Parodontologie von A bis Z. Peter Eickholz
bekannt ist oder vermutet wird. Im weiteren Sinne ist es ein sich stets mit etwa dem gleichen Symptomenkomplex manifestierendes Krankheitsbild mit unbekannter, uneinheitlicher oder multifaktorieller Ätiologie bzw. Pathogenese.
Funktionsstörungen der neutrophilen Granulozyten
Leukozyten-Adhäsionsdefekt-Syndrome
Die verschiedenen Formen des Leukozyten-Adhäsionsdefekt-Syndroms (LAD) sind sehr seltene angeborene, autosomal-rezessiv vererbte primäre Immundefekte (Orpha-Kennnummer: ORPHA2968/ICD-10-Code: D72.0). Das vorherrschende klinische Kennzeichen sind wiederkehrende bakterielle Infektionen mit oft schwerem, lebensbedrohlichem Verlauf, die schwer zu therapieren sind. Es kommt zu früh beginnender und sehr rasch verlaufender Parodontitis, die mit dem Durchbruch der Milchzähne einsetzt, sämtliche Zähne der ersten und zweiten Dentition befällt und durch eine heftige Entzündungsreaktion der Gingiva mit brombeerartiger feuerroter Schwellung charakterisiert ist. Vorzeitiger Zahnverlust kann durch parodontale Therapie bisher nicht verhindert werden. Sie werden durch eine defekte Adhäsion der Leukozyten an aktivierte Endothelien hervorgerufen, die die Migration der Leukozyten in mikrobiell kontaminierte oder besiedelte Gewebe verhindert. Bei Infektionen kommt es zu einem dramatischen Anstieg der myeloischen Leukozyten im Blut, die aber nicht an ihren Einsatzort gelangen können.
Bei LAD-I liegt keine oder eine reduzierte Expression der β2-Integrin-Untereinheit vor (β2Integrine: αLβ2 [CD11a/CD18, LFA-1], αMβ2 [CD11b/CD18, MAC-I, CR3], αXβ2 [CD11c/CD18, p150/95], αDβ2 [CD11d/CD18]), was zu einem Defekt der engen Adhäsion der Leukozyten führt. Bisher wurden über 80 Mutationen gefunden. Es lassen sich schwere (< 2 % Expression) von moderaten (2–30 %) Formen unterscheiden. Patienten mit moderatem LAD-I können die Kindheit mit Antibiotika überleben. Es kommt zu einer verzögerten Ablösung der Nabelschnur und dramatisch verzögerter bzw. dysplastischer Heilung infizierter Wunden. β2-Integrine haben auch eine Aufgabe in der Interaktion von neutrophilen Granulozyten (PMNs) und Makrophagen. Die reduzierte Expression kann so die Beseitigung apoptotischer PMNs aus infizierten Wunden beeinträchtigen.
Bei LAD-II besteht ein Defekt in der Fucosylation von Oligosacchariden einschließlich SialylLewis X, das sich auf P-Selektin-Gykoprotein-1 befindet. Dieser Defekt führt zu einem gestörten „rolling“ der Leukozyten auf aktiviertem Endothel. Patienten mit LAD-II sind zumeist geistig retardiert, von kleiner Statur und weisen einen abnormalen Erythrozyten-Phänotyp (Bombay-Phänotyp) auf.
Patienten mit LAD-III zeigen ähnliche klinische Zeichen wie bei LAD-I mit einer defizienten engen Adhäsion der Leukozyten an aktivierte Endothelien. Im Unterschied zu LAD-I werden die β2-Integrine aber in (nahezu) normalen Mengen exprimiert. Es scheint eine Störung beim „inside-out signalling“ zu bestehen, das die Integrine von einem inaktiven Zustand niedriger Affinität in einen aktivierten Zustand überführt, der eine Bindung an Liganden erlaubt (Aktivierung). Darüber hinaus bestehen eine Blutungsneigung sowie eine Störung der Aktivierung von Integrin αIIbβ3, das wesentlich die Aggregation und Adhäsion der Thrombozyten vermittelt.
Prognose: Bei intensiver Antibiotikatherapie wird das Erwachsenenalter erreicht. Knochenmarkstransplantationen waren bei einigen Patienten erfolgreich4.
Papillon-Lefèvre-Syndrom
Das Papillon-Lefèvre-Syndrom (PLS; Keratosis palmoplantaris – Periodontopathie; ORPHA678/ICD-10: Q82.8) beschreibt seltene, autosomal-rezessiv erbliche Mutationen des Kathepsin-C-Gens, die zur Inaktivität dieser Cysteinprotease führen. Kathepsin C aktiviert die Serinproteasen (Elastase, Kathepsin G, Protease 3, Neutrophilen-Serinprotease 4) der neutrophilen Granulozyten. Damit ist die erste Linie der parodontalen Infektabwehr beeinträchtigt. Die charakteristischen Symptome sind palmoplantare Hyperkeratosen mit einer bereits im Milchgebiss einsetzenden und sehr rasch verlaufenden Parodontitis (Abb. 1a bis d). Allerdings sind auch atypische Verläufe bekannt, bei denen entweder nur Hautsymptome oder nur die im Milchgebiss einsetzende und rasch verlaufende Parodontitis auftreten6. Die Häufigkeit beträgt 1–4:1.000.000. Untersuchungen der neutrophilen Granulozyten haben in manchen Fällen gestörte Zellfunktionen wie eine verminderte Motilität, Chemotaxis und Phagozytose sowie eine verminderte Produktion von Sauerstoffradikalen gezeigt, die sich in manchen Fällen nach der therapeutischen Intervention normalisierten. In der subgingivalen Plaque werden zumeist vermehrt anaerobe gramnegative Keime und vor allem Aggregatibacter actinomycetemcomitans nachgewiesen.
Abb. 1a bis d Männlicher Patient mit Papillon-Lefèvre-Syndrom: a) klinische Ansicht im Alter von 7 Jahren und 9 Monaten (vor Therapie: ausgeprägte Mobilität der Unterkieferschneidezähne, Sondierungstiefen an ersten Molaren und Unterkieferschneidezähnen von 9 bis 15 mm); b) Panoramaschichtaufnahme; Hyperkeratosen an c) Hand- und d) Fußflächen (Abbildungen aus Kugel et al. 20015).
Die Symptomatik umfasst über die palmoplantaren Hyperkeratosen und die im Milchgebiss einsetzende und rasch verlaufende Parodontitis hinaus psoriasiforme Hyperkeratosen an Ellenbogen und Knien, Nageldystrophie, Mineralisationen der Dura mater und gehäufte bakterielle Infekte.
Die Therapie der Hautveränderungen erfolgt zum Teil mit oralen Retinoiden, aber auch urathaltigen Salben. Eine erfolgreiche Therapie der Parodontitis ist möglich. Der Erfolg scheint von verschiedenen Faktoren abzuhängen: möglichst frühzeitiger Beginn (ggf. schon im Milchgebiss), Elimination von A. actinomycetemcomitans und engmaschige professionelle Nachsorge (Abb. 1e und f)7.
Abb.1e und f e) Klinische Ansicht im Alter von 22 Jahren; 14 Jahre nach nichtchirurgischer antiinfektiöser Therapie mit unterstützender Gabe von Amoxicillin und Metronidazol und anschließender unterstützender Parodontitistherapie anfänglich alle 2, später alle 3 Monate; f) Panoramaschichtaufnahme zu Abb. 1e.
Haim-Munk-Syndrom
Das Haim-Munk-Syndrom (HMS; Keratosis palmoplantaris – Parodontopathie – Onychogryphosis, Keratosis palmoplantaris diffusa mit Periodontopathie, Palmoplantarhyperkeratose – Parodontopathie – Onychogryphosis; ORPHA2342/ICD-10: Q82.8) ist ein weiteres autosomal-rezessiv vererbbares Syndrom, das bisher in einer jüdischen Bevölkerungsgruppe in Indien und Israel beschrieben wurde. Mit palmoplantaren Hyperkeratosen und früh beginnender sowie sehr rasch verlaufender Parodontitis ist es dem Papillon-LefèvreSyndrom ähnlich. Es zeigen sich allele Mutationen des Kathepsin-C-Gens. Weitere Symptome sind Hypertrophie und Krümmung der Nägel (Onychogryphose), Plattfüße (pes planus), Arachnodaktylie und Osteolyse der distalen Phalangen der Finger sowie Zehen (Akroosteolyse). Die Unterscheidung zwischen Papillon-Lefèvre- und Haim-Munk-Syndrom ist schwierig und setzt die Berücksichtigung der skelettalen Symptome von HMS voraus8.
Chediak-Higashi-Syndrom
Das Chediak-Higashi-Syndrom (CHS; ORPHA167/ ICD-10: E70.3) ist eine sehr seltene, autosomalrezessiv