Fall Jeanmaire, Fall Schweiz. Jürg Schoch
Ich nehme auch immer die Hand zur Sprechmuschel, sonst versteht man mich schlecht.
M.: Diejenigen, welche von auswärts kommen, verstehe ich also alle zusammen gut, aber jetzt ist es das dritte Mal, dass man mir heute sagt, man verstehe mich fast nicht.
Wr.: Eben ja, das ist eine Sauerei, mit dem muss man eben rechnen, hähähä, ich hab’s schon gemeldet. Der Herr St. ist schon im Bild, der Chef vom Telefonwesen […].
M.: Weiss er, dass unsere Apparate schlecht sind?
Wr.: Ja ja ja, ja ja, der ist schon durch, hähä, ich kenne ihn gut.
M.: … wer tut abhorchen dort, wer wer?
Wr.: Jä, eben, das ist die Frage.
M.: (lachen) Moskau, nicht wahr, der Kreml?
Wr.: Vermutlich schon. Ich habe schon manchmal etwa, wenn ich es knacken höre und ein Stromabfall drauf habe, wenn ich irgendjemand am Telefon oder wenn ich heim angeläutet habe, habe ich gesagt: «… die verdammten Saucheiben, die verfluchten Sidiane können nur mit Spionage vorwärts kommen, die Sauhunde» und so tue ich etwa am Telefon.
M.: Mh, ich habe bei der alten Abteilung, die ich hatte, auch gemerkt hie und da ist es plötzlich ein wenig leiser geworden, nicht wahr, und da habe ich einfach immer gesagt: «Der Hörer an der Wand hört seine eigene Schand», dann ist es plötzlich wieder gut gegangen.20
Mittlerweile war es Sommer geworden, Morat arbeitete schon ein halbes Jahr an seiner Zivilschutzstudie, und der Bund finanzierte brav die Leistungen des Verdächtigen. Am 8. Juli orientierte er seinen Auftraggeber, UNA-Chef Weidenmann, über den Stand seiner Arbeit:
M.: Und nun wegen der Kadenz der Militär- und Verteidigungsattachés wird sie auf Mitte Jahr nicht fertig, ich möchte das aber gerne fertig machen, diese Arbeit interessiert mich nämlich. Ich möchte nicht künstlich den Auftrag verlängern, ja nicht, das möchte ich also ehrlich gesagt haben. Aber, ich habe Dir sagen wollen, wie wir weiter vorgehen wollen wegen Finanzen usw. damit keine Geschichten entstehen. Du hast schliesslich den Geldsäckel in der Hand.
W.: Jetzt, wie lange hast Du noch?
M.: Nehmen wir an, bis Ende Jahr kann es fertig sein, nicht wahr.
W.: Also das ganze Jahr noch?
M.: Ende Jahr, jawohl, dann ist es fertig, nicht wahr. Wenn ich vorher fertig werde, tant mieux.
W.: Gut, ich muss das da mit meinem Finanzminister besprechen.
M.: Jawohl. Es geht mir also nicht darum, Geld zu verdienen, ich habe mit meiner Pension und mit meiner AHV genug, nicht wahr, das gebe ich Dir unumwunden zu. Wenn Ihr sagen wollt, Ende Juli wollt Ihr abklemmen und wollt mir etwas geben, wenn alles fertig ist, gesamthaft oder irgend etwas, das ist mir gleich, es geht mir also nicht um Geld.
W.: Du hörst noch von mir.
M.: Dann tue ich schön weiter machen und …
W.: … hörst du noch von mir.
M.: Und bekomme Nachricht von Dir.
W.: Richtig.21
Morat konnte sich also, auch wenn ihm die vorsichtige Ungeduld Weidenmanns kaum verborgen geblieben war, weiterhin seines netten Arrangements erfreuen, konnte zwischen Lausanne und Bern pendeln, mal ein paar Tage in der Bundesstadt bleiben und dort das Leben geniessen. Das Geschwätz über die sowjetischen Sidiane, die angeblich sein Telefon abhörten, war mit Sicherheit nicht ernst gemeint; solche Bemerkungen waren damals gang und gäbe. Und darauf, dass es die PTT sein könnte, die sein Telefon abhörte, wäre er nicht im Traum gekommen.
So präsentierte sich der Pensionär in jenen Sommertagen – nicht ahnend, dass es für lange Zeit seine letzten in Freiheit sein würden – in ausgesprochen fröhlicher Laune, schwatzend, trinkend, das Kalb machend. Die Beschatter notierten:
18.53 Morat kommt ebenfalls mit dem Tram von der Stadt her, steigt am Helvetiaplatz aus und geht ins Rest. Kirchenfeld. Er ist mit einem dunklen Blazer, weissem Hemd und Kravatte bekleidet und hat einen hochroten Kopf. So wie er geht, scheint er leicht angetrunken zu sein.
20.30 Uhr Morat und Frl. O. verlassen das Rest. Kirchenfeld. Morat hat nun schwere «Schlagseite» und muss von Frl. O. geführt und gehalten werden. Zusammen besteigen sie die Strassenbahn in Richtung Zentrum. Vor dem Aussteigen bei der Haltestelle Bärenplatz ruft M. mit lauter Stimme durch das Tram: «Chefiturm, tout le monde descend»!22 In der Folge wird Morat von seiner Begleiterin an der Hand aus dem Tram geführt und mit einiger Mühe über den Bärenplatz und durch die Neuengasse direkt ins Hotel Krebs verbracht, wo sie um 20.55 Uhr eintreffen.23
IV. Die Verhaftung
Der Bundesanwalt in Zugzwang
Im Gegensatz zu Morat wurden dessen Bewacher und vor allem ihre Vorgesetzten, Bundespolizeichef Amstein und Bundesanwalt Gerber, zunehmend nervös. Insbesondere der Bundesanwalt sah sich in einer wenig beneidenswerten Lage.
Der 1928 im aargauischen Brugg geborene Rudolf Gerber hatte in den Zürcher Justizbehörden Karriere gemacht. Nach seiner Tätigkeit als Bezirksanwalt in Horgen war der dem Freisinn nahestehende Jurist zunächst zum ausserordentlichen, später zum ordentlichen Staatsanwalt des Kantons Zürich aufgerückt. Auf den 1. Oktober 1973 berief ihn der Bundesrat an die Spitze der Bundesanwaltschaft. Seine Person umgab allerdings eine merkwürdige, dem Prestige eines obersten Anklägers kaum förderliche Aura. Im Herbst 1975, als die geheime «Aktion Morat» bereits auf Hochtouren lief, beschuldigte ihn Detektivwachtmeister Kurt Meier, besser bekannt als «Meier 19», vor dem Zürcher Geschworenengericht, er habe seinerzeit als Bezirksanwalt während der Untersuchung des berühmt gewordenen Diebstahls von Zahltagstäschchen Zeugenaussagen manipuliert.
Nicht eben günstig entwickelte sich die Situation für den Bundesanwalt zu Beginn des folgenden Jahres. Am 10. Januar 1976 war Anne-Marie Rünzi, Gattin des bekannten Ballonfahrers Rünzi, in einem kleinen Wald zwischen Zumikon und Zollikon ermordet aufgefunden worden. Die Umstände, die zu ihrem Tod geführt hatten, wurden nie aufgeklärt. Bald aber kursierten Gerüchte, Gerber habe ein Verhältnis mit der Ermordeten gehabt. War damit Bundesrat Furglers Spitzenbeamter, der auf einem der sensibelsten Posten der Bundesverwaltung überhaupt sass, erpressbar geworden?
Exakt diese Frage griff, allerdings erst dreizehn Jahre später, jene Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) unter Nationalrat Moritz Leuenberger auf, die die «Vorkommnisse im EJPD» rund um den Abgang von Bundesrätin Kopp durchleuchtete.1 Im Kapitel «Erpressbarkeit von Bundesanwalt Rudolf Gerber» heisst es:
Das Verhältnis von Bundesanwalt Rudolf Gerber mit dem Mordopfer und die Tatsache, dass er auch mit einer Tatverdächtigen Kontakte hatte, führten zu Spekulationen über eine besondere Verwundbarkeit oder allenfalls sogar Erpressbarkeit des Bundesanwalts […]. Übereinstimmung besteht bei allen angehörten Personen darin, dass die Verwicklungen in den Mordfall R. dem Ansehen des Bundesanwaltes abträglich waren. Es fehlen aber Anhaltspunkte dafür, dass er durch diesen Fall tatsächlich erpressbar geworden wäre.
Diese späte Entlastung ändert indes nichts an der Tatsache, dass im Zeitpunkt des Geschehens das Verhältnis zwischen Gerber und seinem Chef nicht eben harmonisch war. Bundesrat Kurt Furgler, der sein Departement (Justiz und Polizei) rigoros führte und von seinen Leuten nicht nur Loyalität und Einsatzbereitschaft rund um die Uhr, sondern auch moralische Integrität verlangte, duldete schlicht keine Affären, die den Glanz seiner Regierungstätigkeit hätten beeinträchtigen können – schon gar keine Affären dieser Kategorie. Seine Missbilligung liess er den Bundesanwalt denn auch spüren. Und just dieser Mann sah sich jetzt gezwungen, in einer andern Affäre zu handeln, die grösste Risiken in sich barg.
Bereits im Mai hatte der leitende Ermittler, Kommissär Pilliard, in einem Bericht zuhanden des Bundesanwalts gemahnt:
Die Mehrbelastung an Arbeit, die die zahlreichen Beschattungen und Überwachungen verursacht haben, ist nicht mehr erträglich, weder für die Berner noch für die Waadtländer Polizei. Daher sollte man unserer Meinung nach, was «MU