Gleichnisse. Kurt Erlemann
(Metapher: Offenheit, Sinnüberschuss, Deutungsbedarf; → 1.4.4a/1.4.4b).
Definition: Das Begriffspaar entstammt der antiken Rhetorik und fokussiert den Gegensatz zwischen wörtlich und übertragen zu verstehender Rede. Während das rhetorische Sprachverständnis uneigentliche als deutungsbedürftige, zu ersetzende Rede wertet, wertet das Sprachverständnis der Poetik die Metapher als Grundform sprachlicher, poetischer Welterschließung, das heißt als eigentliche Rede.
Abschließend sei die Verschränkung von rhetorischer und poetischer Optik dieses Buches auf eine griffige Formel gebracht:
Die Eigentlichkeit ‚uneigentlicher‘ Redeweise besteht darin, dass sie über den Umweg der Uneigentlichkeit so zum Eigentlichen kommt, wie es mittels ‚eigentlicher‘ Redeweise gar nicht möglich wäre.
2 Gleichnisforschung im Überblick
Grafik erweitert übernommen aus Erlemann 1999, 52.
Im ersten Durchgang werden einige Wegmarken der Gleichnisforschung abgeschritten (2.1 – 2.3). Der zweite Durchgang arbeitet den Ertrag der Gleichnisforschung anhand leitender Forschungsalternativen auf (2.4); Abschnitt 2.5 stellt weiterführende Überlegungen zu einer integrativen Gleichnistheorie an.
2.1 Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher
Eine kurze Einführung in die Gleichnistheorie Adolf Jülichers (1857-1938) macht die heutige Diskussion verständlich. Mit seinem bahnbrechenden Doppelwerk Die Gleichnisreden Jesu (Tübingen 1886/1898, 2. Auflage 1910) legte Jülicher den Grundstein für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gleichnissen. Bis heute geschieht Gleichnisforschung in der Auseinandersetzung mit Jülicher.
2.1.1 Ausgangspunkt: anti-allegorischer Affekt
Kernanliegen Jülichers ist die Abwehr der bis dato üblichen Allegorese der Texte. Hierfür nimmt er klare, an der antiken Rhetorik orientierte Begriffsdefinitionen vor.1 Er konstatiert einen Gegensatz zwischen ‚eigentlicher‘ und ‚uneigentlicher‘ Rede. Erstere (Vergleich, Gleichnis) sagt klar und unmissverständlich, was sie meint – und sie meint auch, was sie sagt! Letztere (Metapher, Allegorie)2 hingegen sagt gerade nicht, was sie meint, bzw. sie meint etwas anderes, als sie sagt. Das entspricht Jülichers liberal-theologischem Jesusbild: Jesus war ein genialer Pädagoge, der in unnachahmlicher Klarheit und Verständlichkeit seine Botschaft (die Idee vom Reich Gottes samt seinen sittlich-religiösen Wahrheiten) an sein Auditorium richtete und es zu überzeugen wusste. Dieser Jesus konnte nur Klartext gesprochen haben, nicht etwa deutungsbedürftige, ‚uneigentliche‘, metaphorisch-allegorische Rätselrede.
Kein Mittel hat er unversucht gelassen, kein Mittel des Wortes, um das Wort seines Gottes an und in die Herzen seiner Hörer zu bringen, nur die Allegorie, die nicht verkündigt, sondern verhüllt, die nicht offenbart, sondern verschließt, die nicht verbindet, sondern trennt, die nicht überredet, sondern zurückweist, diese Redeform konnte der klarste, der gewaltigste, der schlichteste aller Redner für seine Zwecke nicht gebrauchen.3
Was an den Gleichnissen der Evangelien auslegungsbedürftig erscheint, geht, so Jülicher, auf das Konto der Evangelisten, die Jesu Gleichnisse als rätselhafte Allegorien missverstanden und sie mit christologischen Inhalten angereichert hätten. Die schriftlich vorliegenden Gleichnisse seien demnach das Ergebnis eines tiefgreifenden, allegorischen Verfälschungsprozesses.4
Sie [scil. die Evangelisten] verstehen unter parabolḗ nicht bloß eine vergleichende Rede, sondern eine, die außerdem dunkel ist, der Deutung bedarf.5
Diese Einschätzung macht einen inneren Zusammenhang zwischen anti-allegorischem Affekt, Jesusbild und Missverständnis- bzw. Verfälschungstheorie sichtbar.6 Hinzu kommt Jülichers Annahme eines Gleichnis-Idealtyps, der keinesfalls deutungsbedürftig sei, sondern ‚Klartext‘ spreche und nur einen einzigen Vergleichspunkt (tertium comparationis) habe. Dieser Idealtyp im Munde Jesu beinhaltet, so Jülicher, eine zeitlose, moralisch-religiöse Satzwahrheit als wesentlichen inhaltlichen Kern.7 Die Gleichnisform ist für Jülicher im Gegensatz zu der in ihr transportierten Satzwahrheit letztlich ersetzbar.
