Die Siegel von Tench'alin. Klaus D. Biedermann

Die Siegel von Tench'alin - Klaus D. Biedermann


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Perchafta wieder das Wort ergriffen hatte.

      »Ihr Schulschiff, die Brigg, die ihr hier seht, haben sie in nur drei Monaten gebaut, ihre besten Schiffsbauer hatten sich mächtig ins Zeug gelegt. Sie mussten zunächst das Holz weit unten im Tal schlagen und dann die ganze Strecke bis hier nach oben transportieren. Eine gewaltige Kraftanstrengung, selbst für Emurks. Und was ihr hier seht«, der Krull hatte auf das Gebäude gedeutet, »war ihre Schule für Nautik. Allerdings hat niemand – weder die Lehrer noch die Schüler – je das Meer gesehen, na ja, außer Vonzel vielleicht, als er bei dir in deiner Welt war, Nikita.

      Der Kapitän, der das Volk hergeführt hatte, ist bald nach der Ankunft gestorben. Sein Grab befindet sich etwas weiter oberhalb den Berg hinauf, damit sein Geist immer das Schiff sehen kann. Mit der Zeit sind dann auch alle anderen gestorben, die mit ihm zusammen an der Küste Flaalands gelandet waren. Sie hatten unterwegs hohe Verluste gehabt, aber das ist eine andere Geschichte. Ich wünsche ihnen jedenfalls, dass sie genügend über die Seefahrt gelernt haben und wohlbehalten ihre alte Heimat erreichen. Das Meer ist ja doch noch mal etwas anderes als die Trockenübungen hier oben. Wir werden sie jedenfalls nach besten Kräften unterstützen und gegebenenfalls unsere Beziehungen spielen lassen«, hatte der Krull seine Ausführungen mit einem Augenzwinkern beendet.

      Dies war ihr letzter Tag in Angkar-Wat gewesen. Früh am nächsten Morgen hatten sie ihre Heimreise angetreten. Allerdings hatten da beide noch nicht gewusst, dass sie sich nicht an den Zugang zu diesem Tal würden erinnern können. Perchafta war auf Nummer sicher gegangen.

      Nikita schaute Effel zu, wie er sich anzog, und fuhr fort: »Fisher wird sagen, dass nichts ewig ist. Ich sehe ihn geradezu vor mir mit ... wie komisch ... einem süffisanten Lächeln. In der Regel ist er freundlich, ja verbindlich. Er lebt für die Firma. Von seinem Privatleben ist nichts bekannt, weder ob er verheiratet ist, noch ob er Kinder hat. Manche Kollegen behaupten sogar, er wohnt auch dort unten in seinem unterirdischen Reich. Eigene Interessen und die der Firma scheinen dasselbe zu sein. Jedenfalls schert er sich in diesem Fall nicht um irgendwelche Verträge, da bin ich mir sicher. Mal Fisher ist der geheimnisvollste Mann des gesamten Konzerns, manchmal ist er mir ein wenig unheimlich. Er scheint seine Augen und Ohren überall zu haben, jedenfalls ist er immer bestens informiert. Kannst du dir vorstellen, dass sein Büro zweihundert Fuß tief unter der Erde liegt?«

      Was Nikita nicht wissen konnte, war, dass sie genau in diesem Moment und an dem von ihr beschriebenen Ort, Mittelpunkt eines Gesprächs von Mal Fisher war.

      »Das fällt mir schwer ... so wie vieles, was du von ... der Neuen Welt erzählst liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft.« Beinahe wäre ihm ›von deiner Welt‹ herausgerutscht. Er wollte das aber vermeiden, denn sein tiefer Wunsch war es, dass sie bei ihm bliebe und irgendwann seine Welt als die ihre empfinden würde.

      »Warum jemand sein Büro oder seine Wohnung unter der Erde haben sollte, ist mir wirklich ein Rätsel. Ist es wirklich so schlimm da drüben?«, meinte Effel mit einer kurzen Kopfbewegung in Richtung Westen. »Du hast mir neulich noch erzählt, wie du in den Ferien mit deinem Vater am See auf die Jagd gegangen bist ... und auch alles andere, was du von der Neuen Welt erzählst, hört sich nicht so an, als wenn es nur grässlich wäre.« Wenn man mal von dem ganzen Roboterzeug und euren Hochhäusern absieht ... von diesem Chip einmal ganz zu schweigen, fügte er im Stillen hinzu. Effel hatte sich inzwischen auf die Bettkante gesetzt und kraulte Sam, der jetzt mit dem Kopf auf seinem Schoß neben ihm saß, den Nacken.

      »Ja, bei uns ist es schön«, sie sagte ›uns‹, »und es gibt auch noch Gegenden, die diese Bezeichnung sogar im Vergleich zu dem, was ich hier bis jetzt gesehen habe, verdienen. Sonst ist es wirklich völlig anders ... aber grässlich ist es sicher nicht. Man kann es überhaupt nicht vergleichen. Man sollte nie etwas vergleichen, meinst du nicht auch? Wenn man vergleicht, ist man nicht bei dem, was gerade ist. Nein ...«, sie wurde von Effels Lachen unterbrochen.

      »Warum lachst du? Was ist daran so lustig?«

      »Weil dein Satz über das Vergleichen von Mindevol stammen könnte, fast genauso hat er ihn zu mir auch gesagt ... und nicht nur einmal. ›Wer vergleicht kann nur verlieren‹, meint er.«

      »Ein kluger Mann, dieser Mindevol«, schmunzelte Nikita und fuhr fort: »Aus Angst haben sie wichtige Gebäudeteile in die Tiefe der Erde verlegt, Effel, fast alle Firmen. Sie haben Angst, es könnten wieder Flugzeuge in ihre Hochhäuser stürzen, wie schon einmal, vor langer Zeit. Diese Angst ist wohl immer noch in ihren Köpfen, obwohl solch ein Anschlag heute nicht mehr möglich wäre.«

      »Aber wenn sie glauben, unter der Erde wären sie sicher, haben sie sich gewaltig getäuscht. Es soll Wesen geben, die durch nichts und niemanden aufzuhalten sind, Nikita, und ich wünsche uns nicht, solche Geschöpfe zum Feind zu haben. Frag´ Mindevol oder Perchafta, die können dir sicher Genaueres sagen.«

      »Ich glaube, das will ich gar nicht wissen. Außerdem habe ich schon zwei kennengelernt, nämlich Perchafta und auf meiner Herfahrt Andaro. – Warum, meinst du, hat Perchafta so ... so seltsam reagiert, als ich ihn nach den Siegeln fragte? Ich hab´ mir schon den Kopf zerbrochen, was ich mit meiner Frage da wohl losgetreten haben könnte. Er war ja fast ... erstarrt.«

      »Ja, so habe ich ihn noch nicht erlebt, da hast du an etwas gerührt ... mmh, wie soll ich sagen ... na ich weiß nicht, jedenfalls ist dieses Myon-Projekt wohl ein kleiner Fisch dagegen. Er hat mir gegenüber auch nur Andeutungen gemacht. Die Siegel sind wohl auch nicht das, um was es wirklich geht, sondern es geht vielmehr um das, was die Siegel verschließen ... oder in diesem Fall ›bewachen‹. Das ist das eigentliche Geheimnis. Dazu hat Perchafta sich nie näher geäußert, außer dass es sich bei den Siegeln um etwas sehr Mächtiges handelt, an dem man angeblich nicht vorbeikommt und was dich das Leben kostet. Wie bist du überhaupt auf die Frage gekommen?«

      »Ich weiß es nicht, sie tauchte ganz plötzlich auf, wie aus ... den Tiefen irgendeiner Erinnerung. Komm, lass uns über etwas anderes reden – oder besser noch irgendwas unternehmen ... vielleicht fällt mir dann noch etwas dazu ein. Zeig´ mir mehr von deiner Heimat, Effel, ich will alles sehen. Mit jedem Stück lerne ich auch dich besser kennen. Sind wir heute Abend nicht bei deinen Eltern eingeladen? Ich bin gespannt, was es zu Essen gibt ... mein Gott, ich bin total verfressen, seit ich hier bin«, kicherte sie. Nikita sprang dann, so wie Gott sie erschaffen hatte, unternehmungslustig aus dem Bett und lief in das nebenan liegende Badezimmer. Während sie dort die Dusche aufdrehte, rief sie durch das Rauschen des Wassers: »Das alles hier müssten meine Eltern sehen, die würden staunen ... ich glaube, es würde ihnen gefallen. In jedem Fall werde ich mich gleich nach dem Duschen mit dem Professor in Verbindung setzen und ihn bitten, mit meinem Vater Kontakt aufzunehmen, damit sie wissen, dass es mir gut geht.«

      »Dann werde ich mich inzwischen um unser Frühstück kümmern«, rief Effel, »oder soll ich unter die Dusche kommen?«

      »Wenn du dich traust«, lachte sie.

      »Nikita wie geht es Ihnen?«, rief ein aufgeregter Professor Rhin einige Zeit später. »Ist alles in Ordnung dort drüben? Sie haben sich lange nicht gemeldet. Warum tragen Sie die Brille nicht ständig? Ich hatte Sie darum ... gebeten ... es ist für unsere Operation wichtig. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«

      Nikita hatte sich mit ihrer MFB auf die Fensterbank im Schlafzimmer gesetzt und dann hatte es nicht lange gedauert, bis die Verbindung aufgebaut war und sie ihren Chef hören konnte. Dass er statt ›gebeten‹ eigentlich ›befohlen‹ hatte sagen wollen, war ihr nicht entgangen und sie stellte fest, dass sie sich vor gar nicht langer Zeit noch darüber geärgert hätte. Heute reagierte sie darauf mit einem Lächeln.

      »Ja, Herr Professor, bei mir ist alles in Ordnung, es ist so viel passiert, das werde ich Ihnen alles berichten, wenn ich zurück bin ... Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« Alles erzähle ich sicher nicht, dachte sie noch.

      »Na, Sie haben Nerven, Nikita. Haben Sie sich zurechtgefunden? Hatten Sie ... ›Kontakt‹? Hatten Sie Schwierigkeiten? Brauchen Sie etwas?« Dann machte er eine kleine Pause. »Wo sind Sie da, Nikita, ist das ein ... Hotelzimmer?« Sein Erstaunen war dem Professor anzuhören.

      »Nein, das ist kein Hotelzimmer, Herr Professor, aber das erzähle


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