Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
über das Schanzkleid, um von dort behende ins Boot abzuentern, das von Carberry und Ferris Tucker sofort vom Rumpf der „Hornet“ abgestoßen wurde. Niemand sprach ein Wort, sie wußten alle, was ihnen bevorstand.
Hasard hörte das Klatschen der Riemen von Easton Terrys Boot, das in ihrer Nähe sein mußte, doch er sah es nicht. Eine Nebelbank hatte die „Fidelity“ wieder verschluckt.
Mit Zeichen gab Hasard die Richtung an. Seine ganzen Sinne waren auf die lauter werdende Brandung gerichtet. Mit einemmal riß der Nebel auf, und in mehreren hundert Yards Entfernung sah er im grauen Licht des frühen Morgens die ungeheuren Gischtkronen der sich an der felsigen Küste brechenden Wellen.
Er biß die Zähne aufeinander und schaute sich nach Terrys Boot um. Aber zur See hin konnte er nicht einmal die Hand vor Augen erkennen.
Er dachte einen kurzen Augenblick an ihr Gefecht mit den Franzosen. Eine Menge Freibeuter hatten nach dem Untergang ihrer Schiffe im Sturm sicher ihr Leben lassen müssen. Eins ihrer Boote, das sie noch zu Wasser hatten bringen können, war gekentert, aber bestimmt hatten sich viele Männer schwimmend an die Küste retten können.
Ein Schatten tauchte an Steuerbord auf. Instinktiv griff der Seewolf nach seiner Pistole, die er im Gürtel stecken hatte, aber dann erkannte er das Boot Easton Terrys. Der Korsar stand breitbeinig im Heck des Bootes, und sein übliches geringschätziges Lächeln, das seine kalten grauen Augen allerdings nicht erreichte, verzog sein kantiges Gesicht.
Der Seewolf wandte den Kopf. Er mußte sich auf die Brandung konzentrieren, deren dumpfes Brüllen jetzt alle anderen Geräusche übertönte.
An den sich bewegenden Lippen seines Profos’ sah Hasard, daß dieser fluchte, und er wußte, wem seine Flüche galten. Mit einem heftigen Handzeichen gab Hasard ihm zu verstehen, daß er sich gefälligst auf seinen Riemen konzentrieren solle.
Das Boot begann zu stampfen; als es in die ersten von Gischtkronen bedeckten Brandungswellen geriet. Noch war die Gefahr nicht groß, der härtere Teil erwartete sie dicht unter der Küste, wo sich die Wellen an den Unterwasserklippen brachen und gefährliche Strudel auslösten, die ein Boot in Sekundenschnelle zu Kleinholz verarbeiten konnten.
Ein Schrei übertönte das Dröhnen der Brecher. Der Seewolf sah, wie sich das Boot Terrys für einen Moment aus den Wellen hob, auf einem Gischtkamm tanzte und sich dann drehte, als hätte jemand daran gezerrt. Auch die anderen Männer in Hasards Boot hatten auf den Schrei hin die Köpfe herumgerissen. Auf Carberrys narbigem Gesicht zeichnete sich eine höllische Schadenfreude ab, aber die verschwand schnell, als er sah, daß es Terry und seinen Bootsgasten gelang, ihr Beiboot wieder unter Kontrolle zu bringen.
Easton Terry war von der Woge bis dicht unter die Küste getragen worden, und Hasard erkannte, daß er die Brandung mit viel Glück gemeistert hatte. Er brüllte auf, als er den riesigen Brecher sah, der ihm den Blick zur Küste verdeckte. Er schrie seine Männer an, die sich in die Riemen legten, was das Zeug hielt.
Die Bugspitze des Beibootes tauchte in den gischtenden Brecher, ein ungeheurer Schwall Wasser brach über das Boot herein und fegte Stenmark und Finnegan von ihren Duchten. Ihre Riemen wurden durch die Luft gewirbelt. Finnegan, der sich krampfhaft an seinem Riemen festhielt, kriegte den Griff vors Gesicht geknallt und ließ brüllend los. Mitsamt der Dolle segelte der Riemen davon, als ob er Flügel hätte.
Stenmarks Riemen war gesplittert. Er zerrte das Stück, das er noch in den verkrampften Händen hielt, aus der Dolle und schleuderte das Ding weit von sich.
Sie hatten den Brecher überstanden und tauchten zischend in das nächste Wellental. Ein häßliches Knirschen erschütterte das Boot und brachte den Bug aus der Richtung.
„Ein Riff!“ brüllte Carberry.
„Wollt ihr wohl pullen, ihr Hundesöhne!“ schrie Hasard, der wußte, daß sie verloren waren, wenn der nächste Brecher sie in voller Breitseite erwischte.
Sie schafften es nicht mehr ganz. Der Bug des Bootes war noch nicht wieder auf die Küste gerichtet, als der nächste Brecher es anhob und in eine Drehbewegung versetzte, daß den Seewölfen Hören und Sehen verging.
Hasard war zu Boden gegangen. In seinen Ohren war ein Brausen und Dröhnen, wie er es noch nie erlebt hatte. Das Boot sackte wieder weg, und er fühlte sich plötzlich leicht und angehoben. Dann ein Ruck, ein Knirschen, als zerrten Gewalten an dem Boot, um es auseinanderzubrechen.
Hasard knallte mit dem Kopf gegen die achtere Ducht. Er hatte plötzlich Carberrys verzerrtes Gesicht vor sich und spürte, wie sich dessen mächtige Faust in seinem Rock verkrallte.
Er wischte die Faust beiseite und schrie: „Haltet die Riemen fest, Männer, wir haben es gleich geschafft!“
Er glaubte selbst nicht daran, aber wenn sie sich in diesem Wirbel der Gewalten aufgaben, waren sie wirklich verloren.
Plötzlich war es wieder hell um sie.
Hasard sah Felsen vor sich auftauchen, als seien sie aus dem Wasser gewachsen. Er riß die Pinne, die er wieder gepackt hatte, herum, brüllte einen scharfen Befehl, und die Rudergasten an Steuerbord schwenkten blitzschnell ihre Riemen vor. Ein scharrendes Geräusch, dann waren sie an dem Felsen vorbei.
Der Seewolf dachte in diesem Augenblick, daß sie es geschafft hatten, doch dann war erst die richtige kochende Hölle um sie herum.
Das Beiboot wurde angehoben, herumgeschleudert und kenterte fast. Wasser war über, unter, neben den Männern. Sie konnten sich nur noch festklammern. Ruderschläge waren in diesem Inferno nutzlos.
Ein weiterer Strudel hatte sie gepackt. Er stieß das fast gekenterte Boot wieder hoch, und Hasard und die anderen konnten für Sekunden wieder Luft schnappen.
Plötzlich ließ sich das Boot wieder steuern. Die Riemen tauchten in ruhigeres Wasser. Das Brüllen der Brecher schien mit einemmal hinter ihnen verschwunden zu sein.
Eine dichte Nebelbank hüllte sie ein. Sie hörten gedämpftes Rufen. Für einen Moment hatte der Seewolf die Orientierung verloren. Er lauschte dem Orgeln des Windes und den Geräuschen, die die gegen die Felsen donnernden Wellen verursachten. Sie mußten in einer kleinen Bucht gelandet sein, deren vorspringende Felsnase die Wucht des Windes und der Wellen brach.
Die Nebelbank kroch an den Felsen hinauf und schob sich darüber hinweg wie eine gleitende, zusammenhängende Masse.
Der Strand lag plötzlich vor ihnen. Sie sahen das Boot Easton Terrys am schmalen Sandstreifen. Seine Männer hatten offensichtlich weniger Schwierigkeiten gehabt, die Bucht zu erreichen.
Carberry, der den Kopf gewandt hatte und ebenfalls zum Strand hinüberblickte, lief rot an, als er das abfällige Lächeln um Terrys Mundwinkel sah. Er ballte die Hände, und der Seewolf hörte, wie er leise vor sich hinmurmelte: „Ich dreh dem Bastard noch mal den Hals um!“
Easton Terry wartete, bis Hasard und seine Männer den Strand erreichten, aus dem Boot sprangen und es auf den Sand zogen. Er traf keine Anstalten, Hasard entgegenzugehen und ihn zu begrüßen.
Der Seewolf blickte seine Männer an. Niemand von ihnen schien eine ernsthafte Verletzung davongetragen zu haben. Nur Finnegans Lippe blutete ein wenig, und seine Nase begann sich ins Bläuliche zu verfärben.
Außer den beiden Riemen war auch am Beiboot noch alles heil. Ohne sich zu bücken, warf Hasard einen kurzen Blick auf die Steuerbordseite, wo der Rumpf an dem Felsen vorbeigeschrammt war. Aber er konnte kein Leck entdecken. Er nickte Carberry zu, der mit den anderen Bootsgasten das Boot aufklarte und das restliche Wasser ausschöpfte, dann ging er zu Terry hinüber.
„Freut mich, daß Sie es geschafft haben, die paar Wellen abzureiten, Mister Killigrew“, sagte Terry.
Du verdammter Angeber! dachte der Seewolf, aber laut erwiderte er: „Wir lieben es nun mal nicht, die einfachsten Wege zu gehen.“
Easton Terry zog die Brauen hoch. Das abfällige Lächeln war für einen Moment aus seinem kantigen Gesicht verschwunden. Hasard merkte, daß Terry sich auf den Arm genommen fühlte. Doch der Ausdruck in seinen grauen Augen änderte sich