2.1.2 Gleichnisdefinition und Auslegungsinteresse
Jülicher sieht das Ziel moderner Gleichnisauslegung in der Rückgewinnung der Gleichnisse im Munde Jesu. Er nennt als Leitkriterien hierfür den wörtlichen, eindeutigen Textsinn und den Gleichnis-Idealtyp, den er definiert als
diejenige Redefigur, in welcher die Wirkung eines Satzes (Gedankens) gesichert werden soll durch Nebenstellung eines ähnlichen, einem anderen Gebiet angehörigen, seiner Wirkung gewissen Satzes.1
Dem rhetorisch-argumentativen Zweck der Gleichnisse entsprechen, so Jülicher, Präzision und Kürze; ‚Einfachheit als Kennzeichen des Wahren‘ (lat. simplex sigillum veri) sei ein wichtiges Merkmal des Gleichnis-Idealtyps. Die methodische Konsequenz daraus heißt für Jülicher: Verzicht auf Auslegung! Die authentischen Gleichnisse Jesu bedürften sowieso keiner Deutung, die allegorisierten Gleichnisse der Evangelien seien auf ihre ursprüngliche Gestalt zurückzuführen. Anstatt irgendwelche Gleichniselemente zu deuten, möchte Jülicher lediglich das eine tertium comparationis zwischen ‚Bild- und Sachhälfte‘ herausarbeiten.
2.1.3 Formkritik der Gleichnisse
Für die praktische Auslegungsarbeit entwickelt Jülicher formkritisch zu unterscheidende Gleichnistypen: Erstens, Gleichnisse im engeren Sinne bzw. besprechende Gleichnisse, inklusive so genannter Bildworte und Gnomen1; zweitens, Parabeln bzw. erzählende Gleichnisse oder Gleichniserzählungen; drittens, Beispielerzählungen; viertens, Parömien.2 Der Antityp des Gleichnisses ist für Jülicher die Allegorie.3 Diese Klassifizierung erfuhr, mit kleineren Modifikationen (hinzu kam die Kategorie des Gleichnisdiskurses), eine breite Rezeption über ein ganzes Jahrhundert Gleichnisforschung, stellte sich letztlich jedoch als revisionsbedürftig heraus (→ 2.3; 2.4.9; 2.5.7; 3.2).4
a) Besprechendes Gleichnis bzw. Gleichnis im engeren Sinne
Erstes formales Kriterium dieses Gleichnistyps ist laut Jülicher das Präsens als Erzähltempus. Es signalisiere keinen erzählenden, sondern einen besprechenden Charakter. Zweites Formalkriterium ist die Reduktion auf einen einzigen Akteur (z. B. den Sämann in Mk 4,3-9). Ein drittes, mehr inhaltliches Kriterium ist die Beschreibung eines Natur- oder Alltagsvorgangs wie Aussaat und Ernte.1 Die Beschreibung diene dazu, eine Gesetzmäßigkeit des Reiches Gottes zu illustrieren.
Beispiele: die Wachstumsgleichnisse in Mk 4parr., das Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20parr.) und die verlorene Drachme (Lk 15,8-10). – Das Gleichnis vom Senfkorn und Sauerteig (Mt 13,31-33) ist eine typische Mischform: Ein Alltagsvorgang mit einem Akteur wird im griechischen Aorist erzählt.
Das Alltags- bzw. Naturgleichnis ist auch nach Klaus Berger einer von zwei Grundtypen (neben Gleichnissen, die etwas Unsinniges bzw. Unmögliches beschreiben).2 Beide Typen sind, so Berger, ‚weisheitliche‘ Redeformen, denn sie bringen kollektive Lebenserfahrung auf den Punkt und argumentieren mit ihr.
b) Erzählendes Gleichnis/Gleichniserzählung/Parabel
Im Gegensatz zum besprechenden Gleichnis ist die Gleichniserzählung bzw. Parabel laut Jülicher ein erzählender Text. Formale Kriterien dieses Gleichnistyps sind Vergangenheitstempora (Aorist, Imperfekt) und das Auftreten mehrerer, hierarchisierter Akteure (Herr – Knechte; Vater – Söhne u. a.). Inhaltlich bietet die Parabel eine zwar erfundene (fiktionale), aber realistische, einmalige und szenisch gegliederte Erzählung. Gemeinsam ist besprechenden und erzählenden Gleichnissen das Phänomen der Konterdetermination (→ 1.5.7). Sie bewirkt, dass sich die Rezipienten möglichst auf die Erzählung und ihre Pointe konzentrieren (→ 1.5.5).
Beispiele: