Gleichnisse. Kurt Erlemann

Gleichnisse - Kurt Erlemann


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      c) Beispielerzählung

      Jülichers Beispielerzählung ist ein Sonderfall der Parabel und betrifft die vier lukanischen Sondergut-Parabeln vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10,30-37), vom reichen Kornbauern (Lk 12,16-21), vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19-31) und vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14). Der Unterschied zu den Parabeln besteht darin, dass die Konterdetermination fehlt; die ‚Sache‘ taucht in der Semantik der Erzählebene (‚Bildhälfte‘) expressis verbis auf.1 Die religiöse Dimension begegnet in Gestalt religiöser Gruppen und Personen oder es werden theologische Themen wie Tod und jenseitiges Ergehen in die Erzählung integriert.

      Beipiele: Priester, Levit, Samaritaner begegnen auf der Erzählebene von Lk 10,30-37, Mose auf der von Lk 16,19-31, Pharisäer und Zöllner auf der von Lk 18,9-14, Tod und Jenseits auf der von Lk 12,16-21; 16,19-31.

      Abgeleitet von der Grundform Exemplum (→ 1.4.1.e) führen Beispielerzählungen ein vorbildliches oder abschreckendes Verhaltensbeispiel vor Augen. Sie fließen im vorliegenden Buch in die Alltagsgleichnisse ein (→ 2.5.7c).

      d) Bildwort

      Bildwort werden in der Gleichnisforschung Texte genannt, die sich nicht unter die drei bisher beschriebenen Gleichnistypen subsumieren lassen. Sie überschreiten zwar die Satzgrenze (anders als Vergleiche und Metaphern), sind aber weder szenisch entfaltet noch erzählerisch geschlossen. Bildworte werden daher auch als ausgeführte Metaphern oder verkürzte, fragmentarische Gleichnisse bezeichnet.1

      Beispiele: Mt 5,13f. (Salz und Licht), Mt 7,1-5 (Splitter und Balken), Mt 13,52 (Hausvater), Mk 2,21f. (Flicken und Schläuche).

      Bildworte arbeiten mit rhetorischen Fragen (Mt 5,13.15; 7,4a; Mk 2,21f.); viele stehen im Kontext grundsätzlicher Mahnungen (Mt 7,1; Mk 2,22b). Mehrheitlich sind Bildworte im Verständnis des vorliegenden Entwurfs Weisheitsgleichnisse (→ 2.5.7b).

      e) Parömie

      Für Jülicher sind Parömien ‚mangelhafte Allegorien‘, von Metaphern durchsetzte Reden ohne ästhetischen Reiz. Sie seien weder Erzählungen noch Gleichnisse.1 In der weiteren Gleichnisforschung wurden die Parömien stiefmütterlich behandelt. Konstatiert wird eine narrative Entfaltung ohne erzählerische Geschlossenheit und mit fließenden Übergängen zwischen verschiedenen semantischen Ebenen. Klaus Berger erkennt eine Nähe zu apokalyptischen Visionen: Joh 16,29f. kennzeichne die Abschiedsreden Jesu als exklusiv an die Jünger gerichtete, bildfreie Rede. Jesu öffentliche Verkündigung in Joh 1-12 gelte demgegenüber als rätselhafte Rede, die im engen Jüngerkreis enthüllt wird.2 – Als johanneischer Begriff für Gleichnisrede wird Parömie bis heute verwendet (→ 1.4.1). Im vorliegenden Entwurf werden sie den Identitätsgleichnissen zugerechnet (→ 2.5.7d).

      Beispiele: ‚Hirtenrede‘ (Joh 10,1-18) und ‚Weinstockrede‘ (Joh 15,1-8) werden Parömien genannt. Laut Joh 16,25.29 heißt die Rede Jesu generell paroimía.

      f) Gleichnisdiskurs

      Ebenso unscharf wie Bildwort ist der Begriff Gleichnisdiskurs.1 Er bezeichnet eine Aneinanderreihung oder Kombination von Vergleichen und Metaphern mit wechselnden Bildfeldern; Bild- und Deutungsebene können sich abwechseln.

      Beispiele: Mk 13,33-37 (Türhüter); Lk 12,35-40 (Vorbereitung auf das Kommen des Herrn); Joh 12,24 (Samenkorn).

      Eine Unterscheidung zwischen Ausgangs- und Erzählebene (→ 1.5.1) ist nicht möglich, eine erzählerische Geschlossenheit ist nicht gegeben. Formal und textpragmatisch stehen die Gleichnisdiskurse den Parömien nahe.2 – Auch diese Kategorie soll die Grauzone zwischen ‚klassischen‘ Gleichnistypen (s.o.) einerseits und Vergleich bzw. Metapher andererseits erfassen. Wegen der fehlenden Begriffspräzision und der problematischen, formkritischen Einteilung der Gleichnisstoffe wird diese Kategorie nicht weiter berücksichtigt (→ 2.3; 2.4.9; 2.5.7).

      g) Allegorie

      Für Adolf Jülicher ist die Allegorie das negative Pendant zum Gleichnis (→ 2.1.1; vgl. 1.4.3). Die Allegorie ist für ihn, neben ihrem Baustein Metapher (→ 1.4.4b), ‚uneigentliche‘ Rede par excellence. Jülicher definiert die Allegorie als diejenige

      Redefigur, in welcher eine zusammenhängende Reihe von Begriffen (ein Satz oder Satzkomplex) dargestellt wird vermittelst einer zusammenhängenden Reihe von ähnlichen Begriffen aus einem andern Gebiete.1

      Ihre ‚Uneigentlichkeit‘ mache die Allegorie deutungsbedürftig, sie habe allenfalls einen ästhetischen Reiz, sei aber pädagogisch wertlos und daher dem auf Eindeutigkeit bedachten Lehrer Jesus abzusprechen. Historisch ist sie für Jülicher das Ergebnis eines Missverständnisses bzw. einer Verfälschung (→ 2.1.1).

      Beispiele für Allegorien im Sinne Jülichers: das Gleichnis von den bösen Winzern Mk 12,1-12parr., vom Sämann Mk 4,3-9parr. sowie im Grunde jedes andere Gleichnis in seiner vorliegenden, verschriftlichten Form.

      Jülichers anti-allegorischer Affekt wirkt bis heute nach. In der formkritischen Unterscheidung von Gleichnistypen wird die Allegorie weiterhin als Literaturgattung, die nach dem Reißverschluss-Prinzip funktioniere, geführt. Sie verwende eine Reihe thematisch passender Metaphern und habe damit mehrere Vergleichspunkte zwischen Bild und ‚Sache‘, die nacheinander zu entschlüsseln seien.2 Im Gegensatz dazu habe die Parabel nur ein einziges tertium comparationis.3

      2.1.4 Das bleibende Vermächtnis Jülichers

      Jülicher hat nicht nur die Gleichnisauslegung für die Gefahr allegorisierender Textauslegung sensibilisiert. Sein Beharren darauf, die Bedeutung eines Gleichnisses aus dem Text selbst zu erheben, statt textfremde Kategorien auf ihn zu applizieren, gehört zu seinen bleibenden Verdiensten. Darüber hinaus hat Jülicher der Gleichnisforschung wichtige Impulse und Fragestellungen mit auf den Weg gegeben, was den Zweck der Gleichnisrede, die Klassifikation vergleichender Texte, das Wesen von Metapher und Allegorie, den theologischen Bezugsrahmen (‚Sache‘), das Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, den Einfluss antiker Rhetorik oder das Alleinstellungsmerkmal der Gleichnisbotschaft Jesu anbelangt. Das gilt, auch wenn die Forschung im Einzelnen heute zu anderen Ergebnissen kommt. Jülichers Werk bleibt in seiner Nachhaltigkeit und Breitenwirkung bis heute unerreicht.

      2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

      Die folgende Darstellung beschränkt sich auf wichtige Zwischenschritte der Gleichnisforschung seit Jülicher: Erstens, die Frage nach dem jüdischen Kontext Jesu und der Gleichnisse; zweitens, die Frage nach dem eschatologischen Charakter der Gleichnisbotschaft; drittens, die ‚metaphorische Wende‘; viertens, die kritische Auseinandersetzung mit ihr; fünftens, neuere integrative Ansätze. Der Überblick mündet in die Darstellung der aktuellen gleichnistheoretischen Diskussion.

      2.2.1 Gleichnisse als frühjüdische Gattung

      Jülichers Rückbezug auf die griechisch-römische Rhetorik zur Bestimmung von Gleichnisform und -zweck wurde schon früh kritisiert. Nicht die antike Rhetorik, sondern die rabbinischen Talmud-Gleichnisse (hebr. meschalím) seien der adäquate Bezugsrahmen der Gleichnisse Jesu. Gleichnisforscher wie Paul Fiebig (1876-1949), David Flusser (1917-2000) und Peter Dschulnigg (1943-2011) stehen für diese Position. Sie verweisen auf die jüdische Prägung Jesu und auf die große Nähe zwischen rabbinischen und neutestamentlichen Gleichnissen.

      Wir verstehen die Gleichnisse Jesu nur dann richtig, wenn wir sie als der rabbinischen Gleichnisgattung zugehörig betrachten. Aus dem Wort Jesu über den Zweck der Gleichnisse [Mk 4,10-12parr.] erfahren wir, dass Jesus die Gleichnisse aus denselben Gründen wie die Rabbinen erzählte.1

      Das Argument, die Talmudtexte seien deutlich jünger als die Evangelien, wird unter Verweis auf die lange mündliche


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