Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
bundesweit die Quote von 72 % nicht wiederholt unterschreitet (§ 9 Abs. 2 S. 1 VerpackV a.F.). Die Mehrweganteile werden, wenn die Regelerhebung erstmals eine Unterschreitung ergeben hat, in einer an deren Bekanntmachung anschließenden Nacherhebungsfrist von 12 Monaten erneut festgestellt. Ergibt auch die Nacherhebung ein Unterschreiten der Mehrwegquote, gilt die Entscheidung nach § 6 Abs. 3 VerpackV a.F. ab dem ersten Tag des auf die Bekanntgabe folgenden sechsten Kalendermonats bundesweit für diejenigen Getränkebereiche als widerrufen, deren Mehrweganteil unter dem im Jahr 1991 festgestellten Anteil liegt (§ 9 Abs. 2 S. 2 VerpackV a.F.). Die Ergebnisse der Regelerhebung über die Mehrweganteile von Getränkeverpackungen für die Jahre 1997 und 1998 unterschritten jeweils die 72 %-Marke und auch die Nacherhebungen ergaben, dass die Mehrwertanteile jeweils unterhalb von 72 % sowie bei Mineralwasser auch unter denen des Referenzjahres 1991 lagen. Nach Bekanntgabe dieser Ergebnisse erhebt Einzelhändler M hiergegen Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Ist diese Klageart statthaft?
Ja. Die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gegen den Rechtsakt der Bekanntgabe ist statthaft, da es sich hierbei um einen (feststellenden) Verwaltungsakt i.S.v. § 35 VwVfG handelt. Insbesondere fehlt es insoweit nicht am Merkmal der Regelung. Der Bekanntgabeakt ist nach der Konzeption der VerpackV dazu bestimmt, das darin angelegte Pflichtenverhältnis zu aktualisieren. Seine Bedeutung erschöpft sich nicht in der Veröffentlichung eines Tatbestandswirkung entfaltenden Sachverhalts. Nach dem der Bekanntgabe gem. § 9 Abs. 2 S. 2 VerpackV a.F. beizumessenden Regelungsgehalt zielt diese auf die rechtsverbindliche Feststellung des Eintritts der in der VerpackV angelegten Rücknahme- und Pfandpflichten. Die Bekanntgabe hat die verpflichtende Wirkung der Vorschrift des § 9 Abs. 2 S. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 3, 9 Abs. 1 S. 1 und § 8 Abs. 1 VerpackV a.F. unmittelbar zur Folge. Die Verordnungsbegründung zu § 9 Abs. 2 S. 2 VerpackV a.F. bestätigt den regelnden Charakter der Bekanntgabe. Danach tritt, „wenn die Mehrwegquote in zwei aufeinander folgenden Jahren unterschritten wird, […] automatisch nach Bekanntgabe der Mehrweganteile für diejenigen Getränkebereiche die Pfandpflicht nach § 8 VerpackV in Kraft, für die der entsprechende Mehrweganteil des Jahres 1991 unterschritten ist“ (BT-Drucks. 13/10943, S. 28). Das entspricht der Funktion der Bekanntgabe, die darin besteht, den Herstellern und Vertreibern von Einweg-Getränkeverpackungen das ihre Pflichten aktualisierende Signal zur Einrichtung der erforderlichen Pfand- und Rücknahmesysteme zu geben. Der Verordnungsgeber knüpft das Wirksamwerden der Pflichten an den Bekanntgabeakt, um den Erfordernissen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu genügen. Der Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 VerpackV a.F. steht mit diesem Verständnis in Einklang. Die Vorschrift nimmt in ihrem ersten Halbsatz mit dem Wort „danach“ auf die Bekanntgabe des Nacherhebungsergebnisses Bezug. Sie bezieht damit die Bekanntgabe als rechtliche Voraussetzung des im zweiten Halbsatz bestimmten Auflebens der Pfandpflichten in den Regelungszusammenhang ein. Der Annahme einer solchen Regelungswirkung widerspricht es schließlich nicht, dass sich die Rechtsfolgen der Bekanntgabe unmittelbar aus der VerpackV ergeben. Denn Zweck eines feststellenden Verwaltungsakts ist es gerade, den Eintritt normativ geregelter Rechtsfolgen verbindlich festzustellen.
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Keine Regelung – und damit auch kein Verwaltungsakt – liegt hingegen vor bei rein tatsächlichem Verwaltungshandeln (schlicht-hoheitliche Tätigkeit, Realakt) wie etwa der Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 GewO. Dieser Gewerbeschein verschafft dem Gewerbetreibenden im Hinblick auf den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 146 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b) GewO lediglich Gewissheit darüber, dass seine Anzeige bei der Behörde (§ 14 Abs. 1 S. 1 GewO) eingegangen ist (Beweisfunktion), beinhaltet aber keine Regelung (v.a. keine Gewerbeerlaubnis).[92] Desgleichen kein Verwaltungs-, sondern ebenfalls ein Realakt ist die Erteilung bzw. Aushändigung der Genehmigungsurkunde nach § 15 Abs. 2 PBefG – im Gegensatz zur vorausgehenden Entscheidung über den Genehmigungsantrag nach § 15 Abs. 1 PBefG, bei der es sich um einen Verwaltungsakt handelt.[93] Welche Rechtsnatur die Fiktionsbescheinigung nach § 42a Abs. 3 VwVfG hat, ist umstritten (Rn. 44).
Beispiel[94]
E ist Eigentümer von mit Mietwohngebäuden bebauten Grundstücken in der Gemeinde G. Mit den gegenüber seinen Mietern geltend gemachten Mieterhöhungsverlangen unterlag E in der Vergangenheit mehrfach vor den Zivilgerichten. Als Grund für diese Niederlagen hat E den Mietspiegel von G identifiziert, der seiner Ansicht nach die ortsübliche Vergleichsmiete zu niedrig angebe. Daher beabsichtigt E nunmehr Anfechtungsklage gegen den von G aufgestellten und veröffentlichten Mietspiegel zu erheben. Wäre diese Klageart statthaft?
Nein. Gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO kann mittels der Anfechtungsklage nur die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Die in § 35 VwVfG genannten Merkmale sind in Bezug auf die Aufstellung und Veröffentlichung des örtlichen Mietspiegels durch die Gemeinde jedoch gerade nicht erfüllt. Zwar handelt es sich hierbei um eine der öffentlichen Verwaltung zugewiesene Aufgabe. Ihre Wahrnehmung erfolgt jedoch lediglich in Form einer schlicht-verwaltenden Tätigkeit ohne bindende Außenwirkung. Die positiven oder negativen Einflüsse eines kommunalen Mietspiegels auf die Durchsetzbarkeit privater Mieterhöhungsansprüche verleihen ihm selbst noch keinen regelnden Charakter. Von Rechts wegen stellt er vielmehr nur ein formelles Begründungsmittel für Mieterhöhungsverlangen der Vermieter dar. Dies ist seine einzige ihm vom Gesetz beigelegte Funktion. Derartige behördliche Äußerungen ohne Bindungswirkung – namentlich Gutachten, antizipierte Gutachten oder schlichte Auskünfte – treffen gerade keine Regelung i.S.v. 35 S. 1 VwVfG. Die große praktische Bedeutung eines kommunalen Mietspiegels und sein ihm von den Zivilgerichten beigemessener hoher Beweiswert ändern daran nichts.
Da es sich beim Verwaltungsakt allerdings um eine Willenserklärung handelt und diese nicht nur in ausdrücklicher Form, sondern auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) erfolgen kann (Rn. 43), kann eine rein tatsächliche Verwaltungshandlung mitunter allerdings zugleich auch eine schlüssige Anordnung, d.h. eine Regelung, beinhalten und somit bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 35 S. 1 VwVfG als Verwaltungsakt einzustufen sein. Diskutiert wird dies v.a. im Bereich des Polizeirechts. So ist bzgl. einiger der in den Polizeigesetzen der Länder vorgesehenen Standardmaßnahmen umstritten[95], ob diese die Polizei nicht nur zum Erlass eines Verwaltungsakts (z.B. Platzverweis, § 34 Abs. 1 PolG NRW; Rn. 336) bzw. nicht nur zur Vornahme eines Realakts (z.B. Festhalten, § 12 Abs. 2 S. 3 PolG NRW) ermächtigen, sondern ob in dem unzweifelhaft vorliegenden Realakt (z.B. Durchsuchung von Personen oder Sachen, § 39 bzw. § 40 PolG NRW) zugleich auch ein Verwaltungsakt enthalten ist, der den Betroffenen zur Duldung ihrer Vornahme verpflichtet (konkludenter Duldungs-Verwaltungsakt; Klassiker: Realakt „Hieb mit Schlagstock durch Polizisten“ zugleich als konkludente Regelung „Dulde den Hieb!“). Soweit Letzteres v.a. in der Rechtsprechung[96] bejaht wird, hat diese lebensfremd anmutende Konstruktion vornehmlich historische Gründe. Vor dem Inkrafttreten der VwGO im Jahr 1960 wurde Verwaltungsrechtsschutz nämlich ausschließlich bei Vorliegen eines Verwaltungsakts gewährt. Seitdem ist die Qualifizierung einer Maßnahme als Verwaltungsakt jedoch nur noch für das „Wie“ (statthafte Klageart), nicht mehr aber für das „Ob“ der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs maßgeblich, siehe § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Folglich besteht unter der Geltung der VwGO keine Notwendigkeit, zwecks Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) einen Regelungscharakter in Realakte „hineinzuinterpretieren“.[97] Entsprechendes gilt richtigerweise schließlich auch für die Fälle des sofortigen Vollzugs (Rn. 343 ff.), in denen die Verwaltung eine Maßnahme in Abwesenheit oder in Unkenntnis der betroffenen Person vornimmt. Der von der Gegenansicht insoweit bemühten und vor dem Hintergrund der Bekanntgabevorschriften der §§ 41 Abs. 1, 43 Abs. 1 VwVfG höchst problematischen Figur des adressatenlosen Verwaltungsakts (Rn. 345) bedarf es daher von vornherein nicht.
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