Allgemeines Verwaltungsrecht. Mike Wienbracke
Wissenserklärungen wie Auskünften (vgl. § 25 VwVfG; Rn. 180 f.), Belehrungen, Warnungen, Empfehlungen, Hinweisen etc. (z.B. Gefahrzeichen i.S.v. § 40 StVO). Entsprechendes gilt – vorbehaltlich einer Entscheidung durch einen formellen Verwaltungsakt (Rn. 42) – hinsichtlich der Ablehnung einer Auskunft etc., teilt die Ablehnung einer Amtshandlung als Kehrseite (actus contrarius) ihrer Vornahme doch deren Rechtsnatur. Abweichendes folgt richtigerweise auch nicht aus dem Umstand, dass der (Nicht-)Erteilung einer Auskunft – wie übrigens jeder anderen Verwaltungsmaßnahme auch – eine Entscheidung der Behörde vorausgeht, ob sie die Auskunft erteilt oder nicht. Außerhalb gesetzlich geregelter Fälle (vgl. z.B. §§ 5 Abs. 1 S. 4, 6 Abs. 2 UIG[98]) ist im Einzelnen streitig, ob die der (Nicht-)Vornahme einer Wissenserklärung vorgelagerte Behördenentscheidung eine Regelung enthält oder nicht. Während teilweise[99] danach differenziert wird, ob der Schwerpunkt der (Nicht-)Erteilung einer Auskunft in – dem Realakt – ihrer tatsächlichen (Nicht-)Erteilung oder in der verbindlichen Regelung über das Auskunftsverlangen (Indizien u.a.: Ermessen) liegt (dann: Verwaltungsakt), wird von anderen Stimmen[100] eine Parallele zum Konstrukt des konkludenten Duldungs-Verwaltungsakts (Rn. 59) gezogen und ebenso wie dort auch im vorliegenden Zusammenhang das Vorhandensein eines Verwaltungsakts verneint.
Beispiel[101]
Nachdem in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, dass ein Journalist Informationen über den Schriftsteller S an den BND weitergegeben hat, beantragt dieser dort die Erteilung von Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten. Mit der Begründung, dass die Auskunftserteilung die öffentliche Sicherheit gefährde, wurde der Antrag abgelehnt. Wäre eine von S bei dem gem. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO im ersten und letzten Rechtszug zuständigen BVerwG erhobene Klage zulässig?
Nein. Vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen (Verpflichtungs-)Klage muss hier zunächst das behördliche Vorverfahren nach § 68 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 1 VwGO stattfinden. Anspruchsgrundlage für das Begehren des S ist § 22 S. 1 BNDG i.V.m. § 15 BVerfSchG. Danach geht der Erteilung der Auskunft durch den BND eine „Entscheidung“ voraus, die vom Behördenleiter oder einem von ihm besonders beauftragten Mitarbeiter (§ 15 Abs. 2 S. 2 BVerfSchG) auf der Grundlage eines detaillierten gesetzlichen Prüfprogramms zu treffen ist (§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 BVerfSchG). Zudem enthält das Gesetz für den Fall der Ablehnung der Auskunftserteilung spezielle Vorschriften über die Begründung der Entscheidung (§ 15 Abs. 4 S. 1 und 3 BVerfSchG). Die ausdrückliche Erwähnung der Behördenentscheidung im Gesetz sowie die an sie gestellten verfahrens- und materiell-rechtlichen Anforderungen lassen erkennen, dass der rechtliche Schwerpunkt der behördlichen Tätigkeit nicht in der Erteilung oder Versagung der Auskunft als solcher, sondern in der zu Grunde liegenden Entscheidung zu sehen ist, die in der Form eines Verwaltungsakts (§ 35 S. 1 VwVfG) ergeht. Das Begehren des S ist mithin i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO auf den Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts gerichtet.
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Neben den vorgenannten Realakten und behördlichen Wissenserklärungen fehlt es ferner auch bestimmten Willenserklärungen der Verwaltung an dem für einen Verwaltungsakt erforderlichen Regelungscharakter. Insofern zu nennen sind zum einen solche behördlichen Willenserklärungen (genauer: rechtsgeschäftsähnliche Handlungen), die unmittelbar überhaupt keine Anordnung beinhalten, sondern an deren Vorhandensein das Gesetz vielmehr unabhängig vom Willen der erklärenden Behörde Rechtsfolgen knüpft (z.B. Aufrechnung gem. §§ 387 ff. BGB analog [Rn. 46], Fristsetzung, Stundung, Mahnung, Kündigung, Ausübung des Zurückbehaltungsrechts).
