Mindful Parenting. Susan Bögels

Mindful Parenting - Susan Bögels


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Kind sicher und gut versorgt sein wird und wie wir bei Bedarf weitere Unterstützung mobilisieren können. Folglich überrascht es nicht, dass sowohl materielle als auch emotionale Unterstützung mit positivem mütterlichem Verhalten in Zusammenhang gebracht wurden (Konner 2010). Das Maß an wahrgenommener sozialer Unterstützung hat sich auch im Hinblick auf die Qualität der Mutter-Kind-Bindung als Einflussfaktor erwiesen, und zwar sowohl in Studien über westliche als auch in Untersuchungen nichtwestlicher Kulturen (Belsky 1999). In Anbetracht unserer Empfänglichkeit für Unterstützungssignale erscheint es logisch, dass wir, was die Bürde unserer Erziehungsaufgaben und unser mütterliches Engagement betrifft, Stress, Angstgefühle und vielleicht Ambivalenz entwickeln, wenn wir spüren, dass wir nicht genügend unterstützt werden. Möglicherweise vermitteln wir diese Gefühle auch unserem Kind, worunter wiederum unsere Bindungsbeziehung und andere Aspekte unseres Elternseins leiden können.

       2.2.2.7 Wie kann Achtsamkeit helfen?

      In unseren Mindful-Parenting-Gruppen ist soziale Unterstützung bei der Erziehung ein wichtiges Thema. Viele Mütter glauben, dass sie in der Lage sein sollten, mit den Anforderungen der Elternrolle fertigzuwerden, gleichgültig, wie viel Hilfe sie dabei bekommen und wie hoch ihre Belastung durch andere Aufgaben ist. So war Linda, die Mutter eines Säuglings und zwei weiterer Kleinkinder, enttäuscht von sich, weil sie es nicht schaffte, das Zusammensein mit ihren Kindern mehr zu genießen, und weil es sie so erschöpfte, für sie zu sorgen. Sie hatte ihre anspruchsvolle Berufstätigkeit wieder aufgenommen und glaubte, auch die damit verbundenen Anforderungen problemlos bewältigen zu müssen. Es fiel ihr schwer zu akzeptieren, dass das Muttersein manchmal sehr anstrengend war. Stattdessen sagte sie sich: „Es ist doch gar nicht so schlimm, ich werde schon damit fertig.“ Und doch war sie emotional erschöpft und unzufrieden mit sich. Diese Art der inneren Spaltung – einerseits zu denken: „Ich werde schon damit fertig“, aber sich andererseits überfordert, traurig, deprimiert oder schuldig zu fühlen – kommt in unseren Gruppen oft zur Sprache. Auf der Verstandesebene haben die betroffenen Mütter die Botschaft verinnerlicht, dass sie in der Lage sein sollten, sämtliche Anforderungen – der Kindeserziehung wie der Karriere – klaglos zu bewältigen. Doch ihr Körper und ihre Gefühle erzählen eine andere Geschichte und das hängt mit ihrem Gespür für die Notwendigkeit emotionaler und praktischer Unterstützung zusammen. Unserer Ansicht nach ist es kein Zeichen für eine Störung, wenn wir uns gestresst, müde, ängstlich, deprimiert oder ambivalent fühlen, sondern eher ein Zeichen dafür, dass wir mehr Aufmerksamkeit für unsere Situation und unsere Bedürfnisse entwickeln sollten. Deshalb ermutigen wir Eltern, sich nicht die Frage zu stellen „Was stimmt nicht mit mir?“ oder „Warum schaffe ich das nicht?“, sondern sich vielmehr zu fragen: „Was brauche ich jetzt, in diesem Moment? Welche Form der Unterstützung würde mir helfen?“

       2.2.2.8 Was bedeutet das Prinzip der geteilten Fürsorge für eine moderne westliche Gesellschaft?

      Welche Relevanz hat die in unserer evolutionären Geschichte verankerte kooperative Aufzucht für den Alltag heutiger Eltern, die meist getrennt von anderen Familienmitgliedern leben und nur begrenzte Möglichkeiten haben, die Last der Erziehung mit anderen zu teilen? Evolutionsgeschichtlich betrachtet haben Mütter immer nach Unterstützung bei der Aufzucht ihrer Kinder gesucht, doch heute ist es schwieriger geworden, solche Helfer zu finden. Unser westlicher Lebensstil hat dazu geführt, dass die Kindeserziehung viel stärker auf den Schultern der Eltern lastet. Selbstverständliche Entlastung bei der Kinderbetreuung durch Familienangehörige oder Wahlverwandte ist selten (obwohl es mich beeindruckt, wie viele meiner Freundinnen versuchen, in die Nähe ihrer Mütter zu ziehen, sobald sie Kinder haben). Doch für die meisten von uns, die ihre Kinder in einem westlichen Land und weit entfernt von der eigenen Familie aufziehen, hat bezahlte und/oder institutionalisierte Hilfe – Babysitter, Tagesmütter, Kindertagesstätten, Schulen und Horte – die Unterstützung durch Verwandte ersetzt. Eine der damit verbundenen praktischen Fragen ist, wie sich die Verfügbarkeit und Qualität der Kinderbetreuung gewährleisten lässt, die eher in der Verantwortung von Politikern und kommunalen Behörden liegt. In der Geschichte unserer Evolution haben Mütter versucht, die bestmögliche Pflege und Betreuung für ihre Kinder sicherzustellen, indem sie Väter und andere vertrauenswürdige nahe Verwandte wie Großmütter, Tanten und ältere Geschwister dafür gewannen. Sie konnten außerdem darauf zählen, dass diese Familienmitglieder motiviert waren, in die Fürsorge für ihre Kinder zu investieren. Heute haben Eltern oft wenig Wahlmöglichkeiten und Kontrolle darüber, wer ihre Kinder umsorgt. Obwohl z. B. ein Zusammenhang zwischen der Sensitivität der betreuenden Personen und der Bindungsfähigkeit der Kinder festgestellt wurde (s. z. B. NICHD Early Child Care Research Network 2003) , haben viele Eltern – insbesondere Eltern mit geringem Einkommen – keinen Zugang zu guter Kinderbetreuung. Hinzu kommt, dass nichtverwandte Personen vermutlich nicht im gleichen Maße motiviert sind, in ein Kind zu investieren, wie nahe Verwandte. Mütter erzählen häufig, dass sie sich in Bezug auf die Betreuungslösung, die sie für ihre Kinder gewählt haben, Sorgen machen oder Schuldgefühle haben, doch das ist keineswegs ein neues Problem! Schon immer waren wir auf zuverlässige Helfer angewiesen, um unsere Kinder aufzuziehen.

      Ein interessantes Phänomen ist die Entwicklung verwandtschaftsähnlicher Beziehungen. Wenn Eltern keine biologischen Verwandten in der Nähe haben, versuchen sie häufig, ein Netz verwandtschaftsähnlicher Beziehungen zu knüpfen, die vielfach dieselben Funktionen erfüllen, wie soziale Unterstützung und geteilte Fürsorge (Bailey & Wood 1998). Davon zu lesen faszinierte mich, denn auch ich hatte mir, ohne mir dessen bewusst zu sein, mein eigenes Ersatzfamilien-Unterstützungssystem geschaffen, als meine Kinder klein waren und wir weit entfernt von nahen Angehörigen in New York City lebten. Brooklyn war (und ist bis heute) ein Paradies für junge Eltern. Die Wohnungen sind winzig und frischgebackene Eltern halten sich gerne draußen auf, um ihren engen Wohnzimmern zu entkommen und auf einem der Spielplätze andere Eltern zu treffen. Was uns an Wohnraum fehlte – wir lebten auf rund 80 Quadratmetern im dritten Stock ohne Fahrstuhl und Garten – wurde mehr als wettgemacht durch diese Gemeinschaft, die direkt vor der Haustür auf uns wartete. Überall sah man Gruppen junger Mütter, die sich auf Parkbänken und in Starbucks-Cafés versammelten, ihre kleinen Kinder im Schlepptau oder im Tragesitz. Schon bald hatte ich eine Schar neuer Freundinnen, allesamt frischgebackene Mütter, deren Kinder nur ein paar Wochen vor oder nach meinem eigenen geboren waren. Diese Mütter unterstützten einander sowohl emotional – durch ein aufmunterndes Schulterklopfen, wenn man sich erschöpft, inkompetent, ängstlich oder unsicher fühlte – als auch praktisch, indem sie einem das Baby für ein paar Minuten abnahmen, damit man zur Toilette gehen konnte, und sich später, falls nötig, auch mal einen ganzen Vormittag lang um die Kinder der anderen kümmerten. Das war für jede von uns wie ein warmes Bad und die Tatsache, dass viele von uns erst kurze Zeit in New York lebten und keine Angehörigen in greifbarer Nähe hatten, half uns dabei, Beziehungen untereinander aufzubauen, als wären wir eine Familie. Wenn ich daran zurückdenke, verblüfft mich die Erkenntnis, wie gut die neuen, familienähnlichen Beziehungen zwischen Eltern in die lange evolutionäre Geschichte der gemeinsamen Fürsorge passen.

       2.2.2.9 Und was ist mit den Vätern?

      Mittlerweile dürften sich viele Leser – insbesondere die Väter – fragen, welche Rolle die Väter bei all dem spielen. Michael Lamb hat sich jahrzehntelang wissenschaftlich mit der Bedeutung von Vätern für die kindliche Entwicklung befasst und die positiven Wirkungen von Vätern auf die soziale und emotionale Entwicklung sowie die Bildungsbiografie von Kindern dokumentiert (Lamb & Tamis-Lemonda 2004). Aus evolutionsgeschichtlicher Perspektive betrachtet, zeigt sich jedoch, dass Väter für das Überleben von Kindern nicht immer notwendig waren und dass das Ausmaß ihrer Beteiligung an der Kinderaufzucht höchst unterschiedlich ausfiel. In einigen Jäger-Sammler-Gesellschaften konnte die Beteiligung der Väter z. B. nicht mit einer höheren Überlebensrate der Kinder assoziiert werden (Marlowe 2000). Wie lässt sich das erklären?

      In der Fachliteratur zur Beteiligung der Väter taucht überall der Schlüsselbegriff Variabilität auf. Verglichen mit den meisten anderen Säugetier- und Primatenspezies, beteiligen sich Menschenväter deutlich stärker an der Aufzucht des Nachwuchses (Konner 2010). Ungeachtet dessen weist die väterliche Teilnahme am Leben der Kinder in der Evolutionsgeschichte wie auch in modernen


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