlust verursachen können (z. B. Langerhans-Zell-Histiozytose), berücksichtigt1,2. In erster Linie gehören dazu angeborene Defekte des zellulären und/oder humoralen Immunsystems sowie andere Erkrankungen, die mit einer gestörten Leukozytenfunktion verbunden sind. Seltener sind frühzeitig beginnende Parodontitiden die Folge von Defekten des parodontalen Bindegewebes. Viele dieser Erkrankungen gehören zu den seltenen Erkrankungen („orphan diseases“) mit einer Prävalenz < 1:2.0003.
Syndrom
Ein