Brandsätze (eBook). Steph Cha

Brandsätze (eBook) - Steph Cha


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verträglicher als die erste –, als Blake an die Bar ging und mit drei Tumblern zurückkam, in denen eine braune Flüssigkeit schwappte. »Die haben hier großartige japanische Whiskys«, sagte er. »Ich habe uns einen Yamazaki Single Malt geholt.«

      Grace beäugte die drei Gläser, während Blake Miriam eins reichte. Grace hörte seinem unausstehlichen Kennerton an, dass der Whisky teuer war. Miriam nahm einen Schluck und gab ein anerkennendes Geräusch von sich. Blake wirkte erfreut. Während Grace sich wieder ihrem Screwdriver widmete, dozierte er über japanische Whiskys.

      »Probier mal«, sagte er und schob ihr den verbliebenen Tumbler hin. »Der schmeckt wie Honig. Ehrenwort.«

      Grace schnüffelte daran und musste fast würgen. Sie mochte den Geruch von Alkohol nicht, und Whisky oder Bourbon waren am schlimmsten.

      »Ich glaube, das ist nichts für mich«, sagte sie und stellte das Glas weg.

      »Ach, komm schon. Wenn du den Mist da runterkriegst, kannst du alles trinken.« Er zeigte auf ihren Screwdriver. Das war bereits seine zweite abfällige Bemerkung über den Drink, begleitet von einem herablassenden Lächeln. »Das hier ist guter Stoff.«

      Grace blinzelte und wartete darauf, dass ihre Schwester sagen würde, er solle sie in Ruhe lassen.

      »Nimm einen kleinen Schluck«, sagte Miriam stattdessen. »Wenn er dir nicht schmeckt, trinke ich den Rest.«

      Grace nahm das Glas, starrte es an und stählte sich innerlich. »Tja, wenn’s guter Stoff ist«, sagte sie.

      Sie hielt sich die Nase zu und kippte den Whisky mit einem Schluck herunter. Ihre Kehle brannte. Sie hustete und trank schnell den letzten Rest Screwdriver hinterher.

      »Nicht ganz wie Honig«, sagte sie, blinzelte heftig und streckte die Zunge heraus.

      Blake sah sie an, als hätte sie gerade ein Baby erwürgt. Miriam brach in Lachen aus.

      »Das war ein Fünfundzwanzig-Dollar-Shot«, sagte Blake.

      Das war noch mehr, als Grace getippt hatte. »Oh, wow, das wusste ich nicht«, sagte sie unschuldig. Ihre Brust schien zu glühen.

      »Hol ihr noch einen Screwdriver, Schatz«, sagte Miriam immer noch lachend. »Den hat sie sich verdient.«

      Blake wollte widersprechen, doch Miriam sah ihn mit einem geduldigen Lächeln an, das deutlich machte, dass ihre Stimmung kippen würde, wenn er sich weigerte. Grace wollte eigentlich keinen weiteren Drink, genoss es aber, Blake an die Bar stürmen zu sehen und Miriam auf ihrer Seite zu wissen.

      »Zwei reichen mir dann auch«, sagte sie. »Ich muss noch nach Granada zurückfahren.«

      Miriam verdrehte die Augen. »Kannst du nicht endlich mal aus dem Valley rausziehen? Es ist unmöglich, sich mit dir zu treffen, und selbst wenn du mal herkommst, musst du um sechs wieder los.«

      »Es ist schon fast neun.«

      Seit Miriam nach Silver Lake, Heimat der Yuppies und Hipster, gezogen war, hatte sie nichts als kalte Verachtung für das Valley übrig, vor allem für Granada Hills. Sie wollte partout nicht glauben, dass Grace ihre Wohnsituation gefiel und sich bewusst dafür entschieden hatte, obwohl es andere Optionen gab, und dass die ständigen Hinweise, sich jederzeit eine WG suchen zu können, unnötig waren. Grace hatte auf dem College und während des Pharmazie­studiums in WGs gewohnt, aber warum sollte sie jetzt Geld für Miete rausschmeißen, wenn sie nur zehn Minuten zu ihrer Arbeitsstelle brauchte, wenn ihre Eltern sie bei sich haben wollten und wenn ihre Mutter Yvonne es genoss – wie Grace auf die Bibel schwören würde –, sie zu bekochen und ihre Wäsche zu waschen? Eigentlich sollte Miriam das verstehen. Sie hatte kurz nach dem College ebenfalls zu Hause gewohnt, und auch später noch einmal ein paar Monate, nachdem sie ihren Consultingjob aufgegeben hatte, um ihre Träume zu verwirklichen. Stattdessen redete sie jetzt über das Valley wie andere über winzige Heimatdörfer in der Ödnis von Alabama oder Ohio – wie von einem Ort, dem sie auf dem Weg in ihr wahres Leben entflohen war. Ein rückständiger Flecken, für den man sich nur schämen konnte. Dabei ging es um einen Cluster von Wohngegenden innerhalb der Stadtgrenze von Los Angeles, der nur eine halbe Stunde Autofahrt von ihrem neuen Zuhause entfernt lag.

      Miriam war in den letzten zwei Jahren nicht ein Mal rausgefahren. Das war das eigentliche Problem. Sie sahen sich deshalb so selten, weil Miriam nicht mehr mit ihrer Mutter sprach und sich weigerte, nach Hause zu kommen.

      Vor dem Streit – wenn man überhaupt von einem Streit sprechen konnte – hatten Grace und Miriam sich fast jede Woche getroffen. Selbst für Schwestern hatten sie sich immer ungewöhnlich nahegestanden, hatten sich früher ein Kinderzimmer geteilt, kannten und bewahrten die Geheimnisse der jeweils anderen. Aber dann hatte Miriam den Kontakt zu Yvonne abgebrochen und war mit Blake zusammengekommen, und jetzt wunderte Grace sich immer öfter darüber, wie wenig sie noch verband. Keine der beiden konnte die Entscheidungen, den Lebensstil, die Ziele, den Job oder die wichtigen Menschen im Leben der anderen nachvollziehen. Manchmal spürte Grace die Distanz zwischen ihnen wie einen klammen Hauch im Nacken.

      »Dann bleib heute Nacht einfach hier«, sagte Miriam und legte ihre Stirn in besorgte schwesterliche Falten. »Du siehst schon ziemlich betrunken aus. Blake kann mit deinem Auto fahren, und du übernachtest bei uns.«

      »Okay«, sagte Grace.

      Miriam wirkte überrascht über die schnelle und widerspruchslose Einwilligung, lächelte und drückte Graces Hand. Grace hatte eigentlich keine Lust, einen langen Abend mit Blake zu verbringen und in dem Gästezimmer mit dem Metallbett und den Plakaten seiner Drogenserie zu übernachten, aber sie vermisste ihre Schwester.

      Sie schrieb ihren Eltern gerade auf dem Handy, was sie vorhatte, als jemand an ihrem Tisch auftauchte – ein hochgewachsener weißer Mann mittleren Alters mit Flanellhemd und einer abgenutzten Botentasche aus Leder. Er berührte Miriams Schulter mit den Fingerspitzen.

      Miriam bemerkte ihn erst jetzt. »Oh, hi«, sagte sie. »Jules.« Sie wirkte ungewöhnlich nervös und erhob sich halb vom Stuhl, um ihm die Hand zu schütteln, woraufhin er ein Stück vom Tisch zurücktrat.

      »Dachte ich doch, dass du das bist«, sagte der Mann. »Ich war gerade auf der Gedenkfeier für Alfonso Curiel. Hast du davon gehört?«

      »Ich war da«, sagte sie.

      Ich, nicht wir. Grace sah sich um und entdeckte Blake im Gespräch mit dem Barmann. Vielleicht benahm sich Miriam deshalb so steif. Blake neigte zu Eifersucht, und wahrscheinlich wollte sie den Typen abschütteln, bevor er zurückkam.

      »Dann hast du auch gesehen, dass die Western Boys da aufgekreuzt sind?«

      Grace dachte an die wütend aussehenden weißen Typen in den Polohemden. Bestimmt waren die gemeint.

      »Ja«, sagte Miriam.

      »Ich schreibe über sie, für ein Projekt über White Supremacy und Rassengewalt in Kalifornien. Gut, dass ich dich treffe. Ich weiß, dass du viel über das Thema nachdenkst. Vielleicht –«

      »Sicher«, schnitt ihm Miriam mit einem liebenswürdigen Lächeln das Wort ab. »Du hast meine E-Mail-Adresse, oder? Unter der Woche habe ich bestimmt Zeit.«

      »Super. Ich melde mich.« Er blieb stehen, als hätte er nicht mitbekommen, dass Miriam ihn verabschiedet hatte. »Wie geht’s deiner Mom?«, fragte er.

      Grace versuchte den Blick ihrer Schwester aufzufangen – was für eine seltsame Frage. Dieser weiße Mann konnte doch unmöglich Yvonne kennen? Aber Miriam schaute sie nicht an. Eine Bewegung huschte über ihr Gesicht. Das Aufblitzen von Panik, da war sich Grace sicher.

      »Gut«, antwortete Miriam. »Hey, schön dich gesehen zu haben.«

      »Gleichfalls.« Er lächelte Grace zu. »Ist das deine Schwester?«

      Noch so eine seltsame Frage, denn sie sahen sich nicht gerade ähnlich. Grace hatte plötzlich das Gefühl, betrunken zu sein. Die Luft schien zu wabern.

      Sie wollte sich gerade vorstellen, als Miriam ihr die Antwort abnahm. »Ja«, sagte sie. Ihre Stimme


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