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Keine Regelung in der Sache liegt zum anderen ebenfalls dann vor, wenn die Behörde in einer späteren (z.B. schriftlichen, § 37 Abs. 2 S. 2 VwVfG) Erklärung lediglich auf den Inhalt eines zum selben Sachverhalt früher bereits (z.B. mündlich, § 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG) erlassenen Verwaltungsakts verweist (vgl. Rn. 59 und Übungsfall Nr. 1). Dieser wiederholenden Verfügung kommt nur insoweit Verwaltungsaktqualität zu, als mit ihr – ausdrücklich oder konkludent – das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG abgelehnt wird (Rn. 300 und Rn. 307).[102] Hiervon im Wege der Auslegung abzugrenzen ist der als Verwaltungsakt einzustufende Zweitbescheid, mit dem die Behörde nach nochmaliger inhaltlicher Prüfung eine – im Ergebnis mit der früheren Entscheidung ggf. identische – Sachentscheidung trifft (Rn. 299 ff.).
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Eine Antwort auf die nach wie vor umstrittene Frage, ob das verbindliche Versprechen der zuständigen Behörde, zu einem späteren Zeitpunkt eine bestimmte Verwaltungsmaßnahme (Zusage) bzw. speziell einen Verwaltungsakt (Zusicherung, siehe § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG) vorzunehmen oder zu unterlassen, seinerseits einen Verwaltungsakt darstellt, kann insoweit dahingestellt bleiben, als § 38 Abs. 2 VwVfG einige der den Verwaltungsakt betreffenden Vorschriften für die praktisch wichtigere Zusicherung – vorbehaltlich einer Änderung der Sach- und Rechtslage i.S.v. § 38 Abs. 3 VwVfG (clausula rebus sic stantibus; vgl. auch § 313 BGB) – ausdrücklich für anwendbar erklärt. Im Übrigen lassen sich sowohl für (verpflichtender Charakter; systematische Stellung von § 38 VwVfG; h.M.) als auch gegen (eine Regelung wird erst in Aussicht gestellt) die vom Gesetzgeber[103] offen gelassene Frage der Verwaltungsaktqualität der Zusicherung Argumente benennen.[104]
Beispiel[105]
Die von Anwohner A bewohnte N-Straße wurde mit einer neuen Teerdecke versehen und kurze Zeit später vom Rat der Stadt dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Da die N-Straße seitdem vermehrt als „Schleichweg“ genutzt wird, erhob A Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Widmungsverfügung. In der mündlichen Verhandlung erklärte der hierzu ermächtigte Behördenvertreter B: „Der Beklagte verpflichtet sich, zur Reduzierung der gefahrenen Geschwindigkeiten auf der N-Straße das Zeichen ‚Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkung 30 km/h‘ aufzustellen.“ Diese zu Protokoll gegebene Erklärung wurde B vorgelesen und von diesem genehmigt. Daraufhin erklärte A die Hauptsache für erledigt, woraufhin das Gericht das Verfahren durch Beschluss einstellte. Nachdem der Beklagte in der Folgezeit der Erklärung des B allerdings nicht nachkam, möchte A nunmehr wissen, ob er einen Anspruch gegen den Beklagten auf Aufstellung des o.g. Verkehrszeichens hat.
Ja. Grundlage dieses Anspruchs ist die von B zur Niederschrift des Verwaltungsgerichts gegebene Erklärung, die als wirksame Zusicherung i.S.v. § 38 Abs. 1 des betreffenden VwVfG zu qualifizieren ist. Eine von der zuständigen Behörde im Prozess abgegebene Erklärung stellt dann eine Zusicherung i.S.v. § 38 VwVfG dar, wenn gegenüber dem Adressaten unzweifelhaft der Wille der Behörde zum Ausdruck kommt, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Das war hier der Fall. Insbesondere handelt es sich bei dem fraglichen Verkehrszeichen um einen zusicherungsfähigen Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung i.S.v. § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG. Auch ist die Zusicherung i.S.d. § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG von der zuständigen Behörde abgegeben worden, denn B war hierzu ermächtigt. Ferner genügt die Zusicherung zur Niederschrift des Gerichts der Schriftform des § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Zwar enthält § 38 VwVfG selbst keine ausdrückliche Regelung, welche förmlichen Anforderungen an die Schriftform der Zusicherung zu stellen sind. Da die Zusicherung – unbeschadet der streitigen Frage ihrer Rechtsnatur – aber die Selbstverpflichtung der Behörde zum späteren Erlass eines Verwaltungsakts enthält, ist § 37 Abs. 3 VwVfG auf § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG