Die Siegel von Tench'alin. Klaus D. Biedermann

Die Siegel von Tench'alin - Klaus D. Biedermann


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fuhr sie fort, dann: »Herr Professor, stellen Sie sich vor, ich habe gefunden, wonach ich suchen sollte ... aber so leicht ist das nicht gewesen und es ist auch immer noch nicht einfach. Ich weiß allerdings nicht, ob ich mit den Plänen zurückkommen kann. Aber eines kann ich Ihnen versprechen ... Sie werden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn ich Ihnen alles erzählt habe.«

      »Was soll das heißen, Nikita? Werden Sie bitte etwas deutlicher ... oder können Sie gerade nicht sprechen?«

      »Nein, ich glaube, ich komme hier alleine besser klar. Hilfe von außen würde alles unnötig verkomplizieren. Ich kann die Brille auch nicht ständig tragen, ich muss wirklich vorsichtig sein, Herr Professor. Ich erkläre es Ihnen, wenn wir uns wiedersehen ... und ich kann sprechen, denn ich bin alleine, wie Sie sehen können.« Nikita drehte ihren Kopf nach allen Seiten.

      »Bitte, Nikita, spannen Sie mich nicht auf die Folter! Was soll das heißen, dass Sie nicht wissen, ob Sie mit den Plänen zurückkommen können?«

      Nikita konnte sich gut vorstellen, wie der Professor am Schreibtisch saß und vor Ungeduld auf seinem Sessel hin- und herrutschte oder wie ein Zirkuslöwe in einem viel zu engen Käfig, der spürte, dass er gleich in die Manege musste, herumlief. Was sie nicht wissen konnte war, dass ihr Chef nicht alleine war und dieses Gespräch auch nicht von seinem eigenen Büro heraus führte.

      »Haben Sie nun die Pläne oder nicht, Nikita?«

      »Nein, es wurde mir verwehrt, sie von dem Ort, an dem ich sie gefunden habe, mitzunehmen ... bisher jedenfalls.«

      »Verwehrt? Was soll das jetzt wieder heißen? Ich denke, Sie haben sie gefunden? Wer hat es Ihnen verwehrt?«

      Nikita verdrehte die Augen und atmete tief durch. Wie sollte sie ihrem Chef erklären, dass ein Wesen, das zuweilen nicht viel größer war als seine Kaffeetasse, im Stande war zu verhindern, dass sie einfach mit den Plänen im Gepäck aus diesem Land herausspazieren konnte.

      »Nun, Herr Professor, wie soll ich sagen, dass es hier anders ist als bei uns, das war uns ja klar, aber doch wissen wir nicht alles ... längst nicht alles. Ich melde mich wieder, wenn ich Ihnen sagen kann, wie es weitergeht. Es kann nicht mehr lange dauern, so viel steht fest.«

      »Nikita, Sie sprechen in Rätseln, das ist mir alles zu hoch.«

      Professor Rhin klang irgendwie merkwürdig förmlich, fand Nikita, fast beleidigt, nicht so verbindlich wie sonst. Eine Alarmglocke tief in ihrem Inneren meldete sich, verstummte aber augenblicklich, als sie ihren Blick nach draußen richtete und das Dorf unter inzwischen blauem Himmel so friedlich dort unten liegen sah. Dort war das morgendliche Leben jetzt in vollem Gang. Vielleicht tut dieser Blick ihm auch gut. Dann schenkte sie ihrem Chef wieder ihre Aufmerksamkeit.

      »Herr Professor, ist irgendwas? Geht es Ihnen nicht gut? Wir sollten doch froh sein, so weit gekommen zu sein. Es gibt die Pläne! Ich habe das Gefühl, dass wir sie bekommen können, wenn das auch vielleicht mit ... Auflagen verbunden sein wird.«

      »Auflagen? Bedingungen? Nikita wer sollte uns Auflagen machen?«

      »Genau das werde ich Ihnen später erklären, Herr Professor. Ich habe noch eine Bitte, können Sie meinen Vater kontaktieren und ihm sagen, dass es mir gut geht?«

      »Ja, Nikita, ja, das mache ich«, kam die etwas zögerliche Antwort vom Professor.

      »Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Professor«, antwortete Nikita, der das Zögern in der Stimme ihres Chefs nicht entgangen war. »Ich muss jetzt Schluss machen, ich melde mich bald wieder.«

      Nikita setzte die MFB ab und verstaute sie wieder sorgfältig in ihrem kleinen Rucksack. Dann ging sie, nachdem sie einen kurzen Blick in die Küche geworfen hatte, hinaus in den Garten, wo Effel bereits den Tisch gedeckt hatte.

      »Es ist ein so schöner Morgen, da dachte ich mir, wir nutzen das aus und frühstücken in der Sonne, mein Schatz ... schau mal diese wundervollen Farben des Waldes.« Er wies mit seinem Kopf in die Richtung.

      »Das ist eine gute Idee«, sagte Nikita, »den Wald habe ich mir schon eben vom Schlafzimmerfenster aus angeschaut«, und ihn auch meinem Chef gezeigt, »er ist einfach herrlich ... so viele Farben«, und nach einer kurzen Pause, in der Effel ihr Tee einschenkte, fügte sie hinzu: »Er war irgendwie komisch, der Professor.«

      »Was meinst du mit komisch?«

      »Ich weiß nicht, er war ... reserviert, fast distanziert ... ja, so kann man es nennen. So als wenn er sich nicht hätte freuen dürfen, von mir zu hören. Ach egal, vielleicht hat er auch gedacht, ich serviere ihm die Pläne auf einem Silbertablett, und war einfach nur enttäuscht. Komm, lass uns mit dem Frühstück beginnen, ich habe einen Mordshunger.«

      »Hey, dann müssen wir uns ja in Acht nehmen, was meinst du Sam?«, sagte Effel zu seinem Hund, der schon wieder bettelnd neben ihm saß, obwohl er sein Frühstück bereits hatte.

      »Keine Angst ihr beiden«, lachte Nikita, »ich nehme erst einmal von dem frischen Brot hier.«

      * * *

      Kapitel 2

      Senator Paul Ferrer, Nikitas Vater, hatte schon seit einigen Tagen versucht, Dr. Will Manders telefonisch zu erreichen – bisher allerdings ergebnislos. Er wollte ihm mitteilen, dass er inzwischen wusste, wo sich Nikita unglaublicherweise aufhielt, und dem jungen Mann dadurch weitere Nachforschungen ersparen, die er für sehr gefährlich hielt. Er hatte stets über eine abhörsichere Leitung – als solche war sie deklariert – aus seinem Senatsbüro telefoniert. Falls doch irgendjemand Fragen stellen sollte, wollte er erklären, dass es um beantragte Forschungsgelder gehe. In seiner väterlichen Sorge hatte er allerdings übersehen, dass einem zufälligen Zeugen auf der anderen Seite solch ein Gespräch wohl sehr merkwürdig vorgekommen wäre. Nicht Will Manders, sondern Professor Rhin, wahrscheinlich sogar Mal Fisher selbst wären für Gesprächsinhalte dieser Art die formell richtigen Ansprechpartner gewesen.

      Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihm mehr zugesetzt, als er es sich eingestehen wollte. Am wenigsten seiner Frau gegenüber, obwohl er genau wusste, dass gerade Eva der Mensch war, dem er nichts vormachen konnte. Wenn er abends nach Hause kam, genügte ihr ein Blick und sie schien dann genau zu wissen, was mit ihm los war. Nicht nur, dass sie seine Gemütsverfassung sofort erkannte – das konnte man nach mehr als fünfundzwanzig Ehejahren sicherlich erwarten –, sondern wie eine äußerst treffsichere Hellseherin nannte sie auch das Kind beim Namen.

      Er hatte längst aufgegeben herauszufinden, wie sie das anstellte. Ihre einzige Tochter Nikita hatte das, was Frau Ferrer ›weibliche Intuition‹ nannte, ganz offensichtlich von ihrer Mutter geerbt und so war Paul Ferrer zu Hause ein offenes Buch. Da der Senator kein Mann war, der Geheimnisse vor seiner Frau hatte – außer denen, die ihm sein Amt auferlegten, und da konnte er stoisch sein wie eine Sphinx –, machte es ihm nichts aus, dass Eva die Gründe seiner Launen kannte.

      Als er in seinem Büro die Ungewissheit nicht mehr aushalten konnte, fuhr er mit dem Wagen zu dem Haus des jungen Wissenschaftlers, der in seinen jungen Jahren schon akademische Preise gewonnen hatte. Er wohnte in der Vilmerstreet, einem der vornehmeren Stadtteile Bushtowns, der größtenteils von leitenden Angestellten und hohen Beamten bewohnt war. Vance, sein Bodyguard, war gerade in der Mittagspause, und so brauchte er sich keine Ausrede auszudenken, warum er alleine fuhr. Eigentlich waren seit Kurzem alle Senatoren aus Sicherheitsgründen dazu angehalten, nie ohne bewaffnete Begleitung zu fahren, egal wie kurz die Strecke auch sein mochte. Man hatte ihnen allerdings nicht die Gründe für diese Maßnahme mitgeteilt. Senator Ferrer hatte seinen Freund, den Innensenator Hennings, bei einem Arbeitsessen eher beiläufig danach gefragt und von diesem die Antwort bekommen: »Eine Sicherheitsübung, mehr nicht.«

      Paul Ferrer konnte sich mit dieser lapidaren Antwort allerdings nicht abfinden.

      Jetzt stehle ich mich schon vor meinem Aufpasser davon, das darf ich wirklich niemandem erzählen, dachte er, als er in seiner Rolls Royce-Replik saß. Auf der Fahrt beschlichen ihn wieder böse Ahnungen, die ihm fast schon zur lästigen Gewohnheit geworden waren,